Welche Strategie ist für die Waldbesitzer richtig?

Binger Waldsymposium widmet sich der Zukunft unserer Wälder

Erstmals seit dem Jahr 2008 fand in Bingen wieder ein Waldsymposium statt. Gemeinsam haben das Forstamt Boppard, die TH Bingen und die Stadt Bingen ein interessantes Programm auf die Beine gestellt, das viele Anregungen gab: Wie kann mit der dramatischen Situation in den Wäldern umgegangen werden? Welche Baumarten sind geeignet? Auch im Binger Wald gibt es derzeit 50 ha Kahlflächen – der Klimawandel ist angekommen.

Absterbende Buchen sind seit dem dritten Dürresommer keine Seltenheit mehr.

Foto: Setzepfand

Im ganztägigen Veranstaltungsprogramm wurde ein großer Bogen ­geschlagen von der zukünftigen Entwicklung des Klimas, über die Baumartenwahl, den Waldnaturschutz zu den Wiederbewaldungsstrategien in Rheinland-Pfalz, zur Sicherung der Waldfunktionen und schließlich zum Gleichgewicht im Wald.

Unbestritten: Das Klima ändert sich

Dr. Ulrich Matthes vom Kompetenzzentrum für Klimawandelfolgen Rheinland-Pfalz in Trippstadt zeigte mögliche Szenarien mit unterschiedlichen Temperaturerwärmungen und Treib­hausgasemissionen, die RCP 2,6, hier werden 400 ppm CO2 äq im Jahr 2100 in der Luft sein, ist sehr ambitioniert. RCP 4,5 mit 650 ppm CO2 äq bis 2100 ist optimistisch und RCP 8,5 mit 1 370 ppm CO2 äq bis im Jahr 2100 wird als realistisch eingestuft. RCP steht dabei für repräsentative Konzentrationspfade. Auch der Strahlungsantrieb spielt eine Rolle und letztlich geht es um die Erderwärmung, die bei RCP 8,5 bei 4 °C liegt, wenn der Mensch sein Verhalten nicht ändert. Die anderen Szenarien verlangen deutlichen Handlungsbedarf, um unter 2 °C Erderwärmung zu bleiben.

Dr. Christian Kölling vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im bayerischen Roth hat die erwarteten klimatischen Daten bei RCP 8,5 mit Orten in Verbindung gebracht, die derzeit diese klimatischen Voraussetzungen bereits erfüllen. So sei es möglich, dass im Jahr 2100 das Klima der Provence oder vom Balkan im mitteleuropäischen Bingen herrsche. Bildlich sprach Kölling vom Klimazug, der verschiedene Baumarten mitbringe: „Wir gehen von unserer Erfahrung aus, die auch die Bäume haben. Doch das Klima ändert sich, also ändert sich die Zukunft. Die wichtigen Fragen sind: Wie sieht das neue Klima aus? Woher kommt der Klimazug? Wann kommt der Klimazug an?“

Wichtig: Temperaturen und Sommerniederschlag

Wichtig seien für eine Baumart drei Werte: die höchste Sommertemperatur, die niedrigste Wintertemperatur sowie der Sommerniederschlag. Der Winterniederschlag spiele nur da eine Rolle, wo dieser gut gespeichert werden kann. Kölling stellte klar, das Klima ändere sich, also muss sich auch die Baumartenzusammensetzung ändern. Die Forstwissenschaftler um Kölling haben bei ihren Ãœberlegungen zahlreiche Baumarten in ein Diagramm aufgetragen, dabei gibt die x-Achse die Zeitschiene an. Kölling teilte die Baum­arten in Gruppen. Zur Gruppe 1 gehört die Fichte, sie ist schon heute kritisch einzuordnen. Es sei derzeit klar zu erkennen, dass die Fichte schon deutlich an ihrer Verbreitung einbüßt. Die Douglasie gehört zu den Baumarten, die „heute noch stark“ sind, jedoch ab 2050 deutlich an Standfläche verliert, ebenso die Kiefer und Schwarzkiefer, Letztere hält bis 2080 durch. Die Aleppokiefer wird ab 2050 stetig an Standfläche zunehmen. Bei den Laubbäumen nimmt die Buche stetig ab bis 2050.

Es gibt Baumarten, die einfach weiterwachsen

Die Baumarten Vogelkirsche, Esche und Stieleiche gehören zur Gruppe der „immer Starken“. Sie wachsen unabhängig der Temperatur über 2100 hinaus auch mit geringen Sommerniederschlägen gut. Die Traubeneiche und die Hainbuche sind die Baumarten, die „morgen stark“ sein werden, jedoch ab 2080 bei zu hoher Erderwärmung an Standfläche verlieren. „Die Gruppe der heute noch kritischen Baumarten mit der Esskastanie, der Flaumeiche, der Elsbeere, der Steineiche und der Manna-Esche entwickelt sich ab 2060 und nimmt dann stets zu“, prognostizierte Kölling. Er bemerkte, dass die derzeitigen deutschen Wälder von vier Baum­arten dominiert werden, Pflicht sei nun eine Anreicherungskultur zu starten, um das Risiko zu streuen. „Die Bestandesbegründung mit Klumpenpflanzungen, die hier in Rheinland-Pfalz seit vielen Jahrzehnten besteht, diese kann mit weiteren Baumarten beibehalten werden“, sagte Kölling.

Waldökosystem brach auf Extremstandorten zusammen

Die ergänzenden Baumarten nehmen derzeit in der Pressearbeit einen großen Raum ein, da sie für den Waldbau in Deutschland neu sind. Ihre tatsächliche Einbringung in die heimischen Wälder soll laut rheinland-pfälzischem Forstministerium diese Pyramide verdeutlichen.

Foto: FAWF

Georg Wilhelm aus dem Forstministerium in Rheinland-Pfalz sprach zum Thema „Wiederbewaldungsstrategien in RLP“. Für ihn ist klar, der Wald leidet unter menschenverursachten Einwirkungen, die sich im Artenschwund, in der Einschleppung von Neobiota und in den klimawirksamen Veränderungen der Atmosphäre zeigen. „Diese Faktoren stehen in einer Wechselwirkung zueinander und verstärken sich“, zeigte sich Wilhelm überzeugt. Beweise sehe er in den Beobachtungen der letzten drei Jahre, in denen es in Rheinland-Pfalz zu 25 000 ha Freiflächen durch das Absterben der Fichte kam. Auch die massiven Störungen in naturnahen Wäldern bei der Kiefer und

Buche sowie das Zusammenbrechen ganzer Waldökosysteme auf Extremstandorten wie am Donnersberg, im Lennebergwald, im Mittelrheintal und an der Mosel weisen auf die Wechselwirkungen. Als Leitlinien dienen in Rheinland-Pfalz das Landeswaldgesetz, die Mainzer Walderklärung vom Sommer 2019, das Grundsatzpapier „Maßnahmen zur Verminderung von Klimastressfolgen – zentrale Grundsätze unseres Handelns“ sowie die Grundsatzanweisung „Waldverjüngung im Klimawandel“. In Letzterem steht geschrieben: Alles, was von Natur kommt, annehmen! „Auch wenn es Brombeeren oder Adlerfarn ist, denn wir müssen auch den Waldboden vor Erosion schützen“, so Wilhelm. Ein weiterer Grundsatz lautet: Nur punktuell eingreifen, höchstens auf 15 Prozent der Fläche mit dem Einbringen anderer Baumarten in Klumpen. Die anderen 85 Prozent werden der natürlichen Dynamik überlassen. Die Wiederbewaldung werde als natürlicher Vorgang gesehen, daher soll möglichst viel Biomasse auf der Fläche bleiben, kein Abräumen, um das Ökosystem am Laufen zu halten. Kein fremdes Substrat in Form von Containerpflanzen in den Wald bringen und keine Eingriffe in die Bodenstruktur durch Maschinen. Die großen und kleinen Pflanzenfresser, gemeint sind Rehwild und Mäuse, seien einzudämmen, bemerkte Wilhelm. Als Schema für die Wiederbewaldung der Freiflächen zeigte Wilhelm eine Pyramide, deren untere Lage weiterhin die „heimischen Haupt­baumarten“ bilden, vor allem die Buche. Seiner Meinung nach sei sie die Matrixbaumart, gefolgt von Eiche, Weißtanne und Hainbuche. Die nächste Lage bilden die „seltenen heimischen Mischbaumarten“ wie Spitzahorn, Winterlinde und Elsbeere. Es folgen die „alternativen Herkünfte heimischer Baumarten“ wie besondere Herkünfte der Traubeneiche für Extremstandorte.

Einfallswinkel der Sonne anders als in den Herkunftsländern

Laut Dr. Christian Kölling werden sich je nach Klimaszenario weitere Baumarten verabschieden und neue erreichen ihr Optimum. Bei RCP 2,6 bis RCP 4,5 wird die Erderwärmung um rund 2 °C zunehmen, bei RCP 8,5 um 4 °C bis 2100.

Foto: LWF

In der Spitze der Pyramide finden sich die „bewährten alteingeführten Baumarten“ wie Walnuss und Esskastanie, die „bewährten eingeführten Baumarten“ wie Douglasie sowie ganz oben die „ergänzenden Baumarten“ aus dem südeuropäischen und kleinasiatischen Raum, die mit unseren Böden zurechtkommen. Wilhelm sprach sich für die Saat aus, wo immer diese machbar ist und wies abschließend darauf hin, dass das Strahlungsangebot in Deutschland nicht dasselbe der südlichen Herkunftsländer ist. Der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen ist ein ganz anderer, dies führe zu deutlich anderen Baumkronenformen.

Unter dem Titel Assisted Migration sprach Dr. Vera Holland von der Goethe Universität Frankfurt am Binger Waldsymposium. Es geht bei Assisted Migration um jene Baumarten, die ohnehin einwandern würden. In einem Projekt im Hessischen Ried laufen Versuche mit Flaumeiche, Zerreiche, Steineiche und einigen mehr zur Invasivität und Konkurrenz, zur Vitalität, zur Eignung im heimischen Waldökosystem inklusive der Verwertbarkeit des Laubes als Streu sowie als Lebensraum und Futterpflanze für heimische Tiere. Holland zeigte, dass Quercus pubescens, die Flaumeiche, durchaus Fröste verträgt, dass Quercus frainetto, die Ungarische Eiche, sehr klein bleibt, da sie vornehmlich ein starkes Wurzelsystem ausbildet. Alle Eichen im Hessischen Ried mussten in den Jahren 2017 bis 2019 eine Grundwasserabsenkung von 1,5 m verkraften. Die Ergebnisse zeigen, dass die Überlebensraten der südeuropäischen Eichen seit 2011 bei über 90 Prozent liegen, während die Stieleiche nur 73 Prozent aufweist. Im Höhenwachstum ähnlich der Stieleiche zeigte sich Quercus pubescens, die Flaumeiche.

Dass sich in der multifunktionalen Forstwirtschaft nach den drei Dürresommern und der Borkenkäferkalamität die Prioritäten der Waldfunktionen verschieben, darauf hat bereits Forstministerin Ulrike Höfken in ihrem Grußwort hingewiesen. „Es geht nun nicht mehr so sehr darum, Geld mit dem Wald zu verdienen, sondern seine zahlreichen gesellschaftlichen Leistungen wie Wasser-, Luft- und Klimaschutz zu erhalten“, sagte Höfken.

Die Störungen auch als Chance sehen

Dr. Peter Meyer von der NW-FVA in Hannoversch Münden verdeutlichte, dass die derzeitigen Störungen in den Wäldern auch eine Chance bieten. Untersuchungen aus dem Nationalpark Bayerischer Wald zeigen, dass dort in den lichten Beständen eine sehr viel höhere biologische Vielfalt herrschte als in den klassischen Hochwäldern. Meyer regte an, nun auch die natürliche Waldentwicklung mit Pionierbaumarten nicht außer acht zu lassen.

Erst Pionierbaumarten zulassen und dann entscheiden

Einstige Fichtenstandorte sind nun zu Kahlflächen degradiert. In Hessen werden derzeit allein im Staatswald 15 000 ha Kahlflächen verzeichnet und in allen Wäldern von Rheinland-Pfalz 25 000 ha. Das Bild entstand im Reinhardswald.

Foto: Setzepfand

In diesem Punkt stimmte er mit Prof. Dr. Sven Wagner von der TU Dresden überein, der sich in der aktuellen Situation, die voller Ungewissheit ist, noch nicht festlegen möchte, sondern als Strategie vorschlug: Pionierbaum­arten auf den vorhandenen Freiflächen zuzulassen, um dann langsam in 20 Jahren die Zukunftsbaumarten, die dann zuverlässiger abzusehen sind und in besserer Qualität und den gewünschten Herkünften vorhanden sind, zu säen oder pflanzen. Wagner betonte, dass viel mehr Untersuchungen über die Reaktion der Baumarten auf Klimaveränderungen getätigt werden müssten.

„Das neue Gleichgewicht im Wald?“ lautete der Titel des Vortrags von Dr. Tobias Mette von der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft in Freising. Treffender wäre zu fragen: Wo liegt das ökologische Gleichgewicht? Das ökologische Gleichgewicht zeichnet sich aus durch ein stabiles Gefüge, bei kleineren Störungen bleibt es resistent, bei größeren Störungen bleibt es erholungsfähig, das wird resilient genannt, so Mette. Wälder im Gleichgewicht halten Störungen aus.

Klimatische Bedingungen für Eichen werden besser

Lange trug der Buchenwald zu einem großen Teil das Gleichgewicht in den mitteleuropäischen Wäldern. Nun verschiebe sich dies mehr zur Eiche, konstatierte Mette. Der Klimawandel führt in den Wäldern dazu, dass das Risiko großflächiger Ausfälle zunimmt. „Kein Bestand wird angesichts der kommenden Klimaerwärmung für die Dauer einer Baumgeneration im klimatischen Gleichgewicht bleiben“, kündigte Mette an. Daher empfiehlt er gemeinsam mit Dr. Kölling, dass nicht nur Arten mit mittelfristigen, sondern auch langfristigen Perspektiven an Sonderstandorten eingebracht werden.

Die derzeitigen Störungen sehen die Forstwissenschaftler aus Bayern als Chance, den Waldumbau aktiv zu betreiben, denn eine natürliche Anpassung kann mit der Geschwindigkeit des Klimawandels ihrer Ansicht nach nicht Schritt halten.

zep – LW 44/2020