Lernen fürs Leben im Weinberg

Schulkindern Alltagskompetenzen vermitteln

In einem Land, in dem mehr als zehntausend Betriebe vom Weinbau leben, in dem fast siebzig Prozent der gesamten deutschen Weinernte anfällt und in dem jährlich mehr als 6 Mio. Hektoliter Rebensaft erzeugt werden, ist das Thema Wein auch bei Kindern allgegenwärtig. Was sie dabei bereits in der Schule lernen können, zeigt eine Kooperation des information.medien.agrar (i.m.a) e.V. mit den Weinbauern in Rheinland-Pfalz. Bernd Schwintowski fasst zusammen.

Auch beim eigentlichen „Erwachsenen-Thema“ Weinbau können Kinder einiges lernen. In Rheinland-Pfalz wird der Weinberg Dank eines Projektes des information.medien.agrar e.V. zum Klassenzimmer.

Foto: Krick/agrar-press

Zwischen Koblenz, Mainz, Trier und Landau bestimmen Weinberge nicht nur das Landschaftsbild. Für Kinder sind sie Abenteuerspielplätze, sind die Weinfeste Bestandteile des kulturellen Lebens und ist die jährliche Weinlese Gelegenheit, das Taschengeld aufzubessern. Da ist es dann nur konsequent, wenn der Weinbau auch im Schulunterricht zum Thema wird. So wurde vor kurzem in Wittlich sogar ein Lehrbuch für Grundschüler vorgestellt, das auffordert, „Komm mit in den Weinberg“, und das den Kindern auf diese Weise die Besonderheiten ihrer Heimat nahebringt.

Alkohol – (k)ein Tabu im Unterricht

Für den i.m.a hingegen war es bisher schwierig, über die Arbeit der Winzer und deren Produkte zu informieren. Denn die Alkoholproduktion ist allgemein ein Tabu für die Thematisierung in Unterrichtsmaterialien für Kinder. Dass es nun doch gelungen ist, liegt auch an der entgegengebrachten Unterstützung. „Weil die alkoholische Gärung im Biochemie-Unterricht der Sekundarstufe behandelt wird, hatten wir uns entschlossen, das Thema Wein auch in unserem Lehrermagazin zu behandeln“, erläutert Dr. Stephanie Dorandt, Redaktionsleitung der Zeitschrift „lebens.mittel.punkt“ beim i.m.a.

Eine Winzerin macht Schule

Für das Wein-Thema fand die Redaktion Unterstützung beim Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd (BWV). Hauptgeschäftsführerin Andrea Adams stellte Kontakte zu regionalen Winzervereinigungen her und die Experten im Verband begleiteten die Realisierung des Themas mit ihrer inhaltlich-fachlichen Kompetenz.

Dreh- und Angelpunkt bei der Umsetzung war jedoch das Engagement der Winzerin Alexandra Becker aus Ebersheim. Mit ihrem „Kinderwingert“ (Synonym für einen Weingarten im Flachland) führt sie schon seit zwölf Jahren Kinder zwischen sechs und zehn Jahren an die Arbeit der Weinbauern heran. Sie beweist damit, dass ein „Lernort Bauernhof“ nicht zwangsläufig aus Begegnungen mit Tieren oder Ackerfrüchten bestehen muss. Inzwischen folgen viele Berufskollegen dem Vorbild der Mainzerin und bieten ebenfalls Schulklassen praxisnahes Lernen im Weinberg an.

Politik unterstützt landwirtschaftliche Bildung

Das Engagement der Winzer und anderer Landwirte in Rheinland-Pfalz wird von der Landesregierung gefördert. Sie unterstützt mit ihrem „Eulle“-Programm (Entwicklungsprogramm Umweltmaßnahmen, Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft, Ernährung) diese besondere Form außerschulischer Bildungsarbeit.

Die Schülerinnen und Schüler lernen im Weinberg nicht nur die Arbeit der Winzer kennen, sondern werden dabei aus Sicht der Bildungspolitiker auch zum zukunftsfähigen Denken und Handeln angeregt. Ihnen würden Werte und Kompetenzen vermittelt, um vorausschauend zu denken und autonom zu handeln. Dies befähige sie, sich verantwortungsvoll an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Darum ist der „Lernort Bauernhof“ auch anerkannt als ein Ort der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) – und ebenfalls förderfähig.

Die Reportage über die Arbeit der Winzerin Alexandra Becker bildete im i.m.a-Lehrermagazin den Auftakt des thematischen Schwerpunkts „Lernen am Rebstock“. Es wird erläutert, wie die Kinder lernen, Rebstöcke zu beschneiden und wie die abgetrennten Rebenstücke auf dem Boden als Gründünger verteilt werden. Viele Kinder haben den Umgang mit Scheren oder gar mit Rebscheren noch nie richtig trainiert. Auch das Bewusstsein, welche Verantwortung in der korrekten Ausführung eines richtigen Rebschnitts liegt, hilft dabei, sich seines Handelns bewusst zu werden.

Winzer und Landwirte, die sich wie Alexandra Becker diese Vermittlung von Wissen und Kompetenzen zur Aufgabe gemacht haben, können sich dafür auch qualifizieren. So organisiert das vom i.m.a betreute „Forum Lernort Bauernhof“ immer wieder Fortbildungen. Neben dem pädagogischen Training wird auch über praktische Dinge informiert, wie zum Beispiel über den Versicherungsschutz beim Besuch von Schulklassen auf einem Bauernhof oder über Steuerfragen im Hinblick auf die Tätigkeit im Bildungsbereich.

Lehrmaterial für Symbiose aus Theorie und Praxis

Die Reportage über den „Lernort Bauernhof“ von Winzerin Alexandra Becker wurde mit einem Unterrichtsbaustein ergänzt. Er informiert über das Wachstum der Trauben, über die Historie der Reben, benennt Unterschiede zwischen den Rebsorten oder zwischen Tafeltrauben und Keltertrauben.

Die Kultivierung der Rebstöcke wird ebenso beschrieben wie der Ablauf eines Weinjahres. Die Sachinformation widmet sich dem Thema Wein von der Blüte bis zur Frucht und endet nach der Ernte beim Abfüllen der Flaschen. Einerseits wird erläutert, wie aus Most durch Pasteurisierung Traubensaft entsteht, andererseits wird der Gärvorgang auf dem Weg zum alkoholhaltigen Wein beschrieben. Die sachlich-fundierten Lehr- und Lernmaterialien werden von den Pädagogen geschätzt. Sie sammeln sie in ebenfalls vom i.m.a angebotenen Ordnern, in denen die Unterrichtsbausteine nach Rubriken einsortiert werden. Entscheidend für die Akzeptanz der Materialien ist jedoch deren inhaltliche Neutralität. Daher wird strikt darauf geachtet, dass zum Beispiel der in Medien immer wieder thematisierte vermeintliche Gegensatz zwischen konventioneller oder ökologischer Landwirtschaft vermieden und weder für die eine noch die andere Wirtschaftsweise plädiert wird, sondern dass beide Bereiche gleichberechtigt dargestellt werden.

Das Weinthema im aktuellen Heft hat inzwischen neben Zustimmung aus Fachkreisen sogar Interesse an der Realisierung eines eigenen Weinbauthemas bei einem Winzerverband in einem Bundesland geweckt, wo kaum Weinbau vermutet wird: in Brandenburg.

 – LW 47/2020