Guter Umgang miteinander

Welche Regeln guten Benehmens gelten heute?

Ob bei der Arbeit, bei privaten Treffen oder bei Hoffesten: Anstand, Stil und gute Umgangsformen kommen immer und überall gut an und werden oft vorausgesetzt. Aber welche Benimmregeln gelten heute? Das LW hat bei Dr. Barbara Kleber nachgefragt, die seit vielen Jahren als Trainerin für Verhalten und Kommunikation tätig ist.

Dr. Barbara Kleber

Foto: privat

LW: Wie wichtig sind heute Benimmregeln im Vergleich zu früher?
Dr. Barbara Kleber:
Verkürzt kann man sicher sagen, dass die klassischen Benimmregeln heute nicht mehr so eng gesehen werden. Dafür hat guter Umgang miteinander an Bedeutung gewonnen. Gutes Benehmen heißt, einen wertschätzenden, respektvollen und achtsamen Umgang miteinander zu pflegen. Die Forderung ist zeitlos und sollte nicht aus der Mode kommen. Dahinter tritt die sture Anwendung von Regeln und Vorgaben in den Hintergrund. Wir können also heute viel entspannter mit vielfältigen Regeln umgehen, dürfen auf unsere Intuition hören und die jeweiligen situativen Gegebenheiten berücksichtigen.

LW: Was gilt es bei der Begrüßung eines Gegenübers zu beachten?
Kleber:
Zur Begrüßung gehört auf alle Fälle ein freundlicher Ausdruck und Blickkontakt. Das gilt für alle Begrüßungssituationen, egal wer sich da begegnet. Hierzulande gehört der Handschlag nach wie vor zur Begrüßung. Allerdings gilt es hier Feinheiten zu beachten. Der Handschlag sollte immer von der jeweils wichtigsten beziehungsweise ranghöheren Person initiiert werden. Also der Chef bietet seinem Azubi den Handschlag an – oder auch nicht – nie umgekehrt. Aus dem Handschlag ziehen wir sofort Rückschlüsse auf die Person, die vor uns steht. Daher sollte der Handschlag immer fest – nicht schmerzhaft – sein und damit Energie und Entschlusskraft signalisieren. In Begrüßungssituationen, insbesondere mit Fremden, kommt es auf Freundlichkeit an. Damit wird auch leichter die Brücke zu einem anschließenden Gespräch gebaut.

Die Herren sollten zur Begrüßung immer die Kopfbedeckung abnehmen. Das signalisiert dem anderen Wertschätzung und Respekt.

LW: Bei mehreren, die begrüßt werden: Wer stellt wen in welcher Reihenfolge vor?
Kleber:
Zwei Einzelpersonen werden sich selbst vorstellen, dabei vielleicht auch ihre Visitenkarten austauschen. Wird ein Einzelner in eine Gruppe eingeführt, übernimmt der jeweilige „Gastgeber“ die Vorstellung des Neuen in der Gruppe. Bei der Begrüßung einer Gruppe mit Handschlag müssen Rangunterschiede nicht berücksichtigt werden. Das kann einfach reihum erfolgen.

Wichtig in solchen Situationen sind immer der Blickkontakt zu allen Beteiligten und eine offene freundliche Haltung.

LW: Vom Sie zum Du: Wie geht man das an?
Kleber:
Im privaten Umfeld sehen wir das heute viel entspannter. Hier muss die Regel, wonach das vertrauliche Du grundsätzlich vom Ranghöheren oder Älteren angeboten wird, nicht mehr stur eingehalten werden. Hier regelt sich viel über Sympathie.

Im beruflichen Kontext behält die alte Regel aber durchaus seine Bedeutung. Hier hat immer der Ranghöhere das Entscheidungsrecht, wen er förmlich siezen oder vertraulich duzen möchte. Diese Entscheidung sollte auch wohlüberlegt sein, denn es gibt kaum ein Zurück vom Du zum Sie.

LW: Was wird im täglichen Miteinander oft falsch gemacht? Welche Fettnäpfchen gibt es?
Kleber:
Fettnäpfchen lauern überall. Es kann immer zu peinlichen Situationen kommen. Natürlich werden wir uns bemühen, die überall lauernden Fettnäpfchen zu umgehen. Aber es passiert eben doch mal. Viel wichtiger ist die Frage, wie soll damit umgegangen werden. Grundsätzlich gilt: Entschuldigen! „Es tut mir leid.“ „Das wollte ich nicht.“ Haben wir die Kleidung des Tischnachbarn mit Rotwein bespritzt, gilt es, den Kellner zur Hilfe zu holen. Nie selbst Hand anlegen! Natürlich werden die Reinigungskosten übernommen.

LW: Welche Mythen gibt es bei den Benimmregeln?
Kleber:
Lautstarkes Niesen gilt bei uns, im Unterschied zu anderen Kulturkreisen, als salonfähig, wenn in die linke Armbeuge geniest wird. Allerdings sollte sich der Niesende bei seinen Mitmenschen entschuldigen. Das lautstarke „Gesundheit“ macht inhaltlich keinen Sinn.

Das „Mahlzeit!“ hält sich hartnäckig in Betriebskantinen und auf dem Weg dahin. Es scheint in vielen Unternehmen um die Mittagszeit die reguläre Grußformel zu sein. Besser wäre natürlich, sich auch um die Mittagszeit so zu grüßen, wie es zu anderen Tageszeiten üblich ist.

Natürlich sind die Damen beweglich genug, um sich selbst ihren Mantel anzuziehen. Aber es ist schön, wenn dabei Hilfe von männlicher Hand angeboten wird. Ja, er darf ihr immer noch in den Mantel helfen. Allerdings ist das ein Privileg der Männer. Die Damen werden einem Herren nur den Mantel reichen, den er dann selbst anziehen kann.

LW: Manche Dinge anzusprechen, sind gegebenenfalls peinlich, stören aber das Miteinander gewaltig. Beispielsweise wenn jemand, mit dem man viel zu tun hat, unangenehm riecht oder Distanzzonen nicht einhält. Was kann man tun oder sagen, ohne den anderen zu verletzen? Ist es manchmal vielleicht auch besser, nichts zu sagen?
Kleber:
Wird im täglichen Miteinander die Distanzzone verletzt, sollte man sich dagegen wehren. Das wird als Bedrohung erlebt und muss nicht hingenommen werden. Allerdings gilt hier, konsequent sogenannte Ich-Botschaften zu versenden, die ohne Vorwurf die eigene Befindlichkeit zum Ausdruck bringen, ohne den anderen anzugreifen oder zu verletzen. So kann eine solche Situation endgültig geklärt werden.

Schwieriger ist es schon mit unangenehmen Körpergerüchen. Hier kann ein vertrauliches Vier-Augen-Gespräch nützlich sein. Das setzt aber eine Vertrauensbasis voraus. Es gibt auch Situationen in denen Schweigen das Mittel der Wahl ist.

LW: Wenn Sie Alt und Jung ein paar Ratschläge geben könnten: Was könnten sie in ihrem Benehmen verbessern?
Kleber:
Gesellschaftliches Leben ist immer auch generationsübergreifend. Da prallen unterschiedliche Wertvorstellungen, verschiedene Erwartungen und Erfahrungen aufeinander. Da braucht es guten Willen auf beiden Seiten, um denkbare Konflikte gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Die Jungen sollten Verständnis für die Besonderheiten des Alters haben. Ältere Menschen kommen mit der täglichen Hektik und Hetze gegebenenfalls nur schwer zu recht. Sie werden auch durch anspornende Rufe nicht schneller. Mehr Achtung vor dem Alter und den Lebensleis­tungen der heutigen Senioren wäre wünschenswert. Die Alten sollten der jungen Generation gegenüber toleranter sein. Die viel zitierte „Jugend von heute“ ist nicht schlechter als Generationen davor. Sie sind nur anders, weil sie auch andere Lebensumstände haben als Oma und Opa.

LW: Legt man unterschiedlichen Wert auf Etikette in der Stadt im Vergleich zur Etikette auf dem Land?
Kleber:
Nach meiner persönlichen Wahrnehmung gibt es Unterschiede in der Bedeutung von Etikette in der Stadt und auf dem Land. Die ländliche Bevölkerung lebt stärker in Gemeinschaften und Verbünden. Da wird stärker aufeinander geachtet. Es gibt weniger anonyme Rückzugsmöglichkeiten. So haben Etikettefragen traditionsgemäß einen höheren Stellenwert.

Die Städter leben eher von der Gemeinschaft abgegrenzt, anonymer. Hier gelten natürlich auch Etiketteregeln. So sollten die Mitbewohner in einem großen Mehrparteienhaus immer gegrüßt werden, unabhängig davon, ob man sie kennt oder nicht. Aber diese Anonymität schafft eben auch mehr Freiräume, auch im Umgang mit der Etikette. Die Fragen stellte Stephanie Lehmkühler