Schwimmender Kuhstall im Hafen von Rotterdam

LW-Leser bereisten Holland und Flandern

Während einer Flusskreuzfahrt nach Holland und Flandern besuchten Leser landwirtschaftlicher Wochenblätter kürzlich eine sogenannte Floating Farm, einen schwimmenden Kuhstall im Hafen von Rotterdam. Wie kommt man auf die Idee, so etwas zu gestalten, was steckt dahinter? Die mitreisenden Milchbauern sahen das Projekt eher kritisch.

Die Floating Farm ist ein schwimmender Kuhstall für 38 Tiere, der im Hafen von Rotterdam liegt. Die Stromversorgung erfolgt durch Solarmodule. Über einen Steg gehen die Tiere auf die Weide.

Foto: Brüggemann

Noch vor 100 Jahren wurden nennenswerte Mengen an Nahrungsmitteln in Städten in kleinen Gärten produziert, was im Laufe der Jahre durch vermehrten Wohnungsbau immer weniger wurde. Die Verbindung der Stadtbewohner zur Nahrungsmittelproduktion entfernte sich immer mehr. Bis heute fehlt vielen Bürgern der Ballungszentren das Verständnis für Landbevölkerung und Landwirtschaft.

Obst und Gemüse in der Stadt erzeugen?

Während der Reise begegneten wir schon in Amsterdam einem Projekt, das als „Urban Farming“ beschrieben war. An einer Schnellstraße neben dem Bahnhof, wurden auf einer kleinen Fläche (200 mal 5 m) Obst und Gemüse abgebaut. Der Begriff ist ein weltweiter Trend mit Ursprung in New York und bedeutet soviel wie Anbau von Nahrungsmitteln in städtischer Umgebung. Natürlich sind so keine nennenswerten Mengen an Nahrungsmitteln zu erzeugen, es bringt das Thema aber näher an den Verbraucher und hilft, Städte zu begrünen. Um Schadstoffbelastungen der Früchte in Grenzen zu halten, ist es dann sicher erforderlich, die Emissionen des Straßenverkehrs zu reduzieren.

Seit 2019 gibt es im Rotterdamer Hafen, dem größten Hochseehafen Europas, ein Pilotprojekt, wo heute 38 Kühe auf einem schwimmendem Ponton gehalten werden. Lebensmittel dort zu produzieren, wo viele Verbraucher leben, ist auch hier eines der Ziele des Projektes. Initiator Peter van Wingerden empfing uns in seinem Kuhstall und stellte sein Projekt vor. Die Idee entstand, als er als Architekt in New York arbeitete und die Stadt 2012 durch den Sturm „Sandy“ überflutet wurde. In Manhattan und Teilen New Yorks waren keine Nahrungsmitteltransporte möglich und die Regale in den Geschäften leerten sich. Da ein Großteil der Landesfläche der Niederlande unter dem Meeresspiegel liegt, hat man ein anderes Verhältnis zu Wasser als anderswo. So entstand die Idee, bei zukünftig steigenden Meeresspiegeln, Nahrungsmittel auf schwimmenden Einheiten zu produzieren. Es wurde ein schwimmender Kuhstall im Hafen von Rotterdam gebaut, den van Wingerden mit drei weiteren Investoren für 3 Millionen Euro ohne staatliche Unterstützung baute. Der Kuhstall besteht aus drei Ebenen. Unter den Kühen wird die Milch verarbeitet und im unteren Bereich werden die Exkremente aufgefangen. Gemolken wird mit einem Melkroboter, die Milch wird vor Ort von zwei Mitarbeitern weiterverarbeitet.

Milch wird direkt verarbeitet und im Hofladen vermarktet

Die Kühe der Rasse Maas- Rhein-Ijssel-Rind produzieren täglich 700 bis 800 Liter Milch mit 4,5 Prozent Fett und 3,4 Prozent Protein, die direkt verarbeitet wird. Milch, Buttermilch, Joghurt und Käse werden über einen eigenen Hofladen vermarktet. Schwimmende Solarzellen versorgen den Stall mit Strom, Regenwasser wird aufgefangen und als Trinkwasser genutzt. Es gibt einen Steg, damit die Kühe an Land gehen können, um auf einer angrenzenden Weide zu grasen. Der Betrieb hat 40 Mitarbeiter, davon 12 fest angestellt. Die Genehmigung für den Stall war natürlich nicht einfach und hat vier Jahre in Anspruch genommen.

Um Kreisläufe zu gestalten, kommt das Futter der Tiere möglichst aus der Stadt. Gras und Heu aus Parks, von Sport- und Golfplätzen, Abfälle der „Tafel“ und andere Bioprodukte, die monatlich auf Rückstände untersucht werden. Zunächst wurde ein Vertrieb der Produkte auch über größere Abnehmer aufgebaut, der dann in Coronazeiten wieder zusammenbrach. Also baute man einen eigenen Hofladen, über den heute 25 Prozent der Erzeugnisse verkauft werden. „Wir hätten beinah Insolvenz anmelden müssen,“ erzählt van Wingerden, „wir waren für Coronahilfen nicht beihilfeberechtigt und mussten sehen, wie wir klarkamen. Zwischenzeitlich mussten wir den Betrieb zwei Jahre schließen. Bei der vielfältigen Futtergrundlage für unsere Tiere und den lokalen Kreisläufen unseres Projektes bekommen wir kein Bio-Label.“ Man arbeite nach den Vorgaben also nicht „biologisch“, jedoch „logisch“, betonte Peter van Wingerden.

Wenn ein solches Projekt in Privatinitiative ohne staatliche Unterstützung und auf eigenes Risiko verwirklicht wird, verdient es hohe Anerkennung! Mutige Menschen wie Peter von Wingerden und seine Frau Minke werden gebraucht, um Zukunft zu gestalten.

Carsten Brüggemann – LW 45/2023