Wenn Spiel und Spaß ein Nachspiel haben

Interview mit einem Suchtexperten über die Glücksspielsucht

Nach Bevölkerungsbefragungen sind in Deutschland 100 000 Menschen pathologische Glücksspieler. LW-Autorin Silke Bromm-Krieger klärt im Gespräch mit dem Suchtexperten Bernd Mukian über das Phänomen „Glücksspielsucht“ auf.

Bernd Mukian (57) ist Diplom-Sozialpädagoge und Suchttherapeut.

Foto: Silke Bomm-Krieger

Herr Mukian, wie können Spiel und Spaß zur Sucht werden?
Bernd Mukian: Vordergründig wird das Spielen von den Betroffenen zunächst mit Spaß, Freizeitgestaltung und Gewinnen verbunden. Im weiteren Verlauf kommt es bei den meisten süchtigen Spielern zur Entwicklung einer Eigendynamik des Spielens. Das Glücksspiel wird nun zweckentfremdet durchgeführt. Es geht nicht mehr um den finanziellen Gewinn. Vielmehr steht zunehmend der „emotionale Gewinn“ im Vordergrund. Das Spielen dient beispielsweise dazu, innere psychische Spannungen abzubauen oder mögliche Probleme und Belastungen beiseite zu drücken und zu vergessen. Die Spielhäufigkeit und die Spielintensität steigen. Der Spieler beschäftigt sich immer mehr mit dem Glücksspiel. Es wird zum zentralen Lebensinhalt. Geld wird immer mehr zu „Spiel-Geld“. Die finanziellen Gewinne werden in der Regel wieder eingesetzt und verspielt. Wiederholte Geldverluste führen dabei zu einer Jagd nach dem Verlustausgleich, zu einer Rückkehr am nächsten Tag, um die Verluste wieder wettzumachen. Die Kontrollfähigkeit geht verloren, Versuche glücksspielabstinent zu bleiben oder das Spielen dauerhaft einzuschränken, scheitern.

Welche Auswirkungen hat das auf das Familien- und Arbeitsleben?
Mukian: Der Spieler entfremdet sich von seiner Familie. Er lügt, um das Ausmaß des Spielens zu verheimlichen. Er kann gemachte Schulden nicht mehr zurückbezahlen und verschafft sich gegebenenfalls illegal Geld, um weiter spielen zu können. Die möglichen negativen Folgen seiner Glücksspielsucht lassen sich irgendwann nicht mehr vertuschen. Was passsiert sind Verschuldung, drohender Verlust des Arbeitsplatzes, Ehe- und Familienprobleme, Beschaffungskriminalität, Persönlichkeitsveränderungen, psychosomatische Erkrankungen oder Selbstmordgedanken.

Warum wird ein Mensch glücks­spielsüchtig?
Mukian: Die Entwicklung von Sucht ist ein sehr komplexer Vorgang. Wissenschaftliche Untersuchungen haben ergeben, dass es die typische Spielerpersönlichkeit genauso wenig gibt, wie die eine Ursache glücksspielsüchtig zu werden. Die Suchtentwicklung ist ein Resultat von verschiedenen Wechselwirkun­gen, die im Spiel selbst, in der Biografie des Spielers und in seinem sozialen Umfeld begründet sind. Je nach Einzelfall in unterschiedlicher Kombinationen und Ausprägung.

In der Biografie von vielen Spielern konnten verschiedenste psychosoziale Belastungen festgestellt werden, wie zum Beispiel eine fehlende emotionale Zuwendung und Anerkennung oder ein einseitiger Erziehungsstil der Eltern – entweder besonders hart und bevormundend oder übermäßig verwöhnend und inkonsequent. Auch zeigen pathologische Spieler häufig ein mangelndes Selbstwertgefühl. Sie sind depressiv, verstimmt und können mit Konflikten und Spannungen nicht angemessen umgehen.

Was können Betroffene tun, die aus der Glücksspielsucht heraus wollen?
Mukian: Die meisten Spieler schaffen den Ausstieg nicht allein. Ein erster Schritt besteht darin, sich alle möglichen Hilfen zu holen. Ein unverbindliches Gespräch mit einem Berater der Suchthilfe oder der Besuch einer Spieler-Selbsthilfegruppe sind hilfreich. Seit Frühjahr 2001 wird die Glückspielsucht von den Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern als rehabilitationsfähige Krankheit anerkannt. Mittlerweile gibt es ein gut ausgebautes Hilfesystem, ambulanter, tagesklinischer und statio­närer Therapie-Angebote. Bei einer konsequenten und weiterführenden Behandlung der Glücksspielsucht sind die Erfolgsaussichten, dauerhaft und zufrieden „trocken“ zu bleiben, durchaus gut.