Probleme im Milchviehstall rund um die Geburt im Griff

Waldeck-Frankenberger Rindertag mit Stallbesichtigung

Beim 14. Waldeck-Frankenberger Rindertag des Landkreises Waldeck-Frankenberg in Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen am Dienstag der vergangenen Woche in Gemünden standen Informationen über die praktische Geburtshilfe und die medizinische Betreuung von Kalb und Kuh nach der Geburt im Vordergrund. LLH-Direktor Andreas Sandhäger begrüßte zur Veranstaltung rund 160 Landwirte. Auch konnte der neue Milchviehstall der Familie Heinz-Wilhelm Trümner in Schiffelbach besichtigt werden.

Im Anschluss an den Waldeck-Frankenberger Rindertag konnten die Teilnehmer den neuen Stall der Familie Trümner in Schiffelbach besichtigen.

Foto: Dr. Ernst-August Hildebrandt

Über praktische Geburtshilfe beim Rind informierte Dr. Henrik Wagner von der Tiermedizin der Universität-Gießen. Dabei stellte er fest, dass Kälber bei der Geburt stets immungeschwächt zur Welt kommen und erst über die Kolostralmilch mit Immunglobulinen versorgt werden.

Zu den Besonderheiten der embryonalen Entwicklung zähle auch, dass das Kälberwachstum im letzten Drittel der Trächtigkeit verstärkt sei und damit zu einer Einengung des Pansens und zu einer Erhöhung des Energieverbrauchs führe. Die embryonale Sterblichkeit liege in der Regel bei 35 Prozent, überwiegend in den ersten drei Wochen nach der Befruchtung, was zum Abort führe. Dabei entschei­de man zwischen Frühaborten bis zur 19. Trächtigkeitswoche und Spätaborten in der zweiten Hälfte der Gravidität.

Anzeichen der nahenden Geburt seien durch Anschwellen und eine Rötung der Scheide, Unruhe der Kühe (besonders Färsen) Einfallen und Lockerung der Beckenbänder sowie Milchfüllung der Zitzen zu erkennen.

Welche Komponenten in die Stallapotheke gehören

Um Geburtshilfe zu leisten und Erstmaßnahmen einleiten zu können, empfahl Wagner eine Stallapotheke, die mit dem Hoftierarzt abgestimmt ist und über folgende Inhalte verfügen sollte: Seife und größere Mengen Gleit­­gel, lange und kurze Einmalhandschuhe, Geburtsstricke und -ketten, Desinfektionslösung, schnellmessendes Fieberthermometer, Rot­lichtlampe, Biestmilchersatz, Infusionslösun­gen, Medikamente sowie Spritzen und Kanülen.

Probleme bei der Geburt entständen häufig durch eine mangelhafte Eröffnung der Geburtswege durch Wehenschwäche, die vorwiegend durch Energie- oder Ca- und Mg-Mangel verursacht werde. Andererseits könne auch ein Missverhältnis von Kalb zu Mutter die Ursache sein. Hierbei müsse versucht werden, eine zu enge Vulva und Vagina durch manuelle Dehnung des Gewebes aufzuweiten. Zu enge knöcherne Becken seien auf Missbildungen oder alte Verletzungen oder zu frühe Zuchtnutzung zurückzuführen. Ebenfalls könne eine Gebärmutterverdrehung auftreten, die durch manuellen Eingriff zurückzudrehen sei. Letztlich könnten auch Uterusspasmen die Austreibung der Frucht verhindern.

Sieben Punkte bei der Geburtshilfe einhalten

Zur geburtshilflichen vaginalen Untersuchung stellt der Referent ein Sieben-Punkte Schema vor.

  • Danach sei zunächst die Lage des Kalbes von Bedeutung, bei der man die Vorderendlage, Hinterendlage und Querlage unterscheidet.
  • Da bei dem Kalb nach dem Abreißen der Nabelschnur spontan die Atmung eintritt, muss die Austreibung bei Hinterendlage besonders zügig erfolgen um ein Ersticken an verschlucktem Fruchtwasser zu vermeiden.
  • Die Querlage erfordert ein Drehen der Frucht, bis die Vorderendlage erreicht ist. Bei der Stellung unterscheidet man Bauch- und Rückenlage. Letztere erfordert ebenfalls einen Eingriff um die Frucht zu drehen, da ein Austreiben der Rückenlage fast immer zum Bruch des Rückrates führe.
  • Bei der Haltung könnten anomale Kopfseitenhaltungen oder Beinhaltungen festgestellt werden, die vor der Geburt korrigiert werden müssen.
  • Zur Haltung des Kalbes sei auch die Position zum Becken der Mutter und die Größe von Bedeutung. Wird hier festgestellt, dass die Frucht relativ zu groß oder absolut zu groß sei, komme nur noch ein Kaiserschnitt in Betracht.
  • Sollte die Frucht nicht mehr leben, was durch das Ausbleiben von Reflexen oder durch Ablösen von Haaren und Klau­enhorn oder auch durch das Hervortreten der Nachgeburt festgestellt werden kann, komme auch die Fetotomie in Betracht, wobei die Frucht im Mutterleib zersägt wird.
  • Letztlich werde der Geburtshelfer im siebten Schritt eine Prognose für Kalb und Muttertier stellen, wobei über die einzuleitenden und durchzuführenden Maßnahmen entschieden werde.

Tierarzt Dr. Henrik Wagner von der Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und An­dro­lo­gie der Groß- und Klein­tiere an der Universität Gießen.

Foto: Dr. Ernst-August Hildebrandt

Der Auszug des Kalbes sollte mit maximal drei Hilfskräften erfolgen, wobei eine Zugkraft bis zu 150 kp entstehen darf. Mechanische Geburtshelfer könnten Zugkräfte bis zu 750 kp entwickeln, wobei eine große Gefahr für Verletzungen entstehen könn­ten. Wichtig sei, dass eine Person (gegebenenfalls der Tierarzt) die Verantwortung trage und für alle verbindlich die Anweisungen gebe.

Auch die Nachuntersuchung stelle eine wesentliche Maßnahme dar, um z.B. auf ein weiteres Kalb zu kontrollieren und/oder eventuelle Verletzungen im Geburtsweg festzustellen und zu behandeln. Zur Nachsorge zähle auch die Verabreichung eines Energietrunks zur Calciumversorgung und oder Ketoseprophylaxe.

Schließlich stelle sich auch die Frage der Nachgeburtablösung, die innerhalb von acht Stunden nach der Geburt abgehen sollte. Eine Nachgeburtsverhaltung von mehr als zwölf Stunden sollte tierärztlich behandelt werden. Zur Routine sollte eine Temperaturkontrolle zählen.

Zur Erstversorgung der Kälber zählen die Kolostrumversorgung, die Nabeldesinfektion und die Untersuchung auf Anomalitäten. Dr. Wagner wies auf einen häufig vorkommenden Vitamin E- und Selenmangel hin, die zu hohen wirtschaftlichen Verlusten durch latenten Mangel führen und sich durch Saugschwäche, Bewegungsstörungen, Minderwuchs und Harnverfärbung äußern. Eine Diagnose kann durch eine Blutprobe mit verschiedenen Parametern erfolgen und im Bedarfsfall die geeigneten Behandlungsmaßnahmen empfehlen.

Das „Wochenbett“ für die Kühe gestalten

Thomas Bonsels vom LLH ging der Frage nach, wie das Wochenbett für Kühe gestaltet werden sollte. Die Anforderungen an den Abkalbestall bestehen zu-nächst aus einem Platzbedarf für etwa 5 Prozent der Herde. Er soll hell und luftig sein, ohne dass dabei Zugluft auftreten kann. Wichtig ist, dass er gut einzusehen ist und die Tiere Sichtkontakt zur Herde haben.

Nach jeder Belegung sollte der Abkal­bestall leicht zu reinigen sein. Falls Gruppenabkalbungen vorgesehen sind, sollten nach Bonsels die Gruppen aus maximal sechs Tieren bestehen wobei pro Tier mindestens 10 m² Platz verfügbar sein soll. Bei Einzelboxen 12 bis 14 m² pro Tier.

Auf rutschfestem Boden sollte die Stroheinstreu circa 8 bis 10 kg Stroh pro Tier und Tag betragen. Zur Fressplatzbreite werden mindestens 75 cm pro Tier gefordert und die Wassertränke sollte mit warmen Wasser versorgt werden. Für den Abkalbebereich fordert er Möglichkeiten zum Fixieren der Tiere zum Beispiel durch Schwenkgitter. Wichtig sei dabei auch ein Personenschlupf.

Zur Geburtshilfe und Tierkontrolle sei eine ausreichende Beleuchtung von 800 bis 1 000 Lux zu sorgen. Gegebenenfalls sollte die Möglichkeit zum Melken gegeben und eine Hebevorrichtung für festliegende Kühe vorhanden sein.

Auf dem Bild, von rechts: Betriebsleiter Heinz-Wilhelm und Marion Trümner mit Denis Krause, Manuel Michel und Bernd Balzer-Wilhelm.

Foto: Dr. Ernst-August Hildebrandt

Schließlich müssten auch Ablage- und Aufbewahrungsmöglichkeiten für Geburtsutensilien zur Verfügung stehen. Zur Vermeidung von Stress bei der Umstallung vor der Geburt sollte ein Zeitpunkt zwischen zwölf und 24 Stunden vor der Abkalbung gewählt werden, da die Umstallung drei und mehr Tage vor der Geburt zu einer zweifach höheren Ketose-Gefahr führe. Der Referent zeigte Darstellungen gelungener Beispiele für den Abkalbebereich und empfahl, auch an eine Videokontrolle zu denken, welche die durchgängige Überwachung ermöglicht.

Abkalbeboxen aus Sicht der Arbeitssicherheit

Benedikt Rodens vom Bereich Prävention der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau) stellt optimierte Abkalbeboxen aus Sicht der Arbeitssicherheit, Arbeitserleichterung und der Stressminderung für Mensch und Tier vor. Unter den bestehenden Möglichkeiten diskutiert der Referent an Beispielen die Vor- und Nachteile bei Fangfressgittern, Fangfressgittern mit Schwenkgatter, dem „Rind in eine Ecke treiben“ und dem Hals­fangrahmen mit Schwenkgatter. Rodens zeigt die Abläufe zur Fixierung des trächtigen Tieres und geht dabei auf technische Möglichkeiten ein, die Arbeiten sicher zu erledigen. Spezielle Ausführungen der Schwenkgatter ermöglichen es auch, die Tiere für Labmagen-Operationen oder Kaiserschnitte zu fixieren. Die bekannten Stallausstatter bieten die vorgestellten Lösungen des Referenten an, zu denen auch die unverzichtbaren Personenschlupfe und fest installierte Klapptische für Hilfsutensilien zählen. Rodens empfiehlt darüber hinaus für die Abkalbebox eine Beckenklammer mit Winde und den Anschluss an eine Vakuumleitung vorzusehen.

Am Nachmittag präsentierte sich im Ortsteil Gemünden-Schiffelbach der Milchviehbe-trieb Heinz-Wilhelm Trümner. Der 95 ha große Betrieb mit 88 Milchtieren und Nachzucht wurde vom Betriebsleiter vorgestellt. Der Herdbuchbetrieb hat im Jahr 2006 im Außenbereich zunächst einen Jungviehstall mit Mehrzweckhalle und Fahrsiloanlagen errichtet, die im Jahr 2012/13 durch den Anbau eines Boxenlaufstalls mit Melkroboter für 60 Kühe erweitert wurde.

Bei hohen Herdenleistungen konnte der Betrieb bisher neun Milchkühe mit Lebensleistungen von mehr als 100 000 Litern Milch hervorbringen. Gezielte Zuchtarbeit bescheren dem Betrieb auch immer wieder Erfolge beim Verkauf von Zuchttieren, besonders der Verkauf von Bullen an Zucht­stationen. Trümner wurde für die züchterischen Erfolge im Jahr 1994 mit dem hessischen Staatsehrenpreis ausgezeichnet.

Dr. Hildebrandt, LLH Kassel – LW 48/2013