Was Pferde wollen

Neue Motivationslehre für Pferd und Reiter

Bockig, zickig, stur, der Ruf mancher Pferde eilt ihnen voraus. Aber was Pferde wollen, was Pferde wirklich brauchen, um glücklich und zufrieden zu sein, macht eine neue Pferdekommunikation deutlich. Mit „Motiva“ heißt es, verstehe der Pferdefreund die Signale der Pferde und könne sie auch sprechen.

Das Pferd wird durch ein Prusten der Trainerin gestoppt...

Foto: Narayana Verlag

Legolas achtet auf die kleinste Bewegung. Der Quarterhorse-Wallach steht in der Ecke der Reithalle, frei, ohne Halfter. Er und seine Besitzerin sind am Ende einer Motiva-Einheit. Die junge Frau beginnt zu laufen. Legolas folgt und passt seine Schritte denen der 32-Jährigen an – eine Geste der Zuneigung, die besagt: „Ja, ich folge dir freiwillig, ich habe Vertrauen und will dein Freund sein!“ Die Reiterin versteht die Pferdesprache und kommuniziert nach der Motiva-Methode von Gertrud Pysall.

Auf Verständigung ausgerichtet

„Um sich mit Pferden zu verständigen, sind weder Peitsche noch laute Befehle nötig, erst recht keine Gewalt!“, sagt Gertrud Pysall, Besitzerin von 50 Pferden und Ponys aus Spenge (NRW). Seit über zwei Jahrzehnten erforscht und entschlüsselt die Pferdepsychologin die Sprache der Pferde. „Pferde sprechen miteinander und mit dem Menschen. Alles, was sie im Zusammenhang mit uns tun, ist Kommunikation und auf Verständigung ausgerichtet“, sagt sie.

... und wendet sich ihr nach kurzem Überlegen respektvoll zu.

Foto: Narayana Verlag

Interessant sind die in der Zwischenzeit von ihr entdeckten und entwickelten 130 Vokabeln der Pferde und mehr als 40 Gesten für Menschen, die klare Kommunikation mit Pferden ermöglichen. Motiva heißt ihre Lehre, das klingt nach Motivation, was im Prinzip auch richtig ist (siehe Kasten und Buchtipp).

Vokabeln der Pferde verstehen und darstellen

Typische Vokabeln der Pferde sind zum Beispiel, wenn ein Pferd einen Artgenossen stoppt, wegschickt oder ihn anprustet. Dann heißt das: „Ich bin der Ranghöhere und ich bestimme!“ Wenn sich Pferde gegenseitig Pflegen (Knabbern), ist das in Pferdesprache ein Ritual der Freundschaft. Gleichbedeutend ist es, wenn der Reiter sein Pferd krault oder kratzt. Freundschaft bekunden Pferd und Mensch auch, wenn beide nebeneinander gehen oder laufen, wobei das Pferd kein Halfter trägt, also frei ist. Die Vokabeln Wälzen und Koten (Äpfeln) bedeuten dagegen Besitzanspruch an das Territorium.

Irgendwann kam die Frage bei Gertrud Pysall auf: „Kann ich diese Pferdevokabeln selbst darstellen, als Mensch, sodass Pferde mich verstehen. Man kann ja zum Beispiel schlecht äpfeln!“ So entwickelte sie unter anderem den Motiva-Baumwollknoten, der einen Pferdehaufen darstellen soll.

Nach den ersten Versuchen mit Pferden zu sprechen, so erzählt sie heute, sei die Überraschung groß gewesen – und zwar auf beiden Seiten. „Wenn man ein Pferd zum ersten Mal in seiner Sprache anredet, ist es meistens völlig überrascht“, sagt sie. Manche Pferde glaubten gar an einen Irrtum und prüften sofort mit dem nächsten Ritual, ob das etwa ein Zufall sei oder ob dieser Mensch das wirklich so gemeint habe.

Diese Erfahrung hat Gertrud Pysall oft gemacht. Pferde sind „sprechende“ Menschen nicht gewöhnt, obwohl sie die Erwartung der Kommunikation an den Menschen stellen. Denn unsere domestizierten Pferde sind keine Wildpferde und begegnen dem Wesen Mensch schon gleich nach der Geburt, in der sogenannten Prägephase, wo sich Eindrücke bleibend manifestieren. Der Mensch gehört also aus Sicht des Fohlens selbstverständlich zu seinem Umfeld. „Es ist ein Irrglaube, dass sie uns für Raubtiere halten oder Angst vor unserem Blick haben wie es die Pferdeflüsterer behaupten“, klärt die Fachfrau auf.

Dialog in einer Schulungseinheit

Der Baumwollknoten markiert über den Pferdeäpfeln das Territorium. Außerdem wälzen sich Pferd und Trainerin. Wer ist ranghöher?

Foto: Narayana Verlag

„Beeil Dich!“, fordert Gertrud Pysall ihre Tochter Franziska auf. Fast zeitgleich wälzen sich Reiterin und die Stute Miss Marple auf dem Boden der Reithalle. Mit dem Wälzen markiert das Pferd praktisch seinen Raum und signalisiert in Pferdesprache, wer hier der Chef ist. Es steht unentschieden. Miss Marple schnuppert, als sie wieder steht, unbeteiligt an einem Kothaufen, lässt Franziska aber keine Sekunde aus den Augen. Die muss sich jetzt etwas einfallen lassen. Franziska nimmt den Motiva-Baumwollknoten und markiert damit ihr Territorium. Miss Marple registriert das aus den Augenwinkeln, kann aber wahrscheinlich nicht selbst äpfeln, kann also nicht dagegen halten. Deswegen tut sie erst einmal wieder etwas unbeteiligt.

Anleiten ohne Handzeichen

Das, was hier zwischen Mensch und Pferd abläuft, ist ein klassischer Dialog während einer Motiva-Einheit. Alles was das Tier oder der Mensch tut, ist eine Aussage, ein Wort, ein Satz. Jede Aktion, das Wälzen, das Markieren, das Ignorieren bedeutet im Sinne des Pferdes etwas. Es spricht und mit ihm wird gesprochen. „Bei all diesen Signalen kommen unsere Hände nicht ins Spiel“, dieser Hinweis ist für Gertrud Pysall sehr wichtig. Pferde haben keine Hände, somit gibt es keine Handzeichen im Motiva-Vokabular.

Jetzt schickt Franziska die Stute mit dem Motiva-Seil weg. Miss Marple galoppiert an und bockt, tritt mit dem inneren Hinterfuß Richtung Franziska. Sie sagt damit: „Wir könnten uns auch treten!“ Franziska stoppt sie aus dem Galopp mit kräftigem Prusten. Miss Marple stoppt, prustet aber zurück. Franziska antwortet durch Wiederholen des Prustens, dann markiert sie mit dem Fuß ihre Position und dreht sich weg. Das Pferd steht da und „überlegt“. Dann geht die Stute zum Baumwollknoten, dem sie bisher keine Beachtung geschenkt hatte, dessen Bedeutung sie aber sehr wohl weiß. Sie beschnuppert ihn, kann oder will aber anscheinend nichts dagegen halten, keinen eigenen Haufen setzen. Sie schaut nach Franziska. Nun geschieht das, was Gertrud Pysall schon längst geahnt hat: Die Stute schnaubt freundlich ab, anerkennt ihre Position der Rangniedrigen, dreht die Kruppe weg und wendet sich ihrer Reiterin zu. Sie senkt den Kopf und geht einige Schritte, um in respektvollem Abstand stehen zu bleiben. Franziska geht die letzten Meter zu ihr hin, krault sie heftig am Hals. Anschließend gehen die beiden auf Schulterhöhe durch die Halle, erst im Schritt, dann traben sie nebeneinander im Einklang. Beide schnauben ab. Jetzt will Miss Marple kooperieren!

„Viele Menschen, die Motiva zum ersten Mal sehen, denken, das Pferd sei dressiert“, sagt die Pferdeexpertin. Aber weil der Reiter durch Motiva richtig kommunizieren kann, braucht er beispielsweise keine Konditionierung mit Leckereien. Außerdem hat das Pferd nach einer Motiva-Einheit keinen Stress mehr mit dem Gehorchen. Das macht sich natürlich auch beim Reiten bemerkbar. „Instinktiv möchte das Pferd ab sofort als Rangniedriger gehorchen“, stellt Gertrud Pysall fest.

Um Motiva zu erlernen, braucht man Zeit. Die Komplexität der Pferdekommunikation lässt sich nicht einfach in einem Wochenendseminar abhandeln. Beachte man doch, dass in erster Linie der Mensch der Schüler ist. Das Pferd kann seine Sprache nämlich schon.

Und was passiert nach einer Motiva-Einheit? Nach dem Motiva ist vor dem Motiva. Man darf niemals „sprachlos“ werden. „Denn Pferde sprechen immer“, stellt Gertrud Pysall fest, „und sie wollen Antworten von uns, jeden Tag.“

Motiva – eine Sprache der Pferde

Gertrud Pysall hat vor 20 Jahren angefangen, die universellen Gesten der Pferde zu katalogisieren und anzuwenden. Im Motiva-Training werden die Menschen geschult, etwa 130 Vokabeln, die Pferde verwenden, zu verstehen und zu sprechen sowie rund 40 notwendige Kommunikationsgesten anzuwenden. Nach Motiva erkennen Pferde nur Gesten, die sie an anderen Pferden sehen. Darum verzichtet man bei Motiva weitestgehend auf Handbewegungen, (weil Pferde keine Hände haben). Die Hände arbeiten lediglich mit dem Motiva-Seil, das beispielsweise „mit dem Schweif schlagen“ bedeutet.

Beim Motiva-Training arbeitet man im Motivaviereck und nicht im Roundpen. Im Roundpen kann das Pferd keinen Abstand zum Verfolger Mensch (simuliertes Raubtier) herstellen. Es hat als Fluchttier keine Möglichkeit, sich zu entziehen. Im Motivaviereck wird kein Raubtier nachgeahmt und dennoch kann das Pferd sich im Rahmen der Kommunikation/Auseinandersetzung in Ecken entziehen und sich wehren, wenn es wollte. Motiva funktioniert auch im Freiland, denn Motiva benötigt kein eingegrenztes Gehege. Wenn man die Pferdesprache beherrscht, kann man den Dialog überall führen.

Bei Motiva wird das Pferd nicht mit Leckereien belohnt und trägt keinen Halfter. Es wird niemals festgehalten.

Beim Motiva-Training handelt es sich nicht um Pferdeflüsterei. Es ist im Patentamt eingetragen – www.motiva-training.de.

 – LW 42/2013