Rotwild: Naturschutzleitart oder Risiko für den Wald?
Diskussionsveranstaltung des Waldbesitzerverbandes zur Jagd
Sollen Förster und Waldbesitzer ihre Nutzungsansprüche zukünftig an den Ansprüchen der Naturschutzleitart Rotwild orientieren, oder bleibt die Jagd ein wichtiger Bestandteil erforlgreicher Waldbaumethoden? Ganz so extrem waren die Gegenpositionen der beiden Redner auf der Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen in Baunatal nicht. Aber es ging kontrovers zur Sache.
Philipp Russell, Waldbesitzer aus Zierenberg und Kreisgruppenvorsitzender des Hessischen Waldbesitzerverbandes begrüßte als Moderator auch etliche Ehrengäste aus Politik, Verwaltung und seitens der Jagd. Mit den Referenten greife der Waldbesitzerverband ein aktuelles und zugleich konfliktbeladenes Thema auf. Er betonte, dass Rotwild zum Wald in Hessen gehöre, zugleich aber warnte er davor, diese Wildart mit weiteren Interessen zu überfrachten.Ungestörte Lebensräume
Dr. Andreas Kinzer von der Deutschen Wildtierstiftung beschrieb die Lebensraumansprüche des Rotwildes. Vor allem brauÂche der Deutschen bekanntestes Wildtier von Menschen ungestörte, großräumige Wald- und Offenlandräume. Er forderte, das Rotwild nicht mehr in Rotwildgebieten „einzusprerren.“
Rotwild sei eine Leitart für den Naturschutz, wie der Wolf. Denn wo sich Rotwild wohl fühle, können auch andere anspruchsvolle und bedrohte Arten leben. Eine Verbreitungskarte des Rotwildes zeige, wie notwendig der Bau von Grünbrücken über AutobahÂnen und Bahngleisen sei, um die Wanderung und den genetischen Austausch zu ermöglichen.
Ruhe vermeidet Schäden
In störungsfreien Gebieten sei Rotwild tagaktiv und halte sich gerne im Offenland auf. Auf Truppenübungsplätzen und in Nationalparks sowie in dem von der Wildtierstiftung bewirtschafteten Forschungsrevier könne das jederzeit beobachtet werden. Kinzer erläuterte eindrucksvoll an zwei Forschungsbeispielen, wie das Rotwild besonders im Winter durch sehr geringe Aktivität Pulsfrequenz und Körpertemperatur absenken kann. Das habe zur Folge, dass auch der NahÂÂrungsbedarf erheblich sinke und die Gefahr der Schäl- und Verbissschäden am Wald stark abnehmen würden. Tourismus, Forstwirtschaft und Jäger müssÂten ihre Nutzungsinteressen und -zeiten und -methoden an die scheue Wildart anpassen.
Waldbau mit der Büchse
Maximilian Freiherr von Rotenhan hielt ein engagiertes Plädojer für eine konsequente Absenkung der Bestände wiederkäuender Schalenwildarten auf ein waldverträgliches Maß. Nicht die Wilddichte, sondern die natürliche Verjüngung des Waldes sei Maßstab und Ziel für die Regulierung der Wildbestände. Er bezeichnete es als problematisch, dass in den Wäldern Deutschlands fast überall gepflanzte Bäume vor Wildverbiss geschützt werden müssen. Für den Aufbau struktur- und baumÂartenreicher Wälder sei dieser Verbissdruck nicht hinnehmbar. „Es wäre gut, wenn sich Jäger grundsätzlich als Gäste der Wald- und Grundstückseigentümer verstehen würden“, betonte der Betriebswirt und Waldbesitzer.
Die Jäger müssten den Zielen der Waldeigentümer folgen. Vielfach sei es jedoch anÂdersÂherum. Von Rotenhan bedauerte, dass noch immer in vielen Revieren gefüttert werde, obwohl bekannt sei, dass dies bei den Klimabedingungen in Deutschland nicht erforderlich sei. „Wenn die Wilddichte angepasst ist, gibt es auch keine Nahrungsengpässe und keinen übermäßigen Wildschaden am Wald.“
Dauerthema Wilddichte
Aus dem mit 150 Gästen gut gefüllten Saal kamen zu beiden Vorträgen kritische Fragen und Kommentare. Einigkeit bestand darin, illegale Fütterung zu unterbinden. Allerdings merkten Jagdpächter an, dass hohe Pachteinnahmen bei stark abgesenkten Wildbeständen nicht mehr zu erwarten seien. Die Wildtierstiftung vertrete nicht hohe Wildbestände, so Kinzer – in einigen Teilen Deutschlands seien die Wilddichten deutlich zu hoch. Damit wurde allen Beteiligten wieder deutlich, dass Konflikte nur regional angesprochen und gelöst werden können. Die GrundÂstückseigentümer als InhaÂber des Jagdrechts müssen mehr als bisher den Dialog mit den Jägern suchen, um ihre Ziele und Interessen zu verdeutlichen.
Christian Raupach