Vollweide ermöglicht neue Perspektiven

Erfahrungen mit dem Low-Cost-System Kurzrasenweide

Das Vollweidesystem wird seit Langem in Neuseeland und Irland praktiziert. Auch aus der Schweiz und Frankreich liegen positive Erfahrungen vor. Der Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen überprüft mit einem Pilot- und Beratungsprojekt, ob die in anderen Ländern gemachten guten Erfahrungen auf hiesige Grünlandgebiete übertragbar sind. Über die bisherigen Ergebnisse berichtet Dr. Richard Neff vom LLH, Eichhof.

Eine gut geführte Kurzrasenweide weist über die gesamte Weideperiode eine Wuchshöhe von 7 bis 8 cm auf.

Foto: Dr. Neff

Die Grundfuttererzeugungskosten wachsen angesichts hoher Maschinen- und insbesondere auch steigender Treibstoffkosten ständig. Demgegenüber ist der Milchpreis über Jahre gesunken. Auf welchem Niveau er sich mittel- und langfristig einpendeln wird, bleibt ebenso abzuwarten wie die Entwicklung der Kraftfutterpreise und deren Anteil an den Milcherzeugungskosten. Betriebswirtschaftliche Grundregel ist: Bei sinkenden Produktpreisen und erhöhten Produktionsmittelkosten sinkt die spezielle optimale Intensität!

Neuer Ansatz für Grünlandregionen

Für Grünlandregionen gibt es einen völlig anderen Ansatz zu höherer Effizienz beziehungsweise besserem wirtschaftlichem Erfolg als die Maximierung der Jahresmilchleistung je Kuh. Beim Low-Cost-System Vollweide in der Milchproduktion werden konsequent alle Kostenpositionen so weit wie möglich minimiert. Am wichtigsten dabei sind der Arbeitsaufwand sowie die Futter- und Fütterungskosten je kg Milch. Der Gesamtarbeitszeitbedarf zur Erzeugung einer bestimmten Milchmenge ist beim Vollweidesystem deutlich geringer als bei Hochleistungssystemen. Die Vollkosten für konserviertes Futter und für Kraftfutter betragen ein Vielfaches der Kosten für Weidefutter. Geeignete Betriebsstrukturen vorausgesetzt, kann bei konstanter Produktionsmenge die Steigerung des Weideanteils daher zu besseren Effekten führen als die Erhöhung der Einzeltierleistung. Ausgehend von Irland und der Schweiz wird mittlerweile auch in vielen Regionen Deutschlands versucht, durch Blockabkalbung im Frühjahr und Ausdehnung der Weideperiode im Frühjahr und im Herbst den Anteil der Weide an der Jahresfutterration konsequent zu maximieren. Das Vollweidesystem ist durch folgende Vorteile gekennzeichnet:

  • keine Stallfütterung während der Weideperiode, kein Gülleanfall,
  • Reduktion der Futterkonservierung auf den Winterbedarf,
  • Vereinfachte Futterrationen, nur Grassilage und/oder Heu während der Stallperiode,
  • kein Melken von Mitte Dezember bis Ende Januar,
  • bessere Tiergesundheit und längere Nutzungsdauer von Kühen,
  • sinkende Tierarztkosten,
  • Minimierung der problematischen Nährstoffüberschüsse im „Betriebszweig Milchproduktion“.

Vier Betriebe beteiligen sich an dem Projekt

Vier Betriebe aus verschiedenen Teilen Hessens (Lahn-Dill-Kreis, Landkreis Hersfeld-Rotenburg, Odenwaldkreis, Landkreis Fulda) beteiligen sich an dem Projekt. Ihre Flächenausstattung reicht von 45 bis 126 ha LN und die Grünlandanteile von 51 bis 100 Prozent. Mit 28 bis 70 Kühe je Betrieb unterscheiden sich die Herdengrößen deutlich. Auch die Verfügbarkeit von Weidefläche ist sehr verschieden und hat Auswirkungen auf die Weideführung. Die Spanne reicht von 0,26 bis 0,42 Hektar je Kuh. Ackerfutter wird nicht auf allen Betrieben angebaut. Zwei Projektbetriebe erreichen durchschnittliche Milchleistungen über 7.500 kg/Kuh und liegen damit auf einem für das Vollweidesystem sehr hohen Leistungsniveau, das auf den noch etwas höheren Kraftfutteraufwand zurückzuführen ist.

Weidemanagement erfordert Anpassungen

Vor der Projektbeteiligung praktizierten alle beteiligten Betrieben ein mehr oder weniger konsequentes Umtriebs- beziehungsweise Portionsweidesystem und versuchten dies im Rahmen der strukturellen Gegebenheiten an eine Kurzrasenweide anzunähern. Darunter ist im Idealfall eine Standweide zu verstehen, deren Aufwuchs während der gesamten Weideperiode eine mittlere Wuchshöhe von 7 bis 8 cm aufweist. Steuergrößen dafür sind die Düngung und der Viehbesatz, beziehungsweise die Flächenzuteilung. Wird der Aufwuchs durch zu großzügige Zuteilung höher, nimmt die Selektionswirkung und damit der Pflegeaufwand zu. Zeit- und kostenaufwändige Pflege durch Nachmahd aber vernichten Futter und verteuern die Produktion. Andererseits reduzieren Bestandeshöhen von weniger als 6 cm die Futteraufnahme und führen zu Leistungsein­bußen. Wichtigste Regel der Kurzrasenweide ist frühzeitiger Auftrieb im Frühjahr, am besten schon als Vorweide. Bestände, deren erster Aufwuchs eine kritische Höhe von 10 cm überschritten haben, lassen sich durch Maßnahmen der Weideführung meist nicht mehr auf die optimale Bestandeshöhe einstellen, auch nicht über die ganze Vegetationsperiode hinweg. Hier wird dann eine kostenträchtige Nachmahd notwendig.

Positive Entwicklung des Pflanzenbestandes

Seit Projektbeginn gilt eine mittlere Bestandeshöhe von 8 cm als Orientierungshilfe für die richtige Flächenzuteilung. Dies wird von den Betriebsleitern mehr oder weniger konsequent beachtet. Die Weideintensität hat sich mit dem Einstieg in das Projekt dadurch in der Regel erhöht, und führte auf den meisten Flächen zu einer Narbenverbesserung. Die Pflanzenbestände der Projektbetriebe entwickelten sich dadurch insgesamt positiv. Bei aller Heterogenität haben vor allem das zur intensiven Weidenutzung bestens passende Deutsche Weidelgras und die ausgesprochene Weideleguminose Weißklee zugenommen. Sie vertragen häufigen Verbiss und reagieren auf Trittwirkung mit Bestockung und dichter Narbe. Sichtbar wird die Narbenverbesserung aber auch am Rückgang der großen Ampferarten (Stumpfblättriger und Krauser). Wo sie zu Projektbeginn mit signifikanten Mengen auftraten, wurden bereits im zweiten Jahr nur noch Spurenvorkommen bonitiert. Auf Kurzrasenweiden herrscht hoher Weidedruck und der mit dem niedrigen Aufwuchs einher gehende Futterwert ist hoch. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Grasarten wenig, weil ihre zum Teil großen Qualitätsunterschiede erst später auftreten, wenn Halm und Blätter stärkerer differenzieren. Die Kühe nehmen vor allem sehr junges, hochwertiges Futter auf fressen in diesem Zustand auch Arten, die sie sonst verschmähen würden. Dazu zählen Ampfer und andere Minderwertige. Ihren Bedarf an Futterstruktur beziehungsweise Rohfaser decken die Tiere an den physiologisch älteren Geilstellen und sorgen so dafür, dass auch dort wenig beliebte Arten nicht ungehindert aussamen und sich nicht ausbreiten können. Die Selektionswirkung ist daher auf Kurzrasenweiden deutlich geringer als etwa auf Umtriebsweiden, und die sonst standardmäßig notwendige Nachmahd kann in der Regel unterbleiben. Dass auch junge Rasenschmiele gelegentlich verbissen wird ist bekannt. Möglicherweise kann die Kurzrasenweide sogar dazu beitragen, dieses lästige Ungras im Bestand zu reduzieren. Erste Beobachtungen geben Anlass zur Hoffnung. Die durchweg positiven Effekte der Kurzrasenweide auf die Narbenentwicklung sind nur zu realisieren, wenn das Weideverfahren als solches gelingt. Das heißt, dass die Pflanzenbestände im Mittel eine Wuchshöhe von 7 bis 8 cm aufweisen. Dazu bedarf es einer gewissen Ãœbung und Selbstkontrolle, zu der anfangs auch regelmäßiges Messen der Grashöhe gehört. Die wichtigste Steuergröße dafür ist die Flächenzuteilung. Extreme Witterungsverläufe, häufig Ursache enormer Variation in der Futterproduktivität, können beachtliche zusätzliche Probleme verursachen. Flächenstarke Betriebe mit Reservekoppeln beziehungsweise zusätzlichen Herbstweiden können darauf leichter reagieren.

Betriebsleiter machen positive Erfahrungen

Im Frühjahr aus dem „Maul gewachsen“ ist eine Kurzrasenweide durch Maßnahmen der Weideführung nicht wieder auf 7 bis 8 cm einzustellen. Hier muss eine aufwändige Nachmahd erfolgen.

Foto: Dr. Neff

Trotz einiger Schwierigkeiten, welche die Betriebsleiter während des Projektverlaufs zu bewältigen hatten, sind ihre bisherigen Erfahrungen mit dem Vollweidesystem und der Kurzrasenweide je nach Ausgangslage verschieden, aber durchweg positiv. Folgende Beobachtungen wurden gemacht:

  • Konsequente Einhaltung der angestrebten Bestandeshöhe von 8 cm und Narbenverbesserung ist vorteilhaft.
  • Verstärkter Weidegang führt zu besser Tiergesundheit. Gelenkprobleme treten weniger häufig auf und der Klauenpflegeaufwand wird kleiner.
  • Der Arbeitsaufwand bei Kurzrasenweide ist gegenüber vorher praktizierter Portionsweide sehr deutlich reduziert. Bei richtiger Flächenzuteilung kann die Nachmahd unterbleiben.
  • Bei Kurzrasenweide entwickelt sich die Grasnarbe positiv, bei großflächiger Zuteilung (Standweide) treten auch bei nasser Witterung kaum Trittschäden auf.
  • Saisonale Abkalbung führt zu deutlicher Arbeitseinsparung. Die „Melkpause“ im Winter bietet besonders für die Familien ganz neue Erfahrungen und Möglichkeiten der Wochenend- und Urlaubsplanung.
  • Andererseits führt Blockabkalbung zwangsläufig zur „Milchgeldpause“, die zu ganz neuer Haushaltsplanung und -disziplin zwingt.
  • Sinkender Kraftfutter-Aufwand führt zu gleich bleibender Leistung bei Leistungsniveaus um 7000 kg/Kuh, führt aber zu Leistungseinbußen bei Leistungsniveaus von 8000 kg/Kuh und mehr.
  • Sommerabkalbung passt nicht ins System.
  • Das Vollweidesystem erfordert stärker als andere Produktionsverfahren das Vorhalten von Futterreserven für Trockenperioden.