„Risiko raus“

Unfälle mit landwirtschaftlichen Maschinen vermeiden

„Bei den Unfällen mit tödlichen Verletzungen stehen die Unfälle mit Schleppern und anderen landwirtschaftlichen Fahrzeugen an erster Stelle,“ so Michael Engels, stellvertretender Geschäftsführer der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (LBG) Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland. Die LBG bot in Florstadt zum Titel „Risiko raus“, eine Sicherheits-Fortbildung an.

Von 1997 bis 2010 passierten allein im Bereich dieser LBG 88 tödliche Unfälle mit landwirtschaftlichen Maschinen. Unfallschwerpunkte sind umstürzende Fahrzeuge und Ãœberrollen von Personen, aber auch eingeschränkte Sicht und enge Platzverhältnisse mit großen Fahrzeugen sowie „langsame Fahrzeuge im Konflikt mit dem schnell laufenden Verkehr.“

Hans Dieter Levihn, Präsident des hessischen Lohnunternehmerverbandes.

Foto: Michael Schlag

Martin Heiland ist bei der Berufsgenossenschaft für Unfallprävention zuständig.

Foto: Michael Schlag

Martin Heiland, bei der LBG zuständig für Unfall-Prävention, nennt Ursachen: „Das Ladevolu­men wird immer größer, die Transporte, gerade zu Biogasanlagen werden weiter und „je größer der Schlepper, um so höher das Unfallrisiko, dessen muss man sich bewusst sein.“ Schlepper ab 160 KW tauchen überpro­portional häufig in der Unfallstatistik auf. 40 bis 60 km/h mit einem Gesamtgewicht von 40 t, „das geht in den LKW-Bereich“, so Heiland, wobei in der Landwirtschaft oft gilt: „Hohe Anhängerlast, hoch beladen.“

Fahrverhalten berücksichtigen

Auch könnten landwirtschaftliche Transporte sehr unter­schied­lich sein: Güllefass, Ballentransport, Pflug, „alle haben ein anderes Fahrverhalten“. Auch habe ein Güllefass mit 18 000 Litern ein ganz anderes Fahrverhalten als ein Fass mit 3 000 Litern „und wir haben junge und unerfahrene Fahrer, denen es Spaß macht, schnell zu fahren.“ Wobei Heiland immer noch findet: „Unfälle, die nur mit Sachschaden ablaufen, sind die besten – aus denen kann man lernen.“ Ein besonderer Knackpunkt im Unfallgeschehen seien die hydromechanischen Getriebe moderner Schlepper: „Die gefährliche Geschichte ist der Joystick“. Die Gefahr entsteht, wenn bei Straßenfahrt mit hoher Anhängerlast das hydrostatische Getriebe per Joystick als Motorbremsung eingesetzt wird, ohne dass die Bremse mit dem Fußpedal betätigt wird.

Marion Nesselrath informierte über besonders unfallträchtige Landmaschinen.

Foto: Michael Schlag

Florian Scondo vom ADAC erläuterte das eintägige Fahrsicherheitstraining.

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Dann bremst über den Motor zwar der Schlepper, die Druckluftbremse des Anhängers wird aber nicht angesprochen, auch leuchten die Brems­lichter nicht auf. Im schlimmsten Fall schieben dann zwei voll beladene Anhänger von hinten auf einen motorgebremsten Traktor, das Fahrzeuggespann knickt bei hoher Geschwindigkeit ein, der Schlepper stürzt um, die Anhänger stürzen hinterher. Martin Heiland schilderte Fälle aus der Arbeit der Berufsgenossenschaft: Ein 190-PS-Schlepper mit einem 15 Tonnen Anhänger fährt auf einer Wiese, das Fahrzeuggespann knickt bei der Fahrt hangabwärts ein, ein hinterer Reifen drückt sich von der Felge, der Schlepper stürzt um, der abreißende Anhänger zerdrückt die Kabine, der Fahrer wird getötet. Als mögliche Unfallursache nennt der Unfallbericht „die extrem starke Abbremsung des Fahrzeugs durch den hydrostatischen Antrieb.“ Je stärker die Beschleunigung des hydraulischen Getriebes eingestellt ist, um so stärker sei dann auch die Bremswirkung über den Joystick. „Die Hersteller kennen das Problem, aber sie bekommen es nicht hin,“ sagt Heiland, die Unfallursache gilt dann als Fahrfehler, wenn zum Bremsen das Fußpedal nicht betätigt wurde.

Konstruktionsbedingte Tücken

Heiland kennt noch mehr Fälle: Wieder ein großer Schlepper mit hydrostatischem Getriebe und angehängt zwei Doppelachsenanhänger mit Druckluftbremsanlage, beladen mit jeweils sieben t Kartoffeln, unterwegs mit rund 25 km/h auf einer Straße. Auch hier ergab die Rekonstruktion des Unfalls: Gas zurückgenommen mit Joystick, Bremswirkung auf den Traktor über Hydrostat, „aber keine Bremswirkung auf die Anhänger.“ Diese schieben auf den Schlepper, werfen ihn schließlich um, der 21-jährige Fahrer wird durch das Dach herausgeschleudert und vom Anhänger überrollt. Heiland verweist noch auf eine andere, ebenfalls konstruktionsbedingte Tücke im Zusammenhang mit der Druckluftbremse: Die beiden Bremspedale der Zugmaschine müssen vor der Straßenfahrt unbedingt verriegelt sein. Denn nicht immer steuern beide Bremspedale die Druckluftbremse der Anhänger an, bei manchen Herstellern ist sie mit nur einem Pedal verknüpft, manchmal das rechte, manchmal nur das linke Pedal. Ohne Verriegelung wird – bei Druck auf das falsche Pedal – die Druckluftbremse nicht angesprochen. Heiland warnt zudem vor Höchstgeschwindigkeiten von 60 km/h mit Schlepper: „Sie haben bei einem 60er Trecker mehr Nachteile als Vorteile“, sagt der Experte für Unfallverhütung, „und die Zeitersparnis gegenüber einem 40er Trecker ist zu vernachlässigen.“

Rückfahrkameras einsetzen

Ein wiederkehrendes Thema sind tödliche Unfälle beim Rückwärtsfahren mit großen landwirt­schaftlichen Maschinen. Hier empfiehlt die Berufsgenossenschaft: „Risiko raus durch den Einsatz von Rückfahrkameras“. Auf der Fortbildungsveranstaltung in Florstadt wurde ein schnell zu installierendes System gezeigt: Die Kamera ist mit einem Magneten an der Rückwand des Anhängers befestigt, ein Kabel überträgt das Weitwinkel-Bild des ganzen rückwärtigen Raums nach vorne auf einen Monitor in der Fahrerkabine - und große Gespanne haben nach hinten einen sehr großen toten Winkel, in dem sich im schlimmsten Fall Kinder aufhalten können. Die Kosten für ein Kamerasystem betragen um 600 €, möglich sind bis zu vier Bilder von vier Kameras auf einen Monitor. Am verlässlichsten – und besser als eine Funkstrecke – sei die Kabel-Verbindung zwischen Kamera und Monitor, rät Martin Heiland.

Transportarbeiten nehmen zu

„Wir sollten Unfälle vermeiden und die Akzeptanz in der Bevölkerung verbessern,“ sagt Hans Dieter Levihn, Präsident des hessischen Lohnunternehmerverbandes. „Transportarbeiten waren früher Fahrten vom Feld zur Betriebsstätte, heute sind es weitere Wege, größere Lasten und höhere Geschwindigkeiten.“ Der Bundesverband der Lohnunternehmer hat darauf mit neuen Leitlinien zur Verkehrssicherheit reagiert. Darin die Empfehlung, Schlepper und Erntemaschinen mit höchstens 40 km/h einzusetzen, und in Ortschaften maximal 30 km/h zu fahren. „Der Eindruck ist ein anderer als bei einem LKW,“ sagt Levihn, auch die Geräusche großer Stollenreifen würden anders wahrgenommen, und Levihn findet: „30 Kilometer kann man einhalten,“ und land- und forstwirtschaftliche Maschinen gehören nach den Leitlinien der Lohnunternehmer auch nicht auf die Autobahn.

Hofschlepper sind unfallträchtig

Auch Hofschlepper sind unfallträchtige Maschinen.

Foto: Michael Schlag

Nicht nur besonders große Traktoren, auch kleine, offene Hofschlepper sind unfallträchtige Maschinen, wie Marion Nesselrath anhand von Fällen aus der Berufsgenossenschaft berichtete: Ein Großballen stürzt beim Verladen von oben auf den Fahrer, ein schmaler Hofschlepper stürzt beim Rangieren um, der Landwirt wird heruntergeschleudert. „Hoflader mit schmaler Bauweise kippen im Schnitt einmal pro Jahr um,“ sagt Nesselrath, weil vor allem Knicklenker die Last vorne auf der Gabel stark nach außen verlagerten. Neue Hoflader müssen den Fahrer jetzt besser schützen: Seit Inkrafttreten der neuen Maschinenrichtlinie ab Januar 2010 dürfen Hersteller nur noch Hoflader mit Schutzdach ausliefern. Ausnahmen können gelten, wenn es im Betrieb keine Großballen gibt oder wegen „unverän­derbaren baulichen Gegebenhei­ten“, etwa in niedrigen Räumen, die höhe­ren Schutz­dächer nicht verwendbar wären. Die Durchfahrtshöhe eines Türsturzes nach oben zu erweiteren, gilt aber als zumutbar. Eine gute Vorsichtsmaßnahme sei zudem: „Sicherheitsgurte anlegen“, so Nesselrath. Dies werde jedoch zu wenig gemacht, deshalb haben neue Hoflader seitliche Sicherheitsvorrichtungen gegen das Herausschleudern – diese arbeiten zwangsweise, sind sie nicht geschlossen, startet der Hoflader nicht.

Fahrsicherheitstraining

Um die Sicherheit von Traktoren im Straßenverkehr zu verbessern, bietet die Berufsgenossenschaft ab jetzt gemeinsam mit dem ADAC landwirtschaftliche Fahrsicherheitstrainings auf dem ADAC-Trainingsgelände in Gründau an. „Wir haben die Anbaugeräte, die Sie auch in der Praxis benutzen“, sagt Florian Scondo vom ADAC. Geübt wird das Bremsverhalten mit und ohne Anhänger, die Gefahrenbremsung und der Einfluss verschiedener Beladungszustände „um Ihnen kontrolliert die Grenzen der Fahrphysik klarzumachen.“ Es enthält auf insgesamt neun Hektar Gefällestrecken, bewässerte Gleitflächen, um Gefahrensituationen auch bei niedrigen Geschwindigkeiten simulieren zu können, und Flächen, wo mit Wasserfontänen plötzliche Hindernisse simuliert werden, auf die mit scharfem Ausweichen („Elchtest“) reagiert werden muss (die Ãœbungsfahrzeuge sind mit Auslegern gegen Umstürze gesichert). Der Fahrsicherheitstrainer fährt dabei selbst nicht mit, hält aber eine Funkverbindung zum Fahrer, denn „der Trainer kann von außen viel besser beurteilen, was Sie tun.“ Vor Gefahrenbremsungen werden die Fahrer gefragt, welchen Bremsweg sie für das geplante Manöver annehmen würden. Solche Bremswegschätzungen hätten anschließend oft einen „Hallo-Wach-Effekt“, sagt Scondo, „denn viele können sich nicht vorstellen, welchen Einfluss der Beladungszustand hat.“ Das eintägige Fahrsicherheitstraining kostet 299 Euro, die Berufsgenossenschaft zahlt einen Zuschuss von 50 Euro, für Fahrer unter 23 Jahren übernimmt die BG die Hälfte der Kosten. Außerdem honoriert die GHV Darmstadt, die Versicherung der Berufsgenossenschaft, die Teilnahme mit einem Prämiennachlass von 20 Prozent für drei Schlepper auf fünf Jahre. Die Trainings mit landwirtschaftlichen Maschinen würden gut nachgefragt, es hätten sich bereits 130 Teilnehmer angemeldet. Die Trainings finden derzeit noch bis Mai 2012 und im Herbst von Oktober bis November statt. (siehe Bericht im LW 10, 2012, Seite 45) Hans Dieter Levihn von den hessischen Lohnunternehmern ist überzeugt davon: „Das kann ich jedem empfehlen – es sollte bei jeder Ausbildung Standard werden“.

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