In Roten Gebieten Brotweizen erzeugen – geht das noch?

DBV-Ackerbauforum 2021

Die Düngeverordnung reglementiert den Stickstoffeinsatz in den Ackerbaukulturen. In den Roten Gebieten wird durch die 20-Prozent-Reduktion bei Stickstoff der Anbau von Brotweizen eine Herausforderung. Welche Möglichkeiten den Erzeugern bleiben, wurde auf dem DBV-Ackerbauforum diskutiert.

Die Erzeugung von backfähigem Weizen mit mindestens 12,5 Prozent Protein wird in den nitratbelasteten Gebieten, in denen die N-Düngung um 20 Prozent reduziert werden muss, deutlich schwieriger.

Foto: Brammert-Schröder

Deutschland ist ein Gunststandort für den Weizenanbau. Wie die Landwirte mit den Herausforderungen der Düngeverordnung umgehen können und welche Möglichkeiten die anderen Teilnehmer der Wertschöpfungskette „Getreide“ sehen, um zum Wandel beizutragen, wurde vergangene Woche auf dem DBV-Ackerforum 2021 im Onlineformat diskutiert. Im ersten Themenblock ging es um den Anbau von Brotgetreide in nitratbelasteten, so genannten Roten Gebieten. Können bei rückläufiger Stickstoffversorgung noch gute Proteingehalte erreicht werden? „Wir müssen nach Wegen suchen, wie wir mit den neuen Auflagen der Düngeverordnung umgehen. Und wir müssen neue Antworten finden auf neue Herausforderungen“, sagte DBV-Vizepräsident Detlef Kurreck in seiner Begrüßung. Es werden kreative Lösungen gebraucht. Sich von der Intensität im Ackerbau zu verabschieden, sei nicht die Lösung, denn der Weltmarkt sei gierig nach Rohstoffen.

Für Landwirt Maik Zilian, der auf der Insel Rügen 3 000 ha bewirtschaftet, bedeutet die neue Düngeverordnung möglicherweise hohe finanzielle Einbußen. Der Landwirt baut auf den fruchtbaren Böden der Insel Raps, Weizen und Gerste an. Beim Weizen strebt er hohe Qualitäten mit mindestens 12,5 Prozent Protein an und vermarktet ihn als Qualitätsweizen im Hafen. Eine einzige Messstelle weist zu hohe Nitratwerte auf und hat große Teile der Insel nach der Düngeverordnung zu einem Roten Gebiet gemacht. 95 Prozent der Flächen von Zilian fallen in dieses Gebiet und er muss dort die Stickstoffdüngung um 20 Prozent reduzieren.

Düngung unter Bedarf reduziert Rohprotein

Wie wirkt sich die Reduktion auf Ertrag und Qualität des Weizens aus? Dr. Gerhard Baumgärtel von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen erläuterte die Grundlagen der Düngeverordnung. Die Stickstoffbedarfswerte für alle Kulturen sind vorgeschrieben, es gibt standortspezifische Obergrenzen. Hinzu kommt ein verbindliches Zu- und Abschlagssystem. Die Stickstoffbedarfswerte für Weizen sind, so Baumgärtel, gekoppelt an das Ertragsniveau und an die Qualitätsstufen E, A/B und C. Baumgärtel zeigte anhand von Versuchsergebnissen auf, dass die festgeschriebenen Bedarfswerte für Stickstoff in den grünen Gebieten passen und geeignet sind, gute Erträge und Qualitäten zu erzeugen. „Aber es fehlen Korrekturfaktoren, zum Beispiel für Stoppelweizen oder kalte Böden. Hier ist eine bedarfsgerechte Düngung nicht möglich, eine schlechte Bestandsentwicklung kann nicht mehr berücksichtigt werden.“

In den Roten Gebieten führt eine 20 Prozent unter dem Bedarf liegende Stickstoffdüngung laut Baumgärtel zu Qualitäts- und Ertragseinbußen. Er rechnet mit rund 5 Prozent Ertragsverlust sowie 0,8 Prozent weniger Rohprotein. Die Lösung sieht Baumgärtel in einer Optimierung der Fruchtfolge. „Die Stickstoffreduzierung wirkt nicht auf jede Kultur gleich“, sagte er und verwies auf entsprechende Versuchsergebnisse. Zuckerrüben und Mais reagieren nicht so stark auf eine N-Reduktion wie Weizen und Roggen. Die Düngeverordnung schreibt vor, dass die N-Reduzierung im Durchschnitt über alle Kulturen im Anbaujahr erfolgen soll. Das eröffnet die Möglichkeit, einzelne Kulturen wie beispielsweise den Weizen wie bisher zu düngen und dafür andere Kulturen weniger, so dass am Ende der Durchschnitt passt. Deshalb geht Baumgärtel davon aus, dass die Stickstoffreduktion in den Roten Gebieten die Fruchtfolgen beeinflussen wird. Ein Ausweichen auf E-Sorten, die einen höheren n-Bedarfswert haben, hält der Berater nicht für die beste Lösung. „Bei den E-Sorten fehlt der Kornertrag.“ Baumgärtel plädierte dafür, sich vom Proteingehalt als Qualitätskriterium für Backweizen zu verabschieden und stattdessen die Sorten mit guten Backqualitäten, aber eventuell geringeren Proteingehalten, zu bevorzugen.

Erzeugung für den Export gefährdet

Landwirt Maik Zilian sieht keine Alternative zur Erzeugung von Qualitätsweizen. „Unser Ziel bleibt, einen vermarktungsfähigen Backweizen für den Export zu erzeugen. Wir sind ein hafennaher Standort, und ein 12,5er Weizen ist der Maßstab für die Vermarktung.“ Die Stickstoffeffizienz einer Sorte ist für den Ackerbauer ein wichtiges Kriterium. Zilian sieht für seinen Betrieb in der Möglichkeit, über die Fruchtfolge eine höhere N-Düngung für den Weizen zu ermöglichen, nur geringen Spielraum. „Wir halten Kühe und bauen Mais an, aber prozentual hält sich die Umschichtung der Fruchtfolge in Grenzen.“ Er versucht, an allen ackerbaulichen Schrauben zu drehen. So habe er beispielsweise die Herbstdüngung stark reduziert und die organische Düngung ins Frühjahr verlagert. Zudem sieht Zilian in der Technik weitere Optimierungsmöglichkeiten. Technische Systeme, die mit Biomassekarten arbeiten, könnten dazu beitragen, guten Weizen auch gut zu versorgen und Einsparungen auf schwächeren Flächen vorzunehmen. „Wir haben das N-Niveau insgesamt durch verschiedene Maßnahmen abgesenkt, konnten die Auswirkungen der Anpassungen aber noch nicht auswerten“, erklärte er.

Zilian hat sich die Frage gestellt, wo das Nitrat im Grundwasser, das an der Messstelle nachgewiesen wird, herkommt. Die Messtelle befindet sich direkt neben einem Klärwerk. Vor zwei Jahren hat der Landwirt auf eigene Rechnung vier weitere Messstellen auf seinen Flächen bohren lassen. Die Kosten bezifferte er auf rund 14 000 € pro Messstelle. „Wir haben eine hohe Messrate und untersuchen neben Nitrat auch Pflanzenschutzmittel-Metaboliten. Wir machen das in Zusammenarbeit mit den Behörden.“ Sie seien auf gutem Weg, dass die Daten in die amtlichen Messungen aufgenommen werden. Er wolle damit einen Beitrag leisten für die Diskussion über eine nachhaltige Landwirtschaft, aber auch Forschungsarbeit leisten und verhindern, dass die ergriffenen Maßnahmen der Düngeverordnung ins Leere laufen und stattdessen durch die geringere Düngeintensität die Bodenfruchtbarkeit leide und Humus abgebaut werde. Als Beispiel führte er die Auswirkungen der Stickstoffreduktion in Dänemark an. Zilian bezeichnete das dänische Vorgehen als Großversuch, bei dem die Bodenfruchtbarkeit reduziert wurde. „Das lässt sich so schnell auch nicht wieder umkehren.“

Dänemark als Großversuch

Das bestätigte auch Ackerbauer Hans Otto Sørensen aus dem südlichen Dänemark. Seit Mitte der 80er Jahre gab es dort Einschränkungen bei der Stickstoffdüngung, die in den 90er Jahren noch weiter verschärft wurden. Anders als in Deutschland steht in Dänemark nicht der Nitratgehalt im Grundwasser im Fokus, sondern der Stickstoffeintrag in die Oberflächengewässer. Laut Sørensen müssen die Betriebsleiter in Dänemark Düngepläne machen, die sich an Stickstoff-Grundnormen für die jeweiligen Ackerfrüchte orientieren. Die organische Düngung ist in Dänemark stark verbreitet und mit hohen Anrechnungsquoten versehen. Sie unterliegt strengen Vorschriften hinsichtlich der Einarbeitung und der Ausbringung in Bodennähe. Außerdem muss sie mit Schwefelsäure angesäuert oder mit Nitrifikationshemmern versehen werden, um NH3-Verluste zu reduzieren. „Die Proteingehalte sind durch die Reglementierung der Düngung stark gefallen. Zu Anfang fielen die Proteingehalte nicht so stark, weil noch viel Stickstoff im Boden war. Später wies der Weizen nur noch 9 bis 10 Prozent Protein auf, wir konnten keinen Backweizen mehr erzeugen. Auch die Braugerste hatte so geringe Eiweißgehalte, dass wir kein Bier mehr brauen konnten“, berichtete Sørensen. Seit 2016 dürfen die Landwirte in Dänemark wieder mehr Stickstoff düngen, die Bedarfswerte wurden deutlich erhöht. „Die Proteingehalte haben sich trotzdem nicht verbessert, weil der Boden leer ist“, sagte der dänische Landwirt.

Der zweite Teil der Veranstaltung drehte sich um die praktischen Auswirkungen der Düngerestriktionen auf die Getreidequalitäten und die Möglichkeiten der verschiedenen Branchen, darauf zu reagieren. Ebenso wurde die Frage gestellt, welche Vermarktungsstrukturen und Geschäftsmodelle notwendig sind, um Partien mit geringeren Eiweißgehalten und dennoch guten Backeigenschaften erfolgreich zu vermarkten.

Vertragsanbau in der Region

Für Michael Gutting von der Gutting-Bindewald Mühlen-Gruppe steht fest, dass die Mühlen auch mit weniger Protein umgehen können. „Mit Weizen mit einem Rohproteingehalt von 9 Prozent haben wir keine Erfahrung, aber 12 Prozent funktioniert schon.“ Am Mühlenstandort Alsleben an der Saale wird nach seinen Worten seit vielen Jahren Vertragsanbau betrieben. „Wir lassen verschiedene Sorten für bestimmte Endprodukte im Vertragsanbau anbauen. Dabei steht nicht klassisch der Ertrag im Vordergrund, sondern eher die spezifischen Anforde-

rungen an die Produktion. Mindererträge werden preislich honoriert und jeder in Kette kann sicher planen“, benannte Gutting die Vorteile. Er machte aber auch deutlich, dass so ein Modell nicht an jedem Standort der Mühlen-Gruppe funktioniert. „Es gibt in den Regionen sehr unterschiedliche Strukturen. Der Standort Neuss beispielsweise ist auf klassische Handelsstrukturen eher angewiesen als der Mühlenstandort Alsleben.“ Gutting ist sich sicher, dass die Warenströme in Zukunft spezifischer werden und sich noch mehr an die Anforderungen der Kunden anpassen.

Bäckermeister Tobias Exner aus Beelitz hat bereits Erfahrung gesammelt mit Getreide mit geringeren Rohproteingehalten. „Im Biobereich haben wir oft Weizen mit 10,4 Prozent Rohprotein. Brote gehen daraus gut, bei Kleingebäck wird es schwieriger.“ Schon bei Brötchen seien lange Teigführungszeiten nötig. „Im Handwerk können wir uns auf viele Anforderungen einstellen. Industriemaschinen akzeptieren weniger Abweichungen in den Parametern“, so Exner. Für den Bäcker ist der regionale Warenbezug wichtig. Er setzt zudem auf spezielle Getreidearten wie Dinkel, Emmer und Einkorn. Für Backwaren aus diesem Getreide gebe es einen Kundenkreis, der bereit sei, dafür mehr Geld auszugeben. Davon profitieren auch die Landwirte, mit denen er zusammenarbeitet.

Sortenreine Vermarktung denkbar

Ludwig Striewe, Geschäftsführer bei ATR, einem privaten Landhandelsunternehmen mit Sitz in Schleswig-Holstein, geht davon aus, dass sich die Funktionen des Handels ändern werden. Langfristig werde das Gleichmachungskriterium Protein wegfallen und andere Eigenschaften über Sortenunterschiede wichtiger werden. „Der Rückgang der Rohproteingehalte im Weizen wird über Jahre gehen. Wir werden jedes Jahr gucken, wie viele Partien für Mühlen zur Verfügung gestellt werden können“, sagte er. Gleichwohl sei es kein Allheilmittel, eine Wertschöpfungskette für die Vermahlung aufzubauen, zumal es in Norddeutschland wenige Mühle gebe. „Das geht regional, aber wir sind ein Gunststandort für die Erzeugung von Nahrungsmitteln.“ Striewe brach eine Lanze für den Export, der vor allem für Landwirte in hafennahen Gebieten ein wichtiger Vermarktungsweg ist und das wohl auch blieben wird. Denn zwölf Länder sind für 90 Prozent der Exporte verantwortlich. „Deutschland gehört dazu.“ Striewe sieht für die Zukunft durchaus Chancen für sortenreine Vermarktungssysteme, wenn die Nachfrage da ist. Die Landhändler würden sich schon heute mit Lagermaßnahmen für spezielle Produkte befassen, beispielsweise für Bohnen und Erbsen. Der Landhändler erwartet eine Weiterentwicklung der Fruchtfolgen auf den Betrieben, auf die auch der Handel entsprechend reagieren wird. Dann sei auch eine kleinteiligere Vermarktung in Richtung Lebensmittelindustrie möglich, von der auch die Landwirte profitieren könnten.

Fazit: In den Roten Gebieten wird die Erzeugung von Weizen mit hohen Proteingehalten schwieriger werden. Alle Gesprächspartner des Ackerbauforums waren sich einig, dass es nötig wird, sich vom Proteingehalt als einzigem Kriterium für die Backqualität zu verabschieden und neue Sorten in den Fokus zu nehmen. Standortangepasste Maßnahmen in der Stickstoffdüngung müssen aber weiterhin möglich sein, weil es in Deutschland viele Gunststandorte für den Weizenanbau gibt, die auch für den Export produzieren.

ibs – LW 22/2021