Weingott ist nicht vergessen
Dionysos – Rausch und Ekstase
Erstmals zeigt eine Ausstellung derzeit in Hamburg und ab Februar in Dresden, wie der Mythos vom alt-griechischen Weingott „Dionysos“ bis in die heutige Zeit fortlebt und wie Künstler von der Antike bis in die jüngere Vergangenheit ihn zum Vorbild ihres Schaffens machten.

Foto: Thomas Brock
Gott der Griechen und Römer
Keinen anderen Gott himmelten Römer und Griechen so sehr an wie ihn. Weil er der Sohn einer Sterblichen war, hatte er anders als die anderen griechischen Götter auch eine Kindheit auf Erden. Doch weil er zugleich auch der Sohn des Göttervaters Zeus war, gelangte er auch in den Olymp. Dort und auf Erden war er in vielerlei Hinsicht ein „Gesetzloser“: Anders als der athleÂtisch-stählerne Apollon war Dionysos ein Jüngling mit weiblichen Zügen – und damit in geschlechtlicher Sicht ein Grenzgänger. Anders als die übrigen Götter hatte er zahlreiche Begleiter. Dazu gehörte der alte „Silenos“, ein Säufer mit prallem Weinschlauch, der sein Ziehvater war. Das Motto des Alten lautete: „Denn wer am Trinken sich nicht freut, der ist ein Narr.“ Hinzu kommt Dionysos Geliebte Ariadne, eine verlassene Königstochter, in die er sich auf der Insel Naxos verliebt hatte. Die Mänaden, die übersetzt „Rasende“ hießen, begleiteten Dionysos auf seinen nächtlichen orgiastischen Streifzügen durchs Gebirge. Sie wurden umschwärmt von den Satyrn, wilden Männern, die immer erregt sind. Wegen des Lärmes, den er und seine Begleiter veranstalteten, nannten ihn die alten Griechen auch „Bromios“ (Lärmer) und die alten Römer „Bakchos“ oder „Bacchus“ (Rufer).
Weil er Griechen und Römern den Wein brachte, war er den Menschen besonders nah. Weil er auch der Gott der Freude, der Trauben, der Fruchtbarkeit und Ekstase war, war er ihnen ein guter Gott. Deshalb wurden Dionysos und seine Getreuen zum Lieblingsmotiv der antiken Dichter, Bildhauer und Maler. Der Weingott und seine Gesellen finden sich auf attischen Vasen und auf Reliefs auf römischen Sarkophagen.
Um das göttliche Ideal des Dionysos nicht zu sehr anzukratzen, überließ man die zügellose Lüsternheit seinem Gefolge. So zeigt ein 1800 Jahre altes römisches Relief, wie Dionysos mit seiner Mannschaft das Symposion eines Sterblichen heimsucht. Doch der alte, bärtige Weingott trinkt selber nicht, sondern wacht darüber, dass seine Vertrauten nicht allzu wüst wüten.
Dionysos war auch der Gott der Dichter und Denker, denn unter seinem Namen entstand im 5. Jahrhundert v. Chr. am Südhang der Athener Akropolis das wichtigste Theater im alten Griechenland, das Dionysostheater. Dort nahm die griechische Schauspielkunst ihren Ausgang. Und auch in dem großen Fest in seinem Namen, den „Dionysien“, nahmen Dichtung und deren Darstellung den größten Teil des Programms ein. Dieses Fest, bei dem Umzüge mit Gesang, Tanz und Opferzeremonien dargebracht wurden, feierten die Griechen seit dem 6. Jahrhundert vor Christi Geburt. Am Ende des 6. Jahrhunderts dauerten die „Dionysien“ teilweise bis zu acht Tage an. An den Vorabenden hielten Dichter rhetorische Wettkämpfe und Chöre und Schauspieler führten ihre Stücke in Theatern auf. Am Vorabend des Festbeginns wurde das Kultbild des Dionysos (ein Phallus) von einem Tempel vor den Toren der Stadt ins Theater getragen. Am ersten Festtag folgten Prozessionen, Festopfer, Ehrungen und sportliche und rhetorische Wettkämpfe. An den folgenden Festtagen eiferten Komödianten um die Gunst des Publikums, wurden Tragödien und Satyrspiele aufgeführt. Dabei kamen die Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides auf die Theaterbühne.Für Jahrhunderte vergessen
Mit dem Untergang des römischen Reiches gerieten die dionysischen Gelage für Jahrhunderte in Vergessenheit. Am Ende des Mittelalters, in Renaissance und Barock, stießen Künstler auf die alten Darstellungen des orgiastischen Treibens in der antiken griechischen und römischen Mythologie. Dankbar nahmen sie die Motive um den Weingott in ihr Repertoire auf.
Zwar waren sich die Dichter der Neuzeit einig, dass der Wein an und für sich gut sei. „Wein ist eine verkörperte Idee der Liebe“, meinte etwa der Dichter des Deutschlandliedes, Hofmann von Fallersleben. So schrieb er: „Ja, ich will“ s gestehen und wenn“s meine größte Schwäche wäre, ich bin dem guten Weine herzlich gut, ich verdanke ihm mit die schönsten und heitersten Stunden.“ Er schrieb den deutschen Wein und nicht etwa Bier in ihre Nationalhymne.
Doch Uneinigkeit bestand unter den Dichtern und Denkern darüber, wie viel man trinken dürfe. Manch einer, wie der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim, ermahnte 1749 in seinem Liedchen „Die Säufer und die Trinker“ sich zu mäßigen. Bacchus war Gleim zwar der Gott der Freuden. Die Trinker belohnte er mit Genuss, Sinnlichkeit und Lebensfreude. Doch die, die von seinem „edlen Saft“ zügellos soffen, traf als Strafe die Gicht. Erasmus von Rotterdam 1511 zeichnet ein zwiespältiges Bild, in dem er Dionysos zu einem Narren macht: „Warum denn bleibt Bacchus ein schöner Jüngling in lockigem Haar? Weil er stets toll und trunken ist, mit Zechen, Singen und Schäkern seinen Tag ausfüllt. Ein weiser Gott will er gar nicht sein; ihn freuts im Gegenteil, wenn zu seinem Preis Gelächter erschallt und der Unsinn blüht und gern lässt er sich eine Redensart der Griechen gefallen, die einen Dummkopf aus ihm macht, wenn sie sagt, einfältiger als der Einfaltspinsel (so tauften sie den Gott, weil ihn, wenn er vor seinem Tempel saß, die ausgelassenen Winzer mit Trauben- und Feigensaft zu bepinseln pflegten), und welche Späße treibt nicht mit ihm die alte Komödie.“Anderen dagegen, wie Christoph Martin Wieland, dem Dichter der Weimarer Klassik, galt Dionysos als legitimes Vorbild zügellosen Zechens bis hin zur Ekstase. In Friedrich Hölderlins Gedicht „der Weingott“ lautete es: „Und vom donnernden Gott kommet die Freude des Weins“. Und der Philosoph Friedrich Nietzsche hielt sich sogar selbst für den letzten „Jünger des Philosophen Dionysos“ und meinte 1872: „Alles wird einmal vor dem untrüglichen Richter Dionysos erscheinen müssen.“ Heute ist sein Name nicht nur im Namen griechischer Restaurants und Grillteller, sondern in den Werken der Dichter und Denker und in den Namen von Kellereien, Weinfesten und Weinhäuser erhalten. Dionysos und seine Inkarnation Bacchus blieb lange nach Römern und Griechen ein Ausnahmegott. Anders als die anderen griechischen Götter, hatte er geschafft, weit über die Grenzen Griechenlands hinaus bis heute allgegenwärtig geblieben zu sein.
Thomas Brock – LW 51/2014