Regionale Schlachtung in Hessen erfolgreich umsetzen

Zwei Ökomodellregionen stellen ihre Projekte vor

Durch den Strukturwandel im Ländlichen Raum sind in den letzten Jahren viele kleinere Schlacht- und Zerlegebetriebe in Hessen verschwunden. Gleichzeitig gewinnen eine regionale Herkunft und die Direktvermarktung tierischer Produkte eine immer größere Bedeutung. Daraus erwächst die Notwendigkeit, regionale Verarbeitungsmöglichkeiten und neue Vermarktungswege zu erschließen. Die Ökomodellregionen Lahn-Dill-Gießen und Wetteraukreis führen deshalb Projekte zur Mobilschlachtung durch. Am Donnerstag vergangener Woche wurden einige im Rahmen einer Online-Veranstaltung vorgestellt. Das LW war dabei.

Bei einer korrekt durchgeführten Weideschlachtung kommt keine Unruhe in der Herde auf. Die Tötung ist stressfrei und erfolgt im gewohnten Umfeld der Tiere.

Foto: Dr. Veronika Ibrahim

Um qualitativ hochwertiges Fleisch regionaler Herkunft zu erzeugen, braucht es neben den tierhaltenden Landwirtschaftsbetrieben auch ein gut aufgestelltes Netz an Schlacht- und Zerlegebetrieben. Vielen fehlt es aus unterschiedlichen Gründen an einer soliden Zukunftsperspektive, wodurch auch die Vernetzung der Akteure immer schwieriger wird. „Es geht uns darum, neue Vermarktungswege zu erschließen und vorhandene Schlachtstrukturen zu erhalten. Die Umstellung auf ökologische Erzeugung ist politisch gewollt, der Markt muss das aber auch hergeben“, so Margot Schäfer, Leiterin der Abteilung Ländlicher Raum des Lahn-Dill-Kreises. Die Ökomodellregionen Lahn-Dill-Gießen und Wetteraukreis sehen ihre Aufgabe darin, biologisch wirtschaftende Tierhalter und Schlachtbetriebe zusammenzubringen und ungenutzte Kapazitäten verfügbar zu machen, um das Konzept der Mobilschlachtung im Raum Mittelhessen zu etablieren. Die Veranstaltung thematisierte in erster Linie Schlachtverfahren für biologisch wirtschaftende Betriebe, die Veranstalter betonten aber, dass das Konzept der teil- beziehungsweise vollmobilen Schlachtung auch für konventionell wirtschaftende Betriebe eine interessante Alternative darstellen kann.

Projektmanagerin Marie-Charlotte Zeibig stellte den Schlachtsektor in der Region Lahn-Dill-Gießen vor. Dort gibt es circa 260 tierhaltende Biobetriebe, mit insgesamt rund 10 000 Rindern, 2 300 Schweinen, 4 800 Schafen und etwa 80 000 Legehennen. Das Interesse an der Mobilschlachtung sei in der Region groß, bisher werde es aber nur in der Geflügelhaltung umgesetzt. Der Lahn-Dill-Kreis verfügt dabei über 25 Schlachtstätten, im Kreis Gießen sind es 19, wobei hier etwa ein Drittel davon selbst schlachtende Metzgereien sind.

Regionale Produkte für Schulen und Kitas

„Wir haben uns sehr um die Vernetzung der verschiedenen Akteure bemüht. Ein Schwerpunkt war dabei, bio-regionale Produkte in die Gemeinschaftsverpflegung zu bringen“, erklärte Zeibig: „Es gab ein Pilotprojekt zur Schulverpflegung, außerdem war auch eine Berufsschule, an der Metzger ausgebildet werden, an dem Projekt beteiligt.“ Ein weiterer Schwerpunkt sei die Verwertung und Vermarktung von Althennen sowie das hessenweite Projekt „Hessisches Bio-Weiderind“, an dem auch die Ökomodellregion Wetteraukreis teilgenommen hat. Dieses Projekt soll helfen, die oft nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehenden Absatzwege für Rindfleisch aus biologischer Weidehaltung zu generieren.

Claudia Zohner von der Ökomodellregion Wetteraukreis stellte eine Grundlagenerhebung zu Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen der Region vor. Die Daten seien zwar von 2016, ließen aber deutliche Entwicklungstendenzen für den Landkreis erkennen. Der Wetteraukreis beheimatete 43 tierhaltende Bio-Betriebe und 47 Metzgereien im Jahr 2016. Die meistgehaltenen Tierarten waren mit Abstand Rinder (26 Betriebe), gefolgt von Geflügel (10 Betriebe), Schweinen (9 Betriebe), Schafen (5 Betriebe) und Ziegen (3 Betriebe).

In der Region wurden 658 schlachtfähige Rinder, 3 090 Mastscheine, 642 Schaf- und Ziegenlämmer sowie 6 760 Stück Geflügel im Befragungsjahr erzeugt. Für deren Schlachtung und Verarbeitung wurden fünf Schlachtbetriebe – darunter der Büdinger Schlachthof (das LW berichtete in Ausgabe 33/2020) –, zehn Metzgereien innerhalb der Region und sechs außerhalb des Landkreises in erreichbarer Nähe herangezogen. „Es wurden auch Hofschlachtungen für die Direktvermarktung durchgeführt“, ergänzte Zohner. Ein Großteil der geschlachteten Tiere werde an Privatkunden oder über Direktvermarktung abgegeben. Die Gastronomie und der LEH spielten hier kaum eine Rolle. „Eine sehr wichtige Erkenntnis für uns war die Tatsache, dass viele der befragten Metzgereibetriebe sich vorstellen konnten, Lohnschlachtungen und -verarbeitungen durchzuführen. Die Bereitschaft, Biofleisch zu verarbeiten ist also durchaus da“, so die Projektmanagerin.

Offene Schlachtkapazitäten ausnutzen

Eine weitere wichtige Erkenntnis sei der Überblick über die noch zahlreichen zur Verfügung stehenden Schlachtkapazitäten in der Region gewesen. So gab es im Wetteraukreis 2016 zum Beispiel offene Kapazitäten für die Schlachtung von 8 944 Schweinen, das waren 172 pro Woche. Von 29 befragten schlachtenden Betrieben gaben sieben an, sich in den nächsten zehn Jahren vergrößern zu wollen, sieben planten aber auch, den Betrieb ganz einzustellen. Grund dafür könnte die ungesicherte Betriebsnachfolge bei elf der befragten Betriebe sein.

Insgesamt gibt es aktuell im Wetteraukreis noch 34 EU-zugelassene Schlachtbetriebe, zwei davon mit eigenständiger Bio-Zertifizierung. Für Rinder steht zudem ein teilmobiler Schlachtanhänger zur Verfügung, für Geflügel ein vollmobiler, die Aufrüstung auf eine EU-Zulassung ist geplant. Als Konsequenz aus der Erhebung zu Tierbestand und Verarbeitungsstrukturen entstand ein Forum zur Vernetzung von Metzgern und Bio-Landwirten sowie die AG Bio-Fleisch, die in Zusammenarbeit mit dem Schlachthof Büdingen dessen Bio-Zertifizierung im April 2019 erarbeitete, außerdem erwuchs das Projekt „Bio-Fleisch aus der Wetterau“, an dem vier Rinder- und zwei Schweinehalter, die Schlachthausgenossenschaft Büdingen eG, ein Verarbeitungsbetrieb und ein Biogroßhändler beteiligt waren. Ziel war es, Großküchen mit regionalen Bio-Produkten zu versorgen.

EU-Recht schafft neue Grundlagen

Dr. Veronika Ibrahim vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz stellte die neuen EU-Regelungen und die Änderungen die sich aus den AFFL-Beschlüssen ergeben, vor (das LW berichtete ausführlich, siehe Bericht in Ausgabe 22/2021). „Die EU hat die zugrundeliegende Verordnung 853/2004 geändert. Der Paragraph 12 der Tier-LMHV wird damit ab August nicht mehr anwendbar sein“, erklärt Ibrahim. Sie nannte folgende Möglichkeiten der hofnahen oder mobilen Rinderschlachtung:

  • Schlachtung im EU-zugelassenen Schlachtraum auf dem Hof (Direktvermarkter),
  • Vollmobil: Schlachtung in mobiler Schlachteinheit/-hof,
  • Teilmobil: Schlachtung mit mobiler Schlachteinheit mit Bolzenschussbetäubung im Herkunftsbetrieb (Hoftötung).
  • Teilmobil: Weideschlachtung mit Kugelschuss (nur bei ganzjährig im Freien gehaltenen Rindern)

Bei der hofnahen Schlachtung entsteht durch das Auf- und besonders das Abladen und die Kopffixierung Stress bei den Tieren. Auch aus Gründen des Tier- und Arbeitsschutzes ist das als problematisch anzusehen, erklärte Ibrahim. Durch die mobile Schlachtung kann den Tieren der Weg bis zum betäubenden Kopfschuss stressfreier gestaltet werden. „Die EU hat mit der neuen Rechtslage den Tierschutz im Fleischhygienerecht gestärkt“, so Ibrahim. Richtungsweisend dafür seien das EIP-Projekt „Extrawurst“, das auf die Hoftötung von nicht im Freien gehaltenen Rindern abzielt, und das baden-württembergische Pendant „Schlachtung mit Achtung“ gewesen. Kernelemente stellten in beiden Projekten auch die Vermeidung von langen Lebendtransportzeiten sowie eine Verbesserung der Fleischqualität dar.

Auf die Fleischqualität kommt es an

Der Einfluss der prämortalen Belastungen auf die Fleischqualität dürfe nicht unterschätzt werden, waren sich Dr. Andrea Fink-Keßler vom Verband der Landwirte mit handwerklicher Fleischverarbeitung (vlhf) und Lea Trampenau von Innovative Schlachtsysteme (ISS) einig. Die Tiere verließen zur Schlachtung in der Regel ihr gewohntes Umfeld wodurch Stressreaktionen hervorgerufen würden, die sich auch auf physischer Ebene bemerkbar machten. Mögliche Reaktionen sind unter anderem starkes Schwitzen, Speicheln, Zittern oder Lautäußerungen. Es kann aber auch zu Drohgebärden und Fluchtreaktionen kommen.

„Natürlich beeinflussen auch prozessbezogene Aspekte wie Haltungsform aber auch Rasse oder Geschlecht der Tiere die Fleischqualität. Die direkten Einflüsse vor dem Tod spielen aber eine wesentliche Rolle. Besonders deshalb, weil wir diese durch die Wahl des Schlachtverfahrens direkt beeinflussen können“, erläutert Fink-Keßler. Stünden die Tiere so kurz vor dem Tod zu lange unter Stress, führe dies dazu, dass das in den Muskeln enthaltene Glykogen bereits vor dem Tod größtenteils abgebaut werde. Für den Reifeprozess des verarbeiteten Fleisches stehe dann nicht mehr ausreichend Glykogen zur Verfügung. Dadurch werde das Fleisch dunkel, fest und trocken. Außerdem werde zu wenig Milchsäure gebildet, wodurch die Säuerung des Fleisches ausbleibe.

Stressfrei Schlachten geht

„Bei den teilmobilen Verfahren der Weidetötung und der Hoftötung entfallen die prämortalen Belastungen“, erläuterten die Expertinnen. Bei der ganzjährigen Weidehaltung komme ein Bolzen- oder Kugelschuss zum Einsatz, bei saisonaler Stallhaltung erfolge die Betäubung mit dem Bolzenschuss in der für die Tiere vertrauten Umgebung. „Besonders wichtig ist, dass die Tiere, die auf der Weide vor den anderen Herdenmitgliedern getötet werden, keine negativen Signale aussenden. Es herrscht keine Unruhe durch Aufladen oder Separieren“, erläuterte Trampenau. Für die teilmobile Schlachtung stehen verschiedene Systeme zur Verfügung, deren Preisspanne je nach Ausstattung von knapp 9 000 Euro bis hin zu 70 000 Euro sehr breit ist. „Wichtig ist, dass wir durch die Verwendung des Systems auch einen Mehrwert schaffen. Fleischqualität ist Prozessqualität und das Produkt muss man am Ende auch entsprechend vermarkten“, sagte Fink-Keßler. Eine Direktvermarktung und Kooperationen, zum Beispiel mit der Gastronomie, böten sich hier an.

Aus Sicht des Landwirts ist die teilmobile Schlachtung deutlich weniger zeitintensiv. Be- und Entladen fallen weg, dadurch werden Zeit und Arbeitskräfte gespart. Aus Sicht der Schlachtunternehmen ergeben sich allerdings wichtige Fragen nach dem geregelten Transport der Tiere zur Zerlegestätte. „Ein erfolgreicher Ablauf muss immer gut zwischen den Vertragspartnern kommuniziert werden. Genaue Absprachen und die Einhaltung von Terminen sind für beide Seiten unerlässlich“, sind sich die Experten einig. Die Investitionen in mobile Schlachttechnik könnten zum Beispiel auch gemeinschaftlich getätigt werden. Nach neuer Rechtslage seien sogar Landkreis-übergreifende Kooperationen möglich.

Nischenprodukte vermarkten

Abschließend betonte Ibrahim: „Fleisch aus mobiler oder teilmobiler Schlachtung ist und bleibt ein Nischenprodukt und als solches muss es auch vermarktet werden. Besonders aber für die ländlichen Regionen hier in Hessen ist es eine wirklich gute Möglichkeit, neue Absatzwege – auch im Sinne des Tierwohls – zu erschließen.“

kbü – LW 29/2021