Schafhalter zeigen vor dem EuGH Flagge

Anhörung in Sachen elektronische Kennzeichnung

Vorletzte Woche fand eine mündliche Anhörung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg statt.Verhandelt wird dort die Klage eines Schafhalters aus Baden-Württemberg gegen die verpflichtende elektronische Kennzeichnung und die Einzeltierkennzeichnung für Schafe und Ziegen. Unterstützt wird die Musterklage von der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände (VDL). Arnd Ritter war dabei und berichtet.

Schäfer aus vielen Teilen Deutschlands nahmen Anfang März den weiten Weg zum EuGH nach Luxemburg auf sich, um ihrem Wunsch nach Erleichterungen bei der Tierkennzeichnung Nachdruck zu verleihen.

Foto: Günther Dierichs

Die verpflichtende elektronische Kennzeichnung und die Einzeltierkennzeichnung für Schafe und Ziegen und die damit verbundenen bürokratischen Auflagen zu kippen, ist ein Anliegen, das viele Schaf- und Ziegenhalter in der EU teilen. Alle Bemühungen auf Länder- und Bundesebene, Unterstützung der Behörden zu bekommen mit dem Ziel einer Lockerung der Vorschriften auf ein praktikables Maß, waren erfolglos geblieben. Diesen langwierigen und teuren Rechtsstreit mit der EU-Kommission aufzunehmen, blieb als letzte Möglichkeit, eine entsprechende Änderung herbeizuführen.

Für Seuchenprävention unnütz

Spätestens seit Einführung der elektronischen Kennzeichnung für Schafe und Ziegen in der EU zum 1. Januar 2010 regt sich erheblicher Widerstand bei den Tierhaltern. Schon die Einführung der Einzeltierkennzeichnung für alle Schafe und Ziegen im Sommer 2005 stieß nur zwei Jahre nach Einführung einer Bestandskennzeichnung auf Unverständnis. Die Einführung der neuen und teuren Technik brachte das Fass zum Überlaufen.

Der damalige Spenden-Aufruf der VDL zur die Finanzierung der mehr als 50 000 Euro teuren Musterklagen fand unter den hessischen Schaf- und Ziegenhaltern spürbaren Widerhall. Hauptkritikpunkte der Tierhalter sind unter anderem:

  • Keine relevante Verbesserung der Seuchenprävention (Hauptgrund für die Einführung der strengen Kennzeichnungsvorschriften),
  • Tierschutzrelevanz wegen ausreißender Ohrmarken,
  • Teure Technik ohne entsprechenden Nutzen für die Seuchenprävention und die Schafhalter,
  • Unverhältnismäßig hoher bürokratischer Aufwand für die in der Regel extensiv wirtschaftenden Tierhalter verbunden mit harten Strafen bei Nichteinhaltung,
  • Einseitige Benachteiligung gegenüber Haltern anderer Tiergattungen (Schwein, Rind), die nicht elektronisch oder nicht einmal individuell kennzeichnen müssen.

Insgesamt konnte der hessische Verband für Schafzucht und -haltung 2010 nach einmaligem Aufruf mehr als 8 000 Euro an Spendengeldern an die Dachorganisation weiterleiten.

Doch wer vor dem EU-Gerichtshof bestehen will, braucht nicht nur die entsprechenden Finanzmittel, sondern auch einen langen Atem.

Kompliziertes Verfahren

Zu Beginn des Klageverfahrens, als drei Musterklagen in drei verschiedenen Bundesländern angestrengt wurden, war noch nicht klar, ob die obersten Landesgerichte den EuGH in der Sache anrufen würden. Zwei Klagen wurden auf Landesebene abgewiesen. Doch die Richter in Baden-Württemberg beurteilten die Klage des dortigen Schäfers als so stichhaltig, dass sie das Verfahren tatsächlich an den EuGH weiterreichten. Dies kann als Etappensieg gewertet werden, der den Einsatz und das Risiko aller Beteiligten aber auch das besondere Engagement des beauftragten Anwalts Dr. Winkelmüller belohnt hat.

Rund 40 Schäfer aus ganz Hessen und angrenzenden Bundesländern fuhren vorvergangene zum EUGH nach Luxemburg, um den dortigen Richtern anlässlich der mündlichen Anhörung der Parteien zu zeigen, dass das Anliegen des klagenden Berufskollegen aus BW gegen die EU-Kommission eine breite Unterstützung genießt. Vor dem Gerichtssaal in Luxemburg fanden sich dann fast 300 interessierte Schafhalter aus Deutschland und weiteren EU-Staaten ein. Im Großen Sitzungssaal konnten sie dem Geschehen aus nächster Nähe folgen.

Einige EU-Mitgliedsstaaten hatten neben den beteiligten Parteien des Rechtsstreits die Möglichkeit genutzt, eine Stellungnahme zum Sachverhalt vorzutragen. Die Bundesregierung hatte auf diese Möglichkeit verzichtet.

Die Ausführungen der Vertreter der EU-Kommission und von verschiedenen Mitgliedsstaaten trafen auf deutlich wahrnehmbare Unruhe unter den Schäfern, wenn etwa Sachverhalte verzerrt dargestellt wurden.

So machten die Zuhörer auf eine deutliche aber noch respektvolle Weise klar, was die Praktiker von den Redebeiträgen hielten. Als hätten die Richter das verstanden, nahmen sie gerade diese Vertreter anschließend „ins Kreuzverhör“ und versuchten den Wahrheitsgehalt der Aussagen zu überprüfen. Dabei zeigten sich die Befürworter der geltenden EU-Verordnung zum Teil als nicht ganz sattelfest in Fragen der Auswirkungen der Re­gularien und den Verhältnissen bei den anderen Tiergattungen.

Entscheidung im Sommer

Die Entscheidung über die Klage ist erst im Laufe des Sommers zu erwarten. Bis dahin können die beteiligten Parteien ihre Positionen durch weitere Eingaben untermauern. Der Ausgang des Verfahrens ist bislang völlig offen, doch die Gäste aus den Reihen der hessischen Schäfer und ihre Berufskollegen aus den anderen Bundesländern waren sich sicher, dass sich die Fahrt zur mündlichen Anhörung vor dem EuGH und alle anderen bisherigen Anstrengungen gelohnt haben.

Die Schäfer kämpfen ihren Kampf in der Gewissheit einer großen Solidarität aller Betroffenen und für das Erhalten der Schaf- und Ziegenhaltungen in der EU. Dabei richten sie sich keines Falles gegen vernünftige Regelungen zur Dokumentation und Kontrolle des Tierverkehrs und der Seuchenprävention, sondern bekunden eigenes Interesse daran, eine Bestandkennzeichnung ihrer Tiere in geeigneter Form zu gewährleisten, um so eine Rückverfolgbarkeit der Tiere und aller Produkte zum Herkunftsbetrieb im Interesse der Verbraucher und im Interesse der Seuchenprävention zu ermöglichen.

Wenn der Gerichtshof zugunsten der Schaf- und Ziegenhalter entscheiden sollte, handelt es sich um die erste Entscheidung, mit der eine EU-Verordnung für unvereinbar mit den EU-Grundrechten erklärt wird, weil sie zu einer Überbürokratisierung geführt hat.

 – LW 12/2013