Saisonarbeitskräfte 2011 – endlich volle Freiheit?

BWV-Arbeitskräfteseminare: Freizügigkeit kommt in Raten

„(Saison-) Arbeitskräfte 2011 – endlich volle Freiheit?“, unter dieser Ãœberschrift informierte der Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd e.V. (www.bwv-rlp.de) Anfang November viele Mitglieder auf mehreren stark besuchten Informationsveranstaltungen in Rheinhessen und der Pfalz. Zentrales Thema waren die Auswirkungen der Freizügigkeit, die für die verschiedenen Personengruppen osteuropäischer Herkunft ab unterschiedlichen Zeitpunkten gelten.

Stets sollte schon vor Beginn jeder Beschäftigung ein Arbeitsvertrag abgeschlossen werden. Dies gilt besonders für befristete und Saison-Beschäftigungen.

Foto: Setzepfand

Allgemeine Freizügigkeit für EU-8-Länder ab Mai 2011: Der EU beigetreten im Mai 2004 sind die Länder Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Für Personen aus diesen Ländern war der deutsche Arbeitsmarkt zunächst in einer Übergangsfrist von sieben Jahre eingeschränkt. Ab dem Mai 2011, also nach den besagten sieben Jahren, gilt für Personen aus den genannten EU-8-Ländern die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie können dann also in allen Branchen in Deutschland tätig werden (wie Produktion, Handel oder Dienstleistungen) und sind nicht mehr auf die Bereiche Landwirtschaft und Weinbau, Gastronomie oder Schaustellerbetriebe beschränkt.

Markus Haberern vom BWV Neustadt/W. berichtete über die aktuellen Entwicklungen im Hinblick auf die ab dem 1. Januar 2011 geltenden Bestimmungen. Nachdem zunächst aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales angekündigt wurde, sämtliche landwirtschaftliche Saison-Arbeitskräfte aus den EU-Beitrittsländern schon ab Januar 2011 völlig freizustellen, sei dies zunächst durch das Bundeskanzleramt gestoppt worden.

Rumänen und Bulgaren weiterhin über Arbeitsagenturen einladen

Nach dem BWV vorliegenden Informationen von Anfang November 2010 müssten Mitarbeiter aus Rumänien und Bulgarien (EU-Beitritt zum 01.01.2007) bis auf Weiteres über die Arbeitsagenturen eingeladen werden. Weiterhin gehe man derzeit davon aus, dass die Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Landwirtschaft und Gartenbau für Mitarbeiter aus den EU-8-Ländern Polen, Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn nach wie vor für den 1. Januar 2011 eintrete. Eine abschließende Entscheidung hierüber stehe jedoch noch aus, so dass betroffenen Arbeitgebern dringend empfohlen werde, auf entsprechende Veröffentlichungen zu achten oder sich bei den BWV-Geschäftsstellen Auskunft zu holen. Ebenfalls vorgestellt wurden weitere Auswirkungen der Freizügigkeit.

Inwieweit sich durch die allgemeine Freizügigkeit ab Mai 2011 für EU-8-Personen ein Wettbewerb zwischen den einzelnen Branchen entwickelt, bleibt laut Haberern abzuwarten. Nach seinen Angaben sei in der überregionalen Tagespresse sowie in der Fachpresse der übrigen Wirtschaftsbranchen schon jetzt eine rege Behandlung des Themas Freizügigkeit zu beachten.

Der Referent ging noch auf das Internetportal der SinD GmbH ein, wo sich arbeitskräftesuchende Unternehmen aus der Landwirtschaft unter www.saisonarbeit-in-deutschland.de direkt in den wichtigsten Herkunftsländern für Saison-Arbeitskräfte präsentieren könnten. Arbeitssuchende Personen aus Polen, Rumänien und Bulgarien könnten die Betriebspräsentation in ihrer Heimatsprache einsehen und sich über Beschäftigungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft in Deutschland informieren. Haberern verwies abschließend auf die regelmäßigen Rundschreiben des BWV zur Saison-AK-Thematik.

Bei Wegfall der Einladung auf Arbeitsvertrag achten

Die Einführung der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat weitgehende Auswirkungen auf die Eigenverantwortung der Arbeitgeber im Hinblick auf das Arbeitsrecht sowie das Tarifrecht. Darauf wies Joachim Schneider vom Landwirtschaftlichen Arbeitgeberverband Rheinhessen-Pfalz e.V. (www.bwv-rlp.de/lav) hin. Durch den Wegfall des Einladungsformulars für die Arbeitsagentur falle auch die schützende Funktion dieses Formulars als Arbeitsvertrag aus. Der BWV empfehle daher dringend den Abschluss von speziellen befristeten Arbeitsverträgen, um nicht durch fehlende Regelungen Rechtsstreitigkeiten zu riskieren.

Schneider riet dazu, den Arbeitsvertrag stets vor Arbeitsbeginn unterschreiben zu lassen. Ansonsten laufe man Gefahr, dass wesentliche Regelungen (wie die Befristung) im Streitfall vor Gericht nicht anerkannt würden. Zu diesem Zweck entwickle der Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd e.V. derzeit Vertragsmuster, die eigens auf die Rahmenbedingungen in Landwirtschaft und Weinbau ausgerichtet seien und in Kürze den BWV-Mitgliedern zur Verfügung gestellt würden. Dabei sei zu unterscheiden zwischen Arbeitsverträgen mit und ohne Bindung an den landwirtschaftlichen Tarifvertrag sowie befristeten und unbefristeten Verträgen. Bei den befristeten Verträgen gebe es zudem je nach Einsatzzweck und Notwendigkeit noch weitere Untervarianten. Nach Fertigstellung seien die Musterverträge dann bei den BWV-Bezirksgeschäftsstellen zu erhalten.

Hingewiesen wurde weiterhin auf die rechtlich verpflichtende Zusatzversorgung der fest eingestellten Arbeitnehmer über das „Zusatzversorgungswerk für Arbeitnehmer in der Land- und Forstwirtschaft“ (www.zla.de). Bei Arbeitsverhältnissen über sechs Monate müssten 5,20 Euro/Monat für alle rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer und Azubis (mit Ausnahme der Elternlehre) abgeführt werden. Daraus entstünde bei Erfüllung der Wartezeit und ausreichender Dauer der Beitragszahlung bei Beginn des Bezugs der gesetzlichen Altersrente eine kleine Zusatzrente.

Sozialversicherung bleibt kompliziert

Abschließend ging Sascha Krause von der LBR-Steuerberatung GmbH Alzey (www.lbr-steuerberatung.de) auf die Auswirkungen der Freizügigkeit auf die Sozialversicherung und die Lohnsteuer ein. Er betonte, dass jede noch so geringe Zahlung von Lohn zu melden sei, der Betrieb für jeden einzelnen Mitarbeiter ein Lohnkonto mit den entsprechenden Unterlagen und Nachweisen führen müsse.

Es bleibe unverzichtbar, von jeder Saison-AK vor Beginn eines jeden Arbeitsabschnittes aussagefähige Unterlagen über deren Beschäftigungs- und Versicherungsstatus im Heimatland einzufordern. Insgesamt gesehen sei es durch die in jedem Herkunftsland unterschiedlichen Beitragssätze zwischenzeitlich für viele Betriebe fast unmöglich, immer den aktuellen Rechtsstand fehlerfrei anzuwenden. Insbesondere, wenn im gleichen Betrieb AK aus Polen, Rumänien und vielleicht auch Bulgarien zum Einsatz kämen.

Zusätzlich wurde eine Beispielskalkulation eines festangestellten Mitarbeiters ausführlich dargestellt sowie die Einbeziehung von Sachbezügen wie Unterkunft und Verpflegung in die Sozialversicherungs- und lohnsteuerliche Abrechnungen. Friedrich Ellerbrock, Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd e.V.

Ganz aktuell

Zwischenzeitlich wurde die auf den Seminaren vorgestellte Ankündigung bestätigt: Ab dem 1. Januar 2011 können Saisonarbeitskräfte aus den EU-8-Ländern (Polen, Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn) ohne Arbeitsgenehmigung in der Landwirtschaft arbeiten. Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Ursula von der Leyen, hat die entsprechende Verordnung jetzt unterzeichnet, die Veröffentlichung wird demnächst erfolgen. Damit ist das Einladungsverfahren über die Arbeitsagenturen für diese Personen hinfällig. Saison-AK aus Bulgarien und Rumänien müssen weiterhin wie gehabt eingeladen werden. bwv, Stand 18. November 2010