Puten und Hühner als Schädlingsbekämpfer

Praktische Forschung in Bio-Obstbaubetrieben

In Niedersachsen ist in diesem Frühjahr ein Projekt zur Geflügelhaltung in Obstanlagen angelaufen. Auf drei Betrieben im Alten Land werden Puten und Legehennen zwischen Apfel- und Kirschbäumen gehalten, um die Larven von Schadinsekten zu bekämpfen, die nicht nur im ökologischen Anbau große Schäden verursachen.

Hühner und vier Hähne sind seit Anfang des Jahres in den Apfel- und Birnenanlagen von Obstbauer Henning Quast unterwegs. Hier sollen sie die Schäden durch Apfelwickler, Apfelsägewespe und Birnengallmücke begrenzen. Außerdem halten sie die Baumreihen frei von Unkraut und Bewuchs.

Foto: Brammert-Schröder

Interessiert kommen die Puten an den Zaun. Es scheint, als hätten sie gern Gesellschaft von den Menschen. „Sie sind auf jeden Fall sehr neugierig“, sagt Birgit Mählmann. Zwischen ihren Kirschbäumen genießen die 60 Puten ihre letzten Tage – der Schlachttermin naht bereits. Rund vier Wochen haben die bronzefarbenen Puten der Rasse Kelly BBB in der Kirschplantage von Familie Mählmann, die in Hamburg-Neuenfelde im Alten Land einen Demeter-Obstbaubetrieb führen, ihre Arbeit getan. Zuvor waren sie elf Wochen in einer Apfelplantage des Demeter-Obstbaubetriebes von Dierk Augustin und Jörg von der Beck in Jork beschäftigt. Ihre Aufgabe: Sie sollen Schadinsekten und deren Larven wie Kirschfruchtfliege, Kirschessigfliege, Apfel- und Pflaumenwickler oder Apfel- und Birnensägewespe vertilgen und so den Schädlingsdruck in den Obstanlagen verringern.

Dem ökologischen Obstbau stehen nur wenige Pflanzenschutzmittel zur Verfügung. Gegen die Kirschessigfliegen und die Kirschfruchtfliegen zum Beispiel gibt es derzeit keine Wirkstoffe für den Ökolandbau. Eine Strategie im Öko-Obstanbau ist es, die Ansiedlung von Nützlingen zu fördern, die Insekten fressen. Das sind zum Beispiel Fledermäuse und Feldvögel.

Senken die Hühner den Schädlingsdruck?

Daneben wird nun in einem Praxisforschungsprojekt, das von der EU und vom Land Niedersachsen finanziert und vom Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachen (KÖN) koordiniert wird, untersucht, ob Geflügel in Obstanlagen den Schädlingsdruck senken kann.

Bei Birgit Mählmann steht die Bekämpfung der Kirschfruchtfliege im Fokus. Die Kirschplantagen sind mit engmaschigen Netzen vor den Insekten geschützt. Dennoch kommt es immer wieder zu einem Befall mit Kirschfruchtfliegen. Die Kirschfruchtfliegen legen ebenso wie die Kirschessigfliegen ihre Eier in den Kirschen ab, in denen sich dann die Made entwickelt. Befallene Kirschen faulen und fallen zu Boden. Die Larven verlassen die Früchte und graben sich in einigen Zentimetern Tiefe im Erdreich ein und verpuppen sich. Im nächsten Jahr schlüpfen aus den Puppen neue Kirschfruchtfliegen, und der Kreislauf beginnt von vorn.

Puten in Apfel- und Kirschplantagen

Demeter-Obsterzeugerin Birgit Mählmann hat die Puten mehrere Wochen in ihrer Kirschenplantage eingesetzt, um die Larven der Kirschfruchtfliege einzudämmen. Sie ist von dem EIP-Projekt Geflügel in Obstanlagen begeistert.

Foto: Brammert-Schröder

Hier setzt das Projekt „Geflügel in Obstanlagen“ an. „Die Puten fressen die heruntergefallenen Kirschen samt der Larven. Das Gras zwischen den Kirschbäumen gleicht jetzt einem englischen Rasen“, berichtet Birgit Mählmann. Auch die Düngewirkung durch die Beweidung mit Puten sei nicht zu verachten, meint die Obstbäuerin. Als Rasse wurden die KellyBronze-Puten ausgewählt, die gut mit den Bedingungen im Freiland zurechtkommen. Sie präsentieren sich kurz vor dem Schlachttermin mobil und bei bester Gesundheit. Sie wiegen im Alter von 23 Wochen um die zwölf Kilo. Die Puten sind auf einer 20 Meter breiten und 30 Meter langen Fläche mit einem Strom führenden Elektrozaun eingezäunt, um sie in der Fläche zu halten und vor dem Fuchs zu schützen. Nachts gehen sie in einen für Mastgeflügel konzipierten Mobilstall, wo sie ihr Futter bekommen.

Die Puten waren vorher in einer Apfelplantage des Obstbaubetriebes von Dierk Augustin in Jork. Hier haben sie vor allem die Larven bzw. Raupen der Apfelsägewespe und des Apfelwicklers bekämpft, indem sie sie aus dem Boden gepickt haben. Die Apfelwicklerlarven setzen sich zudem unter die Rinde am Stamm. „Die Puten picken auch die Insekten, die sich am Stamm befinden“, hat Birgit Mählmann beobachtet. Bis ein Meter Höhe ist das kein Problem für das Geflügel. Die Puten sind erst nach der Ernte der Kirschen zu Mählmanns umgezogen, um zu verhindern, dass die Tiere in die Bäume fliegen und die reifen Kirschen fressen.

„Ein großer Vorteil der EIP-Projekte ist die direkte Beteiligung der Bauern an den Projekten und die wissenschaftliche Begleitung“, hebt Carolin Grieshop, Geschäftsführerin des Kompetenzzentrums Ökolandbau Niedersachsen (KÖN), die das „Geflügel in Obstanlagen“-Projekt leitet, hervor. „So sind die Bauern an der Forschung praktisch beteiligt.“ EIP steht für europäische Innovationspartnerschaft. „Die Bauern, die sich daran beteiligen, müssen dahinterstehen und auch was davon haben“, ist die Projektleiterin überzeugt. Denn so ein Projekt bedeute auch immer einen zusätzlichen Aufwand.

Die Idee für dieses Projekt wurde vor zwei Jahren auf einer Tagung des Demeterverbandes von den Obstbauern geboren. Zuvor hatte Naturland-Beraterin Annette Alpers bereits in einer Studie berechnet, ob sich die Geflügelhaltung in Obstanlagen rentiert. Mit Hilfe des EIP-Programms wurde das Projekt in diesem Frühjahr verwirklicht. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Schädlingsbekämpfung. Ein Aspekt ist zudem, mit der Geflügelhaltung für die Obsterzeuger ein weiteres Einkommensmöglichkeit zu schaffen. Die Puten beispielsweise kommen von der Demeter-Landwirtin und Putenexpertin Christine Bremer. Sie ist ebenfalls Projektteilnehmerin. Die schlachtreifen Puten werden von einem weiteren Demeter-Betrieb gekauft, geschlachtet und weiterverkauft an einen Demeter-Fleischer in Schleswig-Holstein, der sie über Hamburger Wochenmärkte verkauft. Birgit Mählmann kann sich für die Zukunft auch eine regionale Vermarktung der Puten beispielsweise in Gastronomiebetrieben im Alten Land vorstellen.

Eier als Einstieg in die Direktvermarktung

Die Schaffung eines weiteren Standbeins war für Henning Quast, der in Hamburg-Neuenfelde einen Demeter-Obstbaubetrieb mit Äpfeln und Birnen betreibt, neben dem Aspekt der Schädlingsbekämpfung ein reizvoller Gedanke. Er ist in die Eiererzeugung eingestiegen und betreibt seit diesem Frühjahr einen Mobilstall mit 225 Legehennen. Die Hühner sind Ende März eingezogen und werden alle acht bis vierzehn Tage auf eine frische Parzelle gebracht. Sie halten die Baumreihen durch das Scharren und Kratzen frei von Unkraut und von Larven und Raupen. Als Hauptschädlinge nennt Quast den Apfelwickler, die Apfel- und Birnensägewespe sowie die Birnengallmücke. Die Hühner werden dort eingesetzt, wo es gerade nötig ist. Zu Anfang liefen sie in den Birnenanlagen, danach in den Apfelanlagen.

„Die Hühner vertilgen auch Mäuse, das ist sehr wertvoll“, sagt der Obstbauer. Denn die Mäuse richten viel Schaden an, weil sie die Wurzeln der Bäume anfressen, so dass es zu Wuchsdepressionen oder gar zu Ausfällen der Bäume kommt. „Die Mäuse haben uns 20 bis 30 Prozent Ertrag gekostet, es dauert lange, bis sich die Bäume vom Mäusefraß erholt haben“, benennt Quast das Schadensausmaß auf seinem Betrieb. Auch die Mäuse werden in dem Projekt bonitiert. Die Hühner scheinen sich zwischen den Obstbäumen wohlzufühlen. Sie laufen auch 200 m weit ans Ende der Baumreihen, die 3,50 m voneinander entfernt sind. Da sich bereits ein Habicht für die Hühner interessiert hat, hat Henning Quast Vogelscheuchen zwischen den Bäumen aufgestellt.

Die Eier wie auch die Äpfel vermarktet Quast in einem Selbstbedienungs-Hofladen in seiner Hofeinfahrt. Seine Äpfel und Birnen werden zudem an Bioläden vermarktet. Henning Quast machen die Hühner Spaß. „Sie bringen Abwechslung in den Obstanbau, sie sind eine Bereicherung“, findet er. Auch für die Böden. Der Obsterzeuger hat über Winter viel Zeit investiert, um sich über die Hühnerhaltung zu informieren und den passenden Mobilstall zu finden. Das Modell, für das er sich entschieden hat, erzeugt über Solarpanels den benötigten Strom für den Zaun und lässt sich leicht umziehen. Dennoch ist es nicht immer einfach, den Mobilstall in den oft engen Obstanlagen zu rangieren. Ob Henning Quast nach Ende des dreijährigen Projekts mit den Hühnern weiterarbeitet, hängt vor allem davon ab, ob er seine Eier auf Dauer gut vermarkten kann. Denn ein Selbstläufer ist die Direktvermarktung der Eier nicht.

Der Mobilstall wird alle acht bis vierzehn Tage zu einer neuen Parzelle umgezogen. Wenn die Hühner eine Parzelle verlassen haben, wird nicht nur der Befall an Schadinsekten kontrolliert, sondern auch die Wirkung der Hühner auf das Mäusevorkommen bonitiert. Denn die Hühner fressen auch Mäuse, die im Obstbau hohe Schäden anrichten.

Foto: Brammert-Schröder

Obstbauern sind im Umgang mit Geflügel nicht geübt. Deshalb stehen ihnen während der Projektlaufzeit der landwirtschaftliche Berater Olaf Schmidt-Lehr, Kompetenzzentrum Ökolandbau Niedersachsen, sowie die Öko-Landwirtin und Putenspezialistin Christine Bremer zur Seite.

Insekten zählen und Ergebnisse bewerten

Welchen Effekt die Haltung von Puten und Hühnern auf die bedeutendsten Schädlinge in den Obstanlagen haben, wird in den drei Jahren des Projekts wissenschaftlich erhoben und bewertet. Die Geflügelausläufe und Vergleichsflächen werden regelmäßig von Bastian Benduhn und Christina Adolphi vom Versuchs- und Beratungsdienst Öko-Obstbau Norddeutschland (ÖON) bonitiert. Das heißt, sie ermitteln den Befall mit Schadinsekten. Dazu werden zum Beispiel 1 000 Früchte untersucht und der Anteil an befallenen Früchten wird errechnet. Diese Ergebnisse werden mit den Ergebnissen von Vergleichsflächen in Bezug gesetzt.

Dass Hühner und Puten eine Wirkung auf den Schädlingsbefall haben, wird vermutet, ist bisher aber noch nicht eindeutig wissenschaftlich bestätigt worden. Bastian Benduhn nennt den Apfelwickler als Leitschädling in der Region. „Was den Lebensraum des Apfelwicklers angeht, gibt es mit dem Lebensraum der Hühner eine große Ãœberschneidung. Eine Dezimierung des Schädlings wäre zu erwarten“, sagt der Obstbauberater. Allerdings sei der Apfelwicklerbefall in den Betrieben Quast und Augustin gering gewesen. Anders war es bei Mählmann. Hier gibt es nach Aussage von Benduhn einen massiven Befall mit Kirschfruchtfliegen, und auch die Kirschessigfliegen waren in diesem Jahr aktiv.

Auswirkung erst im kommenden Jahr zu sehen

Nur wenige Putenrassen sind für die Freilandhaltung geeignet. Die bronzefarbenen Puten, die im Alten Land auf den Betrieben Augustin und Mählmann in Apfel- bzw. Kirschplantagen gehalten wurden, gehören zur Rasse Kelly BBB. Sie haben Gras, Insekten und Larven, auch die des Apfelwicklers, sowie herabgefallene Kirschen und die darin enthaltenen Larven von Kirschfruchtfliege und Kirschessigfliege gefressen.

Foto: Brammert-Schröder

„Bei den bisherigen Bonituren haben wir zwischen Geflügelausläufen und den Vergleichsflächen keine Unterschiede gesehen“, erklärt der Berater. Für deutliche Effekte ist es noch zu früh, denn das Geflügel frisst die Larven, die sich erst im kommenden Jahr zu flugfähigen eierlegenden Insekten entwickeln werden. Das Projekt läuft noch zwei Jahre. Wenn die Erwartungen erfüllt werden, könnte die Geflügelhaltung in Obstanlagen offiziell ein Baustein in der ökologischen Bekämpfungsstrategie werden. „Aber die Effekte müssen sichtbar werden“, sagt Benduhn.

Ob die Schädlingsbekämpfung durch Hühner und Puten ein Baustein in der ökologischen Bekämpfungsstrategie sein wird, werden die nächsten Jahre zeigen. Das Projekt ist ein interessanter Ansatz – nicht nur für ökologisch wirtschaftende Betriebe. Denn neben den Effekten für die Schädlingsbekämpfung eignen sich Eier und Geflügel auch gut dafür, das Sortiment in der Direktvermarktung zu erweitern.

Studie: Obstanlagen als Geflügelausläufe https://www.oeko-komp.de/erzeuger-infos/#obst

Projekt-Webseite: www.eip-gefluegel-in-obstanlagen.bio

Imke Brammert-Schröder – LW 45/2019