Perspektiven aufzeigen, statt Landwirtschaft abwürgen

Tausende Bauern demonstrieren in Wiesbaden

Rund zweitausendfünfhundert Bäuerinnen und Bauern aus Hessen, Rheinland-Pfalz und angrenzenden Bundesländern haben am Dienstag in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden gegen das Agrarpaket und gegen einseitige Schuldzuweisungen bei Artenschwund, Insektensterben und Klimaveränderung demonstriert. Nach Schätzungen standen eintausendfünfhundert Schlepper auf der Mainzer Straße, wo das hessische Landwirtschaftsministerium angesiedelt ist. Auf einem Podium vor dem Ministerium traten neben Vertretern der Initiative Land schafft Verbindung (LsV), die zur Demonstration aufgerufen hatte, auch Vertreter des Hessischen Bauernverbandes (HBV) und einige Politiker auf. Die Veranstaltung dauerte bis nach Redaktionsschluss am Dienstag an. Am Mittwoch fand eine Kundgebung in Mainz statt, über die das LW nächste Woche berichtet.

Die Mainzer Straße, Hauptzufahrtstraße in die Innenstadt von Wiesbaden und Sitz des Landwirtschaftsministeriums, war mit Bauern und Bäuerinnen und Schleppern angefüllt.

Foto: Imke Brammert-Schröder

Zu Beginn stellten sich die Mitglieder des Organisationsteams der LsV vor, unter ihnen Christian Damm aus Rauschenberg (siehe LW 49). HBV-Präsident Karsten Schmal forderte im Anschluss eine Politik mit Maß und Ziel, „die unserer Landwirtschaft Perspektiven eröffnet, anstatt sie abzuwürgen.“ Anerkennung gab es von Schmal für die Ankündigung von Landwirtschaftsministerin Priska Hinz, im Landeshaushalt 2020 mehr Geld unter anderem für den Kliamschutz, die Verbesserung der Artenvielfalt und zur Unterstützung von Landschaftspflegeverbänden bereitzustellen. „Allerdings wäre es auch wichtig, dass die Ministerin den Bauernfamilien in der öffentlichen Diskussion den Rücken stärkt und sich klar zur Landwirtschaft bekennt“, so Schmal. Das Aktionsprogramm Insektenschutz, das in den vergangenen Wochen Auslöser zahlreicher Proteste war, gehöre in den Papierkorb. Den Vorschlag aus dem Agrargipfel im Kanzleramt, wonach das Bundeslandwirtschafts- und das Bundesumweltministerium gemeinsam zu einem runden Tisch Landwirtschaft und Insektenschutz einladen werden, wertete Schmal als einen Schritt in die richtige Richtung. Im Ãœbrigen handele es sich beim Insektenschutz um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit Blick auf die roten Gebiete im Rahmen der Düngeverordnung forderte der HBV-Präsident eine Differenzierung und Konzentration auf die tatsächlichen Problemzonen. Dem Organisationsteam der Initiave Land schafft Verbindung dankte Schmal für die Vorbereitung und Durchführung der Kundgebung.

Willi Billau, Vorsitzender des Regionalbauernverbandes Starkenburg, bezeichnete das geplante Pflanzenschutzmittelverbot in Naturschutzgebieten als kalte Enteignung der Landwirte. Christian Lang, Geschäftsführer der hessisch-pfälzischen Zuckerrübenanbauer, wandte sich ebenfalls gegen weitere Einschränkungen im Pflanzenschutz. Er klagte an, dass in 13 EU-Ländern weiterhin die Möglichkeit bestehe, Rübensaatgut mit neonikotinoiden Mitteln zu beizen, während dies in Deutschland verboten ist. Dies sei eine gravierende Wettbewerbsverzerrung. In Deutschland werde die landwirtschaftliche Produktion schlechtgeredet, beklagte Lang.

Martin Allmenröder, Sauenhalter aus dem Odenwald, stellte klar, dass den Bauern das Wohl der Tiere am Herzen liege. Die Politik habe jahrzehntelang eine Konzentration von Schlachtunternehmen und Lebensmittel­einzelhandel und damit einen enormen Preisdruck zugelassen. Die Regierungen schafften immer mehr Bürokratie, löse aber keine Probleme, beispielsweise in puncto Kastenstand, Ferkelkastration und Kupierverbot. Jonas Müller von der Hessischen Landjugend stellte in diesem Zusammenhang klar, dass in der Landwirtschaft über Generationen geplant werde, und forderte Perspektiven für den Berufsnachwuchs.

Dem SPD-Landtagsabgeorneten und Mitglied des Landwirtschaftsausschusses Knut John, der in seiner Rede Verständnis für die Proteste der Landwirt zeigte, riefen einige Bauern aus dem Rheingau-Taunuskreis zu, dass er seiner Parteikollegin und Bundesumweltministerin Svenja Schulze den Rücktritt nahelegen sollte. Schließlich habe sie das ganze Dilemma beziehungsweise das Aktionsprogramm Insektenschutz verursacht.

Die hessische Landwirtschaftsministerin Priska Hinz sagte, die Landwirte leisteten einen unersetzbaren Beitrag für die Gesellschaft. Aber die Gesellschaft verändere sich und auch die Bauern müssten sich ändern. Allerdings respektiere sie die Forderung nach Planungssicherheit und wandte sich gegen abrupte Änderungen auch mit Blick auf Tierwohl und Klimaschutz. Es gehe nur gemeinsam, betonte sie. Sie kritisierte auch die niedrigen Lebensmittelpreise. „Das ist nicht in Ordnung. Sie haben mehr verdient.“

Im Hinblick auf die Düngeverordnung sieht sie nicht mehr viel Spielraum. Die Bundesregierung habe die Chance vertan, selbstbestimmt das Düngerecht umweltverträglich weiterzuentwickeln. „Wir arbeiten Seite an Seite mit den Landwirten. Das haben wir bereits beim Zukunftspakt Hessische Landwirtschaft bewiesen, den wir gemeinsam mit 27 Verbänden und Institutionen erarbeitet haben.“ Nun folge der nächste Schritt: Bei der Entwicklung der hessischen Strategie nachhaltige Landwirtschaft werden laut Ministerin Hinz alle Bauern beteiligt.

Ihre Rede wurde mit spärlichem Beifall und einigen Buhrufen kommentiert. HBV-Vizepräsident Thomas Kunz fordert von der Ministerin Daten über die Messstellen, die zu den roten Gebieten geführt haben. „Sie werden alle Daten bekommen, die uns zur Verfügung stehen“, sagte sie zu. „Wir haben nichts zu verbergen.“

Der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Michael Boddenberg, sagte, dass die Gesellschaft die Leistungen der Landwirte stärker anerkennen und man gemeinsam mit dem Berufsstand nach praxistauglichen, tragfähigen Lösungen für die bestehenden Herausforderungen suchen müsse. Ohne die Unterstützung und die Kooperation der Bauern könne man wichtige Ziele nicht erreichen. „Sie leisten bereits sehr viel für den Umweltschutz und sind bereit, auch noch mehr zu tun, wenn es sinnvoll und praktikabel ist.“ Allerdings würden in Deutschland Lebensmittel nicht so bezahlt, wie sie bezahlt werden müssten. Nach seiner Rede wurden kritische Stimmen laut, die ihre Enttäuschung an der gegenwärtigen Ausrichtung der CDU zum Ausdruck brachten.

Ein Ende der „urbanen Arroganz der Landesregierung“ forderte die landwirtschaftspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Wiebke Knell. Vor allem die Grünen meinten, den Menschen auf dem Land sagen zu können, wie diese zu wirtschaften und sich fortzubewegen hätten und was sie zu essen hätten. Knell rief zu mehr Vernunft und Wissenschaft in der Landwirtschaftspolitik auf. Mit Wissenschaft habe der „Messwahnsinn“ der grünen Landwirtschaftsministerin Priska Hinz allerdings nichts zu tun, sagte Knell mit Bezug auf die Nitratmessungen.

LW – LW 50/2019