Wachsen oder weichen – gibt es einen Weg dazwischen?

Warum das Einkommen in der Landwirtschaft stagniert

Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland geht jährlich kontinuierlich um etwa zwei bis drei Prozent zurück. Der Hauptgrund dafür ist schnell und einfach zu benennen: Es wird auf vielen Höfen einfach zu wenig Geld verdient. Der Strukturwandel folgt auf den ständigen Produktivitätsfortschritt der Landwirtschaft. Der Agrar­bericht der Bundesregierung weist dies mit schöner Regelmäßigkeit über die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aus. Arnold Krämer, Leiter der Bezirksstelle Emsland der Landwirtschaftskammer Niedersachen, analysiert die agrarökonomischen Zusammenhänge zwischen Einkommen und technischen Fortschritt in der Landwirtschaft.

Landwirtschaftliche Familien können heute mit ihrer Arbeitskapazität ein Vielfaches an Fläche bewirtschaften und Tiere versorgen als vor Jahrzehnten.

Foto: Moe

Das Einkommen im Sektor Landwirtschaft ist seit rund 40 Jahren nominal konstant (siehe Tabelle „Einkommen/Nettowertschöpfung). Die Nettowertschöpfung beschreibt das Einkommen im Sektor nach Abzug aller Kosten für die Verbrauchs- und Gebrauchsgüter unter Einbeziehung auch der staatlichen Subventionen.

Produktionswert angestiegen, nicht die Wertschöpfung

Diese liegt für die Landwirtschaft in Deutschland bei rund 11 bis 12 Mrd. Euro, obwohl sich in dem Zeitraum der Produktionswert von 25 Mrd. Euro auf über 50 Mrd. Euro nominal mehr als verdoppelt hat. Die Landwirtschaft ist nur deswegen nicht verarmt, weil sich das Einkommen auf immer weniger Köpfe verteilt. Bei der Beurteilung dieser Größen muss man allerdings auch bedenken, dass es in einzelnen Jahren auch immer mal deutlich bessere Ergebnisse gegeben hat und dass die noch aktiven Landwirte zunehmend mehr Einkommen in Form von Pachten für ihre ehemaligen Berufskollegen und in Form von Löhnen für Fremdarbeitskräfte erwirtschaften.

Technischer Fortschritt größer als das Nachfragewachstum

Der ökonomische Grund für diese Entwicklung ist im technischen Fortschritt zu sehen. Der mechanisch-technische Fortschritt, der biologisch-technische Fortschritt und auch der hohe organisatorisch-technische Fortschritt hat in den letzten 40 bis 50 Jahren erhebliche Produktivitätsverbesserungen mit sich gebracht. Als „Meilensteine“ des technischen Fortschritts sind die strohlosen Haltungsverfahren, die Entwicklung zum Laufstall mit der entsprechenden Melktechnik, die Erntetechnik über Mähdrescher und Vollernter, die Züchtung, die Entwicklung synthetisch-chemischer Pflanzenschutzmittel und auch die große Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Agrarerzeugung zu nennen. Dadurch kann eine landwirtschaftliche Familie mit ihrer Arbeitskapazität heute ein Vielfaches an Fläche bewirtschaften und Tiere versorgen als was noch vor Jahrzehnten möglich war.

Stetiger Druck auf die Erzeugerpreise

Die Nutzung des technischen Fortschritts im Einzelbetrieb senkt dessen Stückkosten, steigert seine Produktionsmenge und führt zunächst unter sonst gleichen Bedingungen zu höheren Gewinnen. Da dieser Prozess aber von vielen Betrieben – unterstützt durch den vor- und nachgelagerten Sektor – relativ schnell nachgeahmt wird, ist mit dem steigenden Angebot an Agrarrohstoffen auch ein stetiger Druck auf die Erzeugerpreise feststellen. Die Gründe dafür sind ebenfalls wieder relativ einfach zu benennen: Das, was Landwirte produzieren, kann man in verarbeiteter Form konsumieren, man kann es wegwerfen oder exportie­ren. Konsumsteigerungen sind nur vereinzelt bei besonders begehrten Lebensmitteln festzustellen aber ansonsten im „satten“ Europa mit stagnierender und alternder Bevölkerung kein Thema mehr. Was verkauft, aber nicht verzehrt wird, landet in der Mülltonne, was ethisch problematisch ist, sichert dem Landwirt aber auch einen Teil seiner Einnahmen. Was exportiert wird, erlöst in vielen Fällen im Schnitt der Jahre keine übermäßig hohen Preise, kann also nur begrenzt einkommenswirksam sein, so dass ein ständiger Preisdruck für die landwirtschaftlichen Agrarrohstoffe entsteht.

Landwirte ermöglichen den Wohlstand der Gesellschaft

Die Agrarerzeugung wächst trotz rückläufiger Fläche durch die enormen Produktivitätsfortschritte schnel­ler als die Nachfrage. Die Politik hat in der Vergangenheit über eine Vielzahl unterschiedlicher agrarpolitischer Instrumente versucht, diesem Mechanismus entgegenzuwirken. Eine gewisse Einkommensstabilisierung ist damit erreicht worden. Nominal sind die Preise für landwirtschaftliche Produkte mit Schwankungen in den letzten Jahrzehnten auch leicht angestiegen. Real, also unter Berücksichtigung inflationärer Einflüsse sind die realen Preise jedoch deutlich zurückgegangen. Profiteure der Entwicklung waren damit letztlich die Endverbraucher, deren Ausgaben für Lebensmittel in Deutschland nur noch gut 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens ausmachen.

Landwirtschaft ist Teil der Marktwirtschaft

Die Landwirtschaft wird immer leistungsfähiger. Ihren Produktionswert haben die Betriebe in den letzten 40 Jahren verdoppeln können, ihre Wertschöpfung daran steigt aber einfach nicht an.

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Die Landwirte befinden sich gewissermaßen in einer Tretmühle, weil sie mit der Nutzung des technischen Fortschritts und einer immer effizienteren Produktion zwar ihre Stückkosten senken können, gleichzeitig aber über die steigenden Produktionsmengen bei nur begrenzten Exportchancen immer wieder Druck auf die eigenen Erzeu­gerpreise bewirken. Die Landwirte verbessern ihre Produktionsprozesse kontinuierlich, steigern ihre Erträge vom Acker, erhöhen die Tierleistungen, ersetzen die menschliche Arbeitskraft durch Technik und befeuern ständig einen Prozess, der so typisch ist für unser Wirtschaftssystem. Das immer effizientere Zusammenspiel von Arbeit, Kapital und Boden, die Vielzahl von Prozessinnovationen ist charakteristisch für das kapitalistische Wirtschaftssystem, das Wohlstand, insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg beschert hat. Die allermeisten Landwirte nehmen in diesem System leider eine sehr undankbare Rolle ein, weil sie als Rohstoffproduzenten am Anfang der Wertschöpfungskette stehen, homogene, austauschbare Produkte in einem sehr transparenten Markt erzeugen und auf die Innovationsfähigkeit der Lebensmittelindustrie und des -handwerks sowie dessen Leistungsfähigkeit in der Vermarktung angewiesen sind. Sie können sich als „Preisnehmer“ nur auf die Nutzung des technischen Fortschritts und auf die immer effizientere Gestaltung ihrer Produktionsprozesse konzentrieren, solange sie nicht über die Rohstofferzeugung hinaus in die weitere Wertschöpfungskette einsteigen und damit näher an den Geldbeutel des Endverbrauchers heranrücken.

„Antriebskräfte des Kapitalismus“

Motor des technischen Fortschritts und des Kapitalismus ist die Unzufriedenheit der Menschen sowohl auf der Nachfrage- wie auch auf der Angebotsseite. Die Bedürfnisse der Menschen steigen mit dem, was sie haben ganz nach dem Motto: „Je mehr wir haben, desto mehr haben wir zu wenig“. Und die Bedürfnisse steigen auch mit dem, was andere haben, weil das „Schielen“ auf andere, der Neid ein nicht unwe­sentlicher Antriebsfaktor des menschlichen Handelns ist. „Was der kann, das können wir auch“. „Wenn unser Sohn erst soweit ist, bauen wir auch einen neuen Stall“. Solche Sätze waren in den Betrieben in der Vergangenheit oft zu hören. Wir haben es schlicht mit einem Naturphänomen oder den Grundmotiven menschlichen Handelns zu tun. Das Begehren, das Verlangen, die Ungenügsamkeit, die Unersättlichkeit, die Gier steckt in unterschiedlichem Ausmaß in vielen, ja fast allen Menschen und ist eigentlich auch so etwas wie eine Grundvoraussetzung unternehmerischer Existenz.

Es gibt keine Grenzen des betrieblichen Wachsens

Ein Unternehmer, auch in der Landwirtschaft, gibt sich selten mit den erreichten Zielen zufrieden. Die „Lebensformel“ für Unternehmer (V = R, V > R) kann dies sehr gut verdeutlichen. Wenn Vorstellungen (V) mit der Realität (R) übereinstimmen, Ziele erreicht worden sind, eine gewisse oder sogar große Zufriedenheit festzustellen ist, dauert es meist nicht lange, bis wieder neue Vorstellungen und Ziele formuliert werden. Es geht immer irgendwie voran oder man scheidet auf mittlere oder längere Sicht als Unternehmer aus. Demzufolge gibt es keine oder kaum Grenzen des Wollens und damit gibt auch keine Grenzen des Lernens. Also gibt es auch grundsätzlich keine Grenzen des Wachstums. Betriebliches Wachsen heißt zuerst und vor allem „Lernen“ und zwar lernen, immer besser und effizienter zu produzieren, zu organisieren, einzukaufen und zu vermarkten. Die Natur macht es vor: Leben heißt wachsen; alles was lebt, wächst. Was nicht wächst, ist tot. Insofern gibt es auch keinen Mittelweg in der Landwirtschaft zwischen Wachsen oder Weichen. Solange wir eine marktwirtschaftliche Ordnung haben, zu der auch der landwirtschaftliche Sektor zählt, werden uns die bekannten Erscheinungen des Strukturwandels und der Veränderung in den Betrieben und Dörfern weiterhin begleiten. Davon sind alle Betriebe betroffen, unabhängig davon, ob sie konventionell oder ökologisch wirtschaften.

Politik und Gesellschaft setzen Rahmen für Betriebe

Allerdings hat der Staat eine große Verantwortung, wie er die „Leitplanken“ für die Landwirtschaft formuliert, ob er mit seinem Regelwerk die Prozesse be­schleunigt oder abbremst. In der Vergangenheit hat sich die nationale Agrarpolitik schwer damit getan, eine schlüssige und konsistente Agrarstrukturpolitik zu gestalten, weil unterschiedliche regionale sowie wirtschaftliche Interessen unter den Verhältnissen in Süd-, Nord-und Ostdeutschland berücksichtigt werden sollten. Aktuell werden die konventionelle Landwirtschaft und die Politik mit sehr vielen Forderungen konfrontiert, die darauf hinauslaufen, den technischen Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte zurück zu verordnen. Ein Verbot von Spaltenböden, das Verbot ganzjähriger Stallhaltung bei Kühen, das Verbot des Schwänze-Kopierens bei Schweinen, das Verbot bestimmter chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel wird gefordert unter dem Deckmantel des Tierschutzes und des Umweltschutzes und auch in der vagen Hoffnung, dass mit dem Rückgang der Produktionsmengen die Preise für Agrarerzeugnisse und damit die Einkommen der Landwirte steigen könnten.

Und wie wird es weitergehen?

Sicher ist, dass die meisten Landwirte nicht wieder so arbeiten möchten wie vor Jahrzehnten. Sicher ist, dass mit solchen neuen Leitplanken die Arbeits- und Kapitalproduktivität deutlich zurückgehen und die Produktionskosten steigen werden. Ob dies bei offenen Grenzen in der Europäischen Union auch zu knapper versorgten Märkten und zu steigenden Agrarerzeugerpreisen führen wird, ist mehr als unsicher. Sicher ist aber, dass das „Weichen“ durch eine solche Politik nicht verlangsamt, sondern beschleunigt wird.

 – LW 17/2017