Die Große Kerbameise

Das Insekt des Jahres 2011

Seit 1999 wird für Deutschland ein „Insekt des Jahres" proklamiert. Ein Kuratorium, dem namhafte Insektenkundler und Vertreter wissenschaftlicher Gesellschaften und Einrich­tungen angehören, wählt jedes Jahr aus zahlreichen Vorschlägen ein Insekt aus. Mit dem Insekt des Jahres soll auf die weltweit artenreichste Gruppe von Tieren aufmerksam gemacht werden, die allzu oft nur als Schädlinge oder Lästlinge abgetan werden.

Die Arbeiterinnen erreichen eine Länge von bis zu acht Millimeter.

Foto: Dieter Bretz

Tatsächlich weisen die Insekten die größte biologische Vielfalt aller Lebewesen überhaupt auf: Nach neueren Schätzungen gibt es bis zu 80 Millionen Tierarten, davon bestreiten wahrscheinlich 90 Prozent die Insekten. Sie sind in allen Lebensräumen als unentbehrliche Ökoglieder präsent, erhalten durch ihre umfassende Bestäubungswirksamkeit die pflanz­liche Vielfalt und schaffen damit letztlich die Voraussetzung für menschliches Leben auf unserem Planeten.

Vom Ameisenlöwen zur Ameise

Nach so bekannten und hübschen Vorgängern wie Zitronenfalter und Rosenkäfer er­scheint die Große Kerbameise (Formica exsecta) als Individuum recht unscheinbar, als Volksganzes mit bis zu 100 000 Artgenossen ist sie aber unübersehbar. War der Amei­senlöwe das Insekt des Jahres 2010, folgt ihm nun seine Beute auf dem Siegertrepp­chen. Entgegen ihrem deutschen Namen wird die Große Kerbameise nur sieben bis acht Millimeter groß. Kopf und Hinterleib sind braun-schwarz gefärbt.

Die für Ameisen so typische Taille ist auffallend rot und durch das stielartige erste Segment des Hinterleibs besonders lang. Hier befindet sich eine aufrechte Schuppe, die eingekerbt ist, daher der Name der Amei­se. Aber auch der Kopf hat hinten eine Delle, an der die Ameise gut zu erkennen ist. Ihre größte Verbreitung hat die Große Kerbameise in Baden-Württemberg sowie in Hessen, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.

Nur als Volksganzes überlebensfähig

Ein Puppenlager der Großen Kerbameise.

Foto: Dieter Bretz

Alle Ameisen, so auch das Insekt des Jahres, leben in sozialen Gemeinschaften, den sogenannten Staa­ten. Eine Ameise für sich ist nicht lebensfähig. Ameisenstaaten sind, wie der bekanntere Bienenstaat, arbeitsteilig organisiert und besitzen immer mindestens drei Kasten: Arbei­ter, Weibchen (Königin) und Männchen. Im Unterschied zu anderen staatenbildenden Hautflüglern sind bei Ameisen die unfruchtbaren Arbeiterinnen grundsätzlich flügellos. Doch sind sie für die meisten Aufgaben im Volk verantwortlich: Sie schaffen Nahrung heran und versorgen die Brut, sie bauen und verteidigen das Nest, und sie sorgen für das richtige Klima im Bau.

Die Königin, das einzige fortpflanzungsfähige Weibchen, ist für die Eiablage zuständig. Kommuniziert wird vor allem über die Düfte und Körperkon­takte. Tausende Sinneszellen auf den Fühlern sind wichtig zum Riechen, Schmecken, Fühlen und Temperatur messen. Düfte warnen vor Feinden und informieren über gute Nahrungsquellen. Ein spezieller Duft der Königin hält das Volk zusammen.

Zur Paarung werden geflügelte Weibchen (Jungköniginnen) und ebenfalls geflügelte Männchen auf­gezogen, die den elterlichen Bau zeitgleich und in großen Schwärmen zum Hochzeitsflug verlassen.

Nach der Paarung sterben die Männchen, während die Weibchen die Flügel verlieren und neue, eigene Kolonien gründen oder in den elterlichen Bau zurückkehren, in dem bei manchen Arten auch mehrere Weibchen zusammenleben können.

Wichtige ökologische Bindeglieder

Ameisen sind in den Ökosystemen ihrer Lebensräume vielfältig vernetzt. Als Beutegreifer vertilgen sie andere Insekten – darunter viele Waldschädlinge – und sind zugleich Beute für viele Tiere, zum Beispiel für mehrere Großspechte. Ferner unterhalten Ameisen eine in­tensive Bindung zu Blatt- und Rindenläusen. Deren Ausscheidung, den sogenannten Honigtau, nutzen sie als zucker- und damit energiereiche Nahrung.

Dass es im Umfeld der Läuse dann weniger klebt, macht diese gesünder. Mehr Läuse produzieren mehr Honigtau, diesen tragen dann auch Honigbienen ein und bereiten daraus köstlich-aroma­tischen Honig. Honigtau-Liebhaber sind aber auch viele Schlupfwespen und Schwebfliegen. Die Ameisen verbreiten die Samen verschiedener Pflanzen, wie Schneeglöckchen und Veilchen.

In den Ameisenburgen leben ferner zahlreiche Käferarten und deren Lar­ven, Ameisengrillen, Asseln und sogar die Larven einiger Bläulingsarten. Unterschied­liche Strategien der Täuschung und Tarnung oder die Abgabe süßer Sekrete ermög­lichen diesen heimlichen Untermietern, bei den aggressiven Burgherren zu überleben.

Schutz für alle Waldameisen

Die Große Kerbameise wurde stellvertretend für alle Waldamei­sen ausgewählt. Sie ge­hört zwar nicht zu den Roten Waldameisen im engeren Sinne, repräsentiert aber als en­ge Verwandte diese Artengruppe in vielen Eigenschaften. Ameisen zählen in allen Ent­wicklungsstufen und zu jeder Jahreszeit zu den besonders geschützten Insekten. Den Winter verbringt die Große Kerbameise, wie auch alle anderen heimischen Arten, in ih­rem Bau, der tief in die Erde reicht und oberirdisch meist aus einem Haufen von Grashal­men besteht. Bei anderen Ameisen besteht er aus Baumnadeln. Forstleute und Amei­sen­freunde schützen die Ameisenburgen mit einem großen Maschendraht-Zelt vor zer­störerischen Händen, aber auch vor Nahrung suchenden Dachsen. Helmut Hintermeier