„Wir können keinen Regen mehr in dieser Ernte gebrauchen“

Ernteergebnisse in Hessen bisher unter den Erwartungen

Es ist August und der Sommer in Hessen schwächelt. Der Weizen steht zum großen Teil noch auf dem Halm, aber eines zeichnet sich bereits ab: Die Ergebnisse der diesjährigen Ernte liegen unter den Erwartun­gen. Das sagte der Präsident des Hessischen Bauernverbandes (HBV), Karsten Schmal, am vergangenen Donnerstag in Eschborn. Vor allem in Südhessen seien die Ergebnisse enttäuschend. Der HBV hatte zu einem weiteren Erntepressegespräch in dieser Erntesaison geladen. Diesmal auf den Betrieb der Familie Gritsch vor den Toren von Frankfurt am Main.

Tief „Christiane“ kam auch zur HBV-Erntepressekonferenz am Feld der Familie Gritsch. Das Interesse der Medi­en an den aktuellen Informationen der Landwirte war dennoch sehr groß. HBV-Präsident Karsten Schmal (l.) und KBV-Main-Taunus-Vorsitzender Karlheinz Gritsch überprüfen das Korn.

Foto: Moe

HBV-Präsident Schmal erläuterte den Journalisten, wie derzeit die Situation auf den Betrieben ist und sagte: „Das un­­­bestän­dige Wetter in den letzten Tagen ist nervenaufreibend für die Bauern.“ Hessenweit sind Wintergerste und Raps gedroschen, der Weizen stehe aber zum großen Teil noch auf dem Halm. Es bestätige sich leider immer mehr, dass die Erträge deutlich unter denen liegen, welche Hessens Landwirte zuvor erwartet hätten. Laut Schmal wurden bei der Wintergerste dieses Jahr im Schnitt 64 dt/ha in Hessen geerntet und damit etwa 10 Prozent weniger gegenüber dem Vorjahr. Unbefriedigend sei es auch beim Raps ge­laufen, in vielen Betrieben seien weniger als 4 t/ha vom Feld gefahren worden.

Im Norden läuft es bisher besser als im Süden

Worin liegen die Ursachen? „Mitte Mai ging bei uns die Regenzeit los“, brachte es Hessens Bauernpräsident auf den Punkt. Auffallend sei in diesem Sommer die unterschiedliche Verteilung der Niederschläge. Im Süden hat es höhere Regenmen­gen gegeben. So sind in Groß-Ge­rau im ersten Halbjahr 568 mm gemessen worden, womit schon annähernd die Jahresmenge an Regen erreicht wurde. In Gießen sind von Januar bis Juli 397 mm Niederschlag ge­fallen, in Kassel waren es „nur“ 355 mm und damit circa 200 mm weniger, als in Südhessen. Die Folge sei ein fast zeitgleicher Erntestart in allen Regionen Hessens. Sein Eindruck ist, dass Getreide auf flachgründigen Böden besser mit den vielen Niederschlägen zurecht ge­kommen ist, als in den sonst typischen Gunstlagen auf den tiefgründigen Standorten. Sehr schwierig ist die Lage der Anbauer von Son­derkultu­ren. Sie erleben ein zweites, schlechtes Jahr in Folge. Für den Spargel sei es in diesem Frühjahr zu kalt gewesen. Die Erdbeeren seien in großen Mengen auf den Feldern verfault oder durch Hagelschlag vernichtet. Frühkartoffeln wurden gut bezahlt. Infolge des Regens leiden Kartoffeln aber unter Kraut- und Knollenfäulebefall, konstatierte Schmal. Im Futterbau laufe es gut, wenngleich es im Juni nur eine Woche gab, in der man hätte Heu machen können.

Dem Mais passe das derzeit war­me und feuchte Wetter, er zeige sich im ganzen Land gut entwickelt. So haben die Milchbauern zwar reichlich Futter, aber was nützt es, wenn die Betriebe durch die rui­nösen Milchpreise wirtschaftlich in die Enge geraten, stellte Schmal fest.

Wertschöpfung in vielen Betrieben zu gering

Auf die Frage eines Reporters, wie lange die Milchbauern noch die finanzielle Not aushalten, stellte Schmal nüchtern heraus: „Es zeigt sich bei einem Milchvieh- oder auch Ferkelerzeugerbetrieb nicht sofort, wie schlecht es ihm geht. Aber wenn die Preise, die er bekommt, anhaltend so tief sind, dass der Betrieb binnen zwei Jahre soviel Kapital verbrennt, dass er zehn bis zwanzig Jahre benötigt, dies wieder aufzuholen, dann hat das Folgen. Die Betriebe haben dann keine Hofnachfolger mehr und damit keine Zukunft. Sie steigen aus.“

Die EU-Hilfen, um die Landwirte in dieser Situation liquide zu halten, hörten sich in der Summe hoch an, pro Betrieb sei der Betrag dennoch zu niedrig, um ihn über die Zeit schlechter Preise zu helfen. Bessere Erzeugerpreise seien nötig, diese erwartet Schmal aber erst ab 2017. Hessens Bauernpräsident wies aber auf die kurzfristig vom Land Hessen bereitgestellten 5 Mio. Eu­ro zur Liquiditätshilfe hin. Diese Gelder seien schon auf den Konten der Bauern. Die Abwicklung sei unbürokratisch und schnell erfolgt, hob er hervor.

Noch zwei Wochen gutes Erntewetter nötig

Wie geht der Sommer 2016 in Hessen weiter? Die Landwirte beobachten die Wettervorhersagen im Moment sehr genau. „Für das Getreide brauchen wir noch etwa eine Woche gutes Ern­te­wet­­ter in Südhessen und zwei Wochen in Nordhessen“, schätzt der HBV-Chef. Weizen sei vielerorts überreif, die Bestände werden grau und schwarz. Mit einem Anteil von 55 Prozent an der Getreideanbaufläche sei der Winterweizen in Hessen die wichtigste Marktfrucht. Mit Preisen von derzeit 120 bis 140 Euro je t, seien diese um 30 bis 40 Euro je t niedriger im Vergleich zum Vorjahr, stellte er fest.

Kleinster und vielfältigster Landkreis in Hessen

Karlheinz Gritsch beschrieb als Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Main-Taunus und Kreislandwirt die Landwirtschaft des kleinsten und seiner Ansicht nach auch schönsten Landkreises in Hessen zwischen Frankfurt im Süden, dem Taunus im Norden, dem Obstbaugebiet um Kriftel sowie dem Tor zum Rheingau im Westen mit den Weinbaubetrieben als einen sehr vielfältigen Landkreis. Das mache sein Ehrenamt natürlich besonders reizvoll, allerdings auch nicht immer einfach. Ein großes Problem für die Landwirte in der Region ist der starke Flächenbedarf des Ballungsraums Rhein-Main. Auch lebt man „Tür an Tür mit den Städtern“ – eine weitere Herausforderung. So zeigen nicht immer Spaziergänger, Jogger oder Reiter Verständnis, wenn es ums Fahren auf den Feldwegen mit dem Traktorgespann gehe, berichteten auch Ehefrau Ingeborg und Juniorchef Karsten Gritsch (34, Agrarbetriebswirt) am Rande der Veranstaltung. Von beiden Seiten müsse Verständnis und Rücksichtnahme kommen.

„Der Großhandel ist gnadenlos“

Berthold Heil, Obstanbauer aus Kriftel und früherer Vorsitzender der Erwerbsobstanbauer in Hessen, informierte über die Lage der Obsterzeuger. Für seinen Berufsstand ist die Lage ernst. In Hessen tritt die Kirsch­essigfliege seit vier Jahren auf und die Betriebe können sich vor dem Schädling nicht mit Pflanzenschutzmitteln schützen. Derzeit zugelassene Mittel seien nur ein bis zwei Tage wirksam, das reiche nicht. Er prüfe derzeit im Betrieb, ob das Abdecken mit Netzen helfe. Ende Mai gab es große Hagelschäden um Kriftel. Die geschädigten Früchte werden vom Großhandel nicht angenommen. „Der Handel will nur makellose Früchte, er ist teils gnadenlos. Selbst wenn wir gutes Obst liefern, bekommen wir dies schlecht bezahlt. Ich weiß nicht, wie wir die Löhne für unser Pflücker bezahlen können.“ Wenn er nur für den Großhandel produzieren würde, hätte er Schwierig­keiten, den Betrieb zu erhalten. Heil setzt auf den Direktverkauf, der Kunde kaufe gerne Obst von Betrieben aus der Region, auch wenn es nicht immer ausse­hen könne „wie gemalt.“

Moe – LW 32/2016