Saisonarbeitskräfte 2011 – nur begrenzte Erleichterung
Arbeitnehmerfreizügigkeit seit diesem Jahr noch nicht für alle EU-Bürger
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt ab diesem Jahr für eine Reihe von osteuropäischen Arbeitskräften. An den Regelungen zur Sozialversicherungspflicht ändert das aber nichts. Und auch für Bulgaren und Rumänen bleibt alles beim alten. Zur Thematik erläutert Dipl.-Ing. agr. Franz Huber Einzelheiten.
Für Bürger der bereits im Jahr 2004 der EU beigetretenen Mitgliedsländer (Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland und Litauen) tritt in diesem Jahr die volle ArÂbeitnehÂmerfreiÂzüÂgigÂkeit in Kraft. Das bedeutet: Bürger dieser Länder können innerhalb der EU arbeiten ohne dass sie dafür eine Arbeitserlaubnis beantragen müssen. Ein Einreisevisum war bisher schon nicht mehr notwendig. Länder wie Großbritannien haben ihren Arbeitsmarkt schon 2004 geöffnet. Ab Mai 2011 muss dies auch Deutschland tun. Dann laufen die deutschen Ãœbergangsfristen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Entsendung von Arbeitnehmern (Dienstleistungsfreiheit) aus. Seit dem 1. Januar 2011 ist für Beschäftigungsverhältnisse in der Land- und Forstwirtschaft, im Obst- und Gemüsebau sowie im Hotel- und Gaststättengewerbe keine Arbeitserlaubnis mehr notwendig. Die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit, nach der sich Bürger der acht neuen EU-Staaten ohne Beschränkung hierzulande einen Job suchen können, gilt erst ab 1. Mai 2011. Zusätzlich können osteuropäische UnterÂnehmen ihre Mitarbeiter in Deutschland arbeiten lassen – zu osteuÂropäischen Löhnen.Was bedeutet das für deutsche Arbeitgeber: Das bisher über die regional zuständige Arbeitsagentur abzuwickelnde Verfahren zur Vermittlung und Beschäftigung von Saisonkräften mit Einstellungszusage beziehungsweise Arbeitsvertrag entfällt für Bürger aus den oben genannten Staaten. Sie dürfen sich künftig drei Monate zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten. Wenn sie einen Job finden und ihr Leben durch Arbeit oder Vermögen bestreiten können, dürfen sie hier bleiben. Bürger aus den neuen EU-MitÂgliedstaaten sind deutschen Arbeitnehmern gleichgestellt – auch was die Rechte und Pflichten der Arbeitgeber betreffen. Es liegt künftig in der Verantwortung des inländischen Arbeitgebers, die für seinen Betrieb notwendigen Saisonkräfte zu organisieren. Nach derzeitigem Stand geht die Zuständigkeit innerhalb der Arbeitsverwaltung ab dem 1. Mai 2011 von den Arbeitsagenturen auf die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) über. Diese bietet als kostenfreie Dienstleistung weiterhin die Vermittlung von ausländischen Saisonarbeitskräften an.
Zum Arbeitsvertrag
Der Arbeitsvertrag ist direkt zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber auszuhandeln. Die bisherige Genehmigungspflicht durch die Arbeitsagentur entfällt. Der Abschluss eines schriftlichen Arbeitsvertrages emÂpfiehlt sich dringend, da ansonsten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis begründet wird. Der Lohn ist grundsätzlich frei verhandelbar, es sei denn, sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer sind Mitglied der TarifÂvertragsparteien. Allerdings darf nach unten die Grenze der Sittenwidrigkeit nicht unterschritten werden. Dies ist der Fall, wenn die Vergütung weniger als zwei Drittel eines in der Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Lohns beträgt.
Sozialversicherung im Wohnsitzstaat
Wichtig ist Folgendes: Hinsichtlich der SozialÂversicherungspflicht ändert sich nichts. Es stellt sich vielfach die Frage, welchem Recht die osteuropäischen Saisonarbeitskräfte während ihrer vorübergehenden Tätigkeit in Deutschland unterliegen und wie die SoÂzialverÂsicherungsbeiträge in die entÂÂsprechenden Mitgliedsstaaten abgeführt werden. Sind die SaisonarbeitsÂkräfte in ihrem Wohnsitzstaat als Arbeitnehmer beschäftigt und üben daneben eine Saisontätigkeit in DeutschÂland aus, unterliegen sie auch für die hierzulande ausgeübte Tätigkeit grundsätzlich den RechtsvorschrifÂten ihres Wohnsitzstaates. Denn nach wie vor gilt in der EU der Grundsatz, Arbeitnehmer sind in ihrem Wohnsitzstaat der Sozialversicherung zu melÂden. Wie bisher trifft den Arbeitgeber dabei die Pflicht festzustellen, welches Sozialversicherungsrecht anzuwenden ist. Grundlage dafür ist die bereits seit Mai 2010 geltende EU-Verordnung Nr. 883/2004 als Nachfolgeverordnung der VO EWG 1408/71. Die Kriterien der Zuordnung zum deutschen oder ausländischen SV-Recht haben sich nur in einem Punkt geändert: OsteuropäiÂsche Saisonarbeitskräfte, die in ihrem Heimatland in einem nicht-landwirtschaftlichen Bereich selbständig tätig sind, fallen unter das deutsche Sozialversicherungsrecht. Eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt und in einem anderen Mitgliedstaat eine ähnliche Tätigkeit ausüben will, unterliegt dagegen weiterhin den Rechtsvorschriften des Heimatstaates, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit 24 Monate nicht überschreitet.
Welche Besonderheiten gelten?
Für Saisonarbeitskräfte aus Rumänien und Bulgarien sowie dem Drittland Kroatien gilt dementsprechend noch nicht die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Da Rumänien und Bulgarien erst drei Jahre nach der ersten EU-Osterweiterung EU-Mitglieder geworden sind und Deutschland als eines von wenigen Alt-EU-Staaten Restriktionen des eigenen Arbeitsmarktes für den längstmöglichen Zeitraum anwendet, werden Arbeitnehmer aus diesen beiden Staaten voraussichtlich erst ab Januar 2014 einen vollkommen freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben.
Zuteilung nach Windhundprinzip
Das Verfahren zur Aufnahme einer Saisontätigkeit für Angehörige dieser Länder läuft wie gewohnt über die jeweils zuständige Arbeitsagentur beziehungsweise ZAV. Die bis einschließÂlich 2010 geltende betriebsbezogene Eckpunkteregelung wird ab 2011 durch eine Folgeregelung ersetzt. Diese sieht ein bundesweites Kontingent von 150 000 Arbeitskräften für Rumänen, Bulgaren, Kroaten und Sonstige vor, innerhalb dessen keine Vorrangprüfung stattfindet. Zur Einordnung: Im Jahr 2010 gab es neben den Polen (circa 175 000) für Rumänen, Bulgaren, Kroaten und Weitere insgesamt circa 112 000 Anforderungen (Quelle: Statistik ZAV). Deren Zuteilung erfolgt nach dem Windhundprinzip. Die Arbeitnehmer aus Rumänien, Bulgarien und Kroatien weisen ihre Sozialversicherungsfreiheit durch das seit Mai 2010 gültige Dokument A1 (bisher E101) nach.
Rechtssicherheit zum Thema Saisonarbeitskräfte bringt außerdem das Jahressteuergesetz 2010 mit sich, dessen Gesetzentwurf Ende Oktober 2010 vom Bundestag beschlossen wurde. Denn rückwirkend auf den Veranlagungszeitraum 2009 wird trotz Eintrag eines Werbungskostenfreibetrags auf der Bescheinigung für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer auf eine Veranlagung verzichtet, wenn der Arbeitslohn im Kalenderjahr den Betrag von 10 200 Euro nicht überschreitet. Für Ehegatten gilt eine erhöhte Grenze von 19 400 Euro. Eine Steuererklärung muss dann nicht mehr abgegeben werden.
Ursprünglich wurde im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2009 eine GesetÂzesänderung beschlossen, nach der ausländische Saisonarbeitskräfte erstmals eine Einkommensteuererklärung abzugeben hatten, wenn WerbungskosÂten auf der Lohnsteuerersatzbescheinigung eingetragen waren. Diese Regelung stieß auf starke Kritik, da sie in den meisten Fällen nur zu bürokratischem Aufwand für die Beteiligten geführt hat. Ein Steuermehraufkommen war damit nicht verbunden.
„Hürden“ gibt es nach wie vor
Festzuhalten bleibt, dass Landwirte, die Saisonarbeitkräfte aus Polen beschäftigen, ab diesem Jahr mit Erleichterungen rechnen können, da diese Beschäftigten keine Arbeitserlaubnis mehr benötigen. Allerdings sind nach wie vor alle Hürden hinsichtlich der Sozialversicherungspflicht zu nehmen.
Es ist zu vermuten, dass die bisher schon festzustellenden Engpässe bei der Rekrutierung osteuropäischer Saisonarbeitskräfte größer werden. Denn durch die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes ergeben sich zum Teil weÂsentlich attraktivere BeschäftigungsÂalternativen. Bei Saisonarbeitskräften aus Rumänien und Bulgarien bleibt alles beim alten. Hier ist erst ab dem Jahr 2014 damit zu rechnen, dass auch für diese Mitgliedstaaten die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt.
Um über die Neuregelungen und Verfahrensänderungen Näheres zu erfahren, sollten sich landwirtschaftliche Betriebsleiter, die Saisonarbeitskräfte beschäftigen, zuvor mit ihren Kreisbauernverbänden oder mit der Beschäftigungsgesellschaft für ländliche Räume mbH in der Pfützenstraße 67 in Griesheim unter der Rufnummer 06155/2020 in Verbindung setzen.