Sehr volatile Getreidemärkte in der Ernte erwartet

Drei Getreidevermarkter im Interview

Alle Maßnahmen zur fachgerechten Führung der Getreidebestände finden mit der Ernte ihren Abschluss. Mit der Vermarktung entscheidet sich, wie erfolgreich die diesjährige Vegetationsperiode aus ökonomischer Sicht ausfallen wird. Das LW hat drei große Vertreter der aufnahmenden Hand in der Region zur Getreidevermarktung befragt. Für die Raiffeisen-Waren-Zentrale Rhein-Main eG antwortet Carl Offergeld, Leiter RWZ-Geschäftsbereich Agrarerzeugnisse, für die Raiffeisen Waren GmbH in Kassel (Raiwa) antwortet Martin Warburg, Abteilungsleiter Getreidehandel, und für die Proland-Agrarhandel GmbH Ute-Becker-Keller, zuständig für den Handel und die Getreidevermarktung.

Bevor das Getreide im Lager angekommen ist, sollten Erzeuger gut mit Informationen gewappnet ein erfolgreiches Vermarktungsgespräch geführt haben.

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Gehen Sie davon aus, dass es wegen des Coronavirus bei der Erfassung von Getreide zu Beeinträchtigungen der Annahme kommen kann?

RWZ: Hier sehen wir aus heutiger Sicht keine größeren Probleme auf uns zukommen. Alle geforderten gesetzlichen Regelungen und administrativen Vorgaben zur Verhinderung der Weiterverbreitung des Coronavirus wenden wir ja bereits heute schon erfolgreich in unserem Lagerhausbereich an. Die Abläufe auf unseren Standorten sind auch während der Getreideerfassung zur Zeit der Getreideernte den derzeitigen sehr ähnlich. Wir werden auch in der Ernte 2020 allen unseren Kunden einen hervorragenden und schlagkräftigen Ernteservice anbieten.

Raiwa: Zum derzeitigen Stand gehen wir davon aus, dass es zu keinen Beeinträchtigungen kommen wird. Wir sind als Unternehmen hinsichtlich der Krisenkommunikation und der Maßnahmenplanung zur Einhaltung der Hygienemaßnahmen gut aufgestellt und werden daran festhalten.

Proland: Das Virus und die damit zusammenhängenden Einschränkungen und Gefahren werden auch den Agrarhandel und damit die Erfassung in der Ernte begleiten. Oberste Pri­orität hat für unser Unternehmen die Gesundheit unserer Kunden und Mitarbeiter. Damit die notwendigen Abstands-; Sicherheits- und Hygienemaßnahmen eingehalten werden können, treffen wir derzeit bereits alle möglichen Vorkehrungen und Investitionen. Wie bei allen Unternehmen kann es kritisch werden, wenn sich Mitarbeiter infizieren und die dann notwendigen Quarantänevorschriften für alle anderen Kollegen ebenfalls Anwendung finden müssten. Dies würde wahrscheinlich eine Schließung der betroffenen Annahmestelle zur Folge haben. Weitreichende logistische und wirtschaftliche Schwierigkeiten für Handel und Landwirtschaft wären wohl die Folge.

Aus welchem Einzugsgebiet kommt Ihre Ware und wohin wird sie verkauft?

RWZ: Unser Erfassungsgebiet speziell in Hessen erstreckt sich von der Wetterau über die Rhein-Main-Region ins Hessische Ried bis an die Grenze zu Baden. Auch aus den Mittelgebirgsregionen Vogelsberg und Taunus sowie aus Spessart und Odenwald wird Ware erfasst. In Rheinland- Pfalz bilden Rheinhessen und die West-und Südpfalz den Kern des Erfassungsgebiets. Daneben fließt auch Ware aus dem Hunsrück an unsere Läger. In der genannten Region betreibt die RWZ etwa 20 Erfassungsstandorte mit den beiden Zentren Hanau und Worms an Main und Rhein. Daneben sichern eine Vielzahl schlagkräftiger Binnenstandorte die Erfassung und den Umschlag in der Fläche. In Hessen und Rheinland-Pfalz werden in der Ernte rund 250 000 t Agrarerzeugnisse erfasst.

Raiwa: Die Waren kommen aus unserem direkte Einzugs- beziehungsweise Vertriebsgebiet und liegen im Schwerpunkt in Hessen, Thüringen, in Teilen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Unsere Verkaufsaktivitäten fokussieren sich zu 99 Prozent auf den deutschen Markt.

Proland: Die Ware wird mittlerweile speziell an die Wasserläger aus einem Umkreis von bis zu 80 km angeliefert. Der prozentual größte Anteil kommt aber weiterhin aus dem Bereich bis 40 km. Mengenmäßig bleiben etwa 50 Prozent der Ware in Deutschland und 50 Prozent innerhalb der EU. Drittlandexporte sind in unserem Einzugsgebiet eher die Ausnahme.

Ute Becker-Keller, Proland.

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Von den Börsennotierungen ausgehend: Wie kommen Sie zu den Preisen, die Sie letztlich den Erzeugern in verschiedenen Einzugsbereichen zahlen? Wie setzt sich dieser Preis zusammen?

RWZ: Die Preisfindung erfolgt grundsätzlich auf der Basis von Tagespreisen, genauer gesagt auf Basis der minutengenauen Notierungen an den Warenterminbörsen. Aufgrund der Dynamik, unter der sich die Getreidemärkte befinden, sind längerfristige Preisgültigkeiten kaum noch darstellbar. Der regional ausgezahlte Preis ist immer abhängig von der jeweils in der Region gültigen Prämie. Diese kann sowohl positiv aber auch negativ gegenüber der Preisbasis – also der Börsennotierung – ausfallen. Hier bilden Angebot und Nachfrage sowie die Qualität des jeweiligen Erntejahres in der Region die Einflussfaktoren. Nach Berücksichtigung der Erfassungskosten bildet sich dann der Auszahlungspreis für den Landwirt.

Raiwa: Die Preise setzten sich aus den genannten Börsennotierungen und den damit einhergehenden Marktpreisen der abnehmenden Hand zusammen. Weiterhin berücksichtigen wir die Kosten der Frachten. Aus diesen Preiskomponenten setzt sich dann der Erzeugerpreis zusammen.

Proland: Viele unserer Abnehmer kalkulieren beim Weizen, Mais und Raps über die Matif. Wir verkaufen einen Teil unseres Getreides über Prämien, einen anderen Teil ganz klassisch am Kassamarkt. So können wir täglich unsere Verkaufspreise ableiten und die Erzeugerpreise unter Berücksichtigung der Fracht und Umschlagskosten kalkulieren. Die Kalkulation über Matif funktioniert aber nur dann gut, wenn auch der deutsche Exportmarkt läuft. Die Notierung der Matif bildet den Exportpreis an den Häfen ab. Die Prämienrechnung ist deshalb nicht immer die gleiche und kann stark schwanken. Viele andere Produkte sind börsentechnisch gar nicht notiert oder haben an den vorhandenen Börsen keine Liquidität und müssen ihren Preis über eine ganz normale kaufmännische Kalkulation finden. So zum Beispiel die Braugerste oder auch Futtergetreide und Leguminosen.

Carl Offergeld, RWZ.

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Welche Vermarktungsmodelle bieten Sie den Landwirten an? Welche Rolle spielen dabei Vorkontrakte, Preisabsicherung oder Lagerung für den Erzeuger?

RWZ: Grundsätzlich ist zu sagen, dass wir zu jeder Zeit für alle Kulturen einen attraktiven und marktgerechten Preis anbieten können. Dies gilt auch für Kulturen, die nicht täglich im Fokus stehen. Neben dem klassischen Vorkontrakt für bis zu drei Ernten im Voraus werden auch die sogenannten Mindestpreis-Modelle immer beliebter. Hier sichert sich der Landwirt einen Mindestpreis und kann gleichzeitig an steigenden Kursen partizipieren. Aufgrund der Kursverläufe in den zurückliegenden Monaten sowie der Erfahrungen aus dem Vorjahr hält sich das allgemeine Volumen bei Vorkontrakten zurzeit noch im Rahmen.

Raiwa: Im Modellportfolio befinden sich die Klassiker mit Vorkontrakten, Tagespreisen, Prämienkontrakte, Abschlagszahlungen, Einlagerungen und Mindestpreisabsicherung. In der Summe sind der Vorkontrakt und der Tagespreis jedoch die führenden Absicherungsinstrumente für unser Geschäft mit den Erzeugern.

Proland: Die Schwankungen der Getreidepreise nimmt jedes Jahr mehr zu und die Einflüsse auf die Preise werden immer vielfältiger. Zwar habe ich Zugang zu vielen Marktinformationen und beobachte täglich die Märkt und deren Psychologie, aber auch für mich wird es immer schwieriger, das Geschehen an den Märkten vorauszusehen. Wir pflegen ein partnerschaftliches Verhältnis zu unseren Kunden und deshalb halte ich es für wichtig, für jeden die bestmögliche Preisabsicherung zu bieten. So versuchen wir permanent, das Marktgeschehen unseren Landwirten zu vermitteln und Empfehlungen auszusprechen. Wir sind bei den Vermarktungsmodellen flexibel. Wir bieten früh Vorkontrakte an, die Landwirte können bei uns einlagern und wir bieten eine Treuhandvermarktung an.

Welche Bedeutung hat die Vermarktung von Bio-Ware bei Ihnen mittlerweile?

RWZ: Die RWZ handelt bereits seit einiger Zeit Bio-Ware im Streckengeschäft und hat

Martin Warburg, Raiwa.

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ab der Ernte 2019 mit der Erfassung von Bio-Ware an einem eigenen Erfassungslager in Friedberg/Hessen begonnen. Das Gleiche gilt für Umstellungsware. Der steigende Anteil von Bioerzeugnissen hat uns dazu bewogen, einen eigenen und separaten Standort für Bio-Ware zu definieren und diesen entsprechend aufzustellen. Bio-Ware und Umstellungsware in ihrer Vielfalt erlauben uns den Zugang zu neuen Verarbeitern in anderen Regionen. Daneben ist die RWZ auch im Bio-Segment verlässlicher Anbieter von Saatgut sowie anderen Betriebsmitteln und Agrartechnik.

Raiwa: Aus unserer Sicht gewinnt die Vermarktung von Bio-Ware immer mehr an Bedeutung. Jedoch stellen wir fest, dass die Mehrzahl der Konsumenten noch nicht bereit ist, die entsprechenden Kosten für Bio-Ware zu zahlen. Daher kann man noch von einem Nischendasein sprechen, auch wenn die Bedeutung zunehmen wird. Weiter stellen wir fest, dass die politisch gewollte Förderung für die biologische Landwirtschaft momentan eher zu einer Überproduktion führt. Aus unserer Sicht muss in erste Linie das Bewusstsein der Konsumenten für Bio-Erzeugnisse geschärft und der Absatz gefördert werden.

Proland: Als Firma Rupp sind wir schon seit zehn Jahren für den Handel von Bio-Betriebsmitteln für den Weinbau zertifiziert und seit 2018 auch für den Handel mit Bio-Getreide. Es ist eine gute Alternative für die Landwirtschaft, wenn sie gelebt werden kann. Als Partner der Landwirtschaft haben wir uns dazu entschlossen, in dieses Segment zu investieren, um den Umstellungswilligen eine Anlaufstelle für die Getreideerfassung zu geben.

Wie schätzen Sie die Preisentwicklung für die Ernte 2020 ein?

RWZ: Die Corona-Pandemie lastet nun seit einigen Wochen auch auf den Agrarmärkten dieser Welt. Dieser Einfluss betrifft vor allem die Nachfrageseite, da aufgrund des prognostizierten globalen Abschwungs ein Minderverbrauch von Agrarrohstoffen eintreten wird. Ob und in welchem Ausmaß dieser Minderverbrauch, der in erster Linie den Bereich Non-Food/Energie betrifft, eintreten wird, bleibt abzuwarten. Auf der anderen Seite stellen sich die Bedingungen in den wichtigen Anbauregionen der Nordhalbkugel bisher sehr heterogen dar und lassen in einigen relevanten Gebieten, wie beispielsweise im Süden Russlands, bedingt durch fehlende Niederschläge, Ertragsrückgänge erwarten. Auch waren die Aussaatbedingungen bei Wintergetreide im Herbst 2019 vor allem in Westeuropa nicht ideal und beschränken das Angebot bei den entsprechenden Kulturen. Aufgrund der dargestellten Rahmenbedingungen werden wir uns für die Ernte 2020 weiterhin auf sehr volatile Märkte einstellen müssen.

Raiwa: Diese Frage ist aktuell schwierig zu beantworten. Die preisliche Entwicklung steht und fällt mit der Wetterprognose der kommenden Wochen und natürlich mit der gesamtwirtschaftlich angespannten Lage aufgrund der COVID-19-Pandemie. Auch wenn es für unsere Getreideannahme nach heutigem Stand nicht zu Schwierigkeiten kommen wird, so ist dieses Thema gesamtwirtschaftlich heute für uns nur schwer zu fassen.

Proland: Wie ich zu den Vermarktungsmodellen schon erwähnt habe, gibt es mittlerweile zu viele Einflussfaktoren auf die Märkte, um die Preise vorherzusagen. Wer hätte anfangs des Jahres gedacht, dass ein Virus den Rohölmarkt so unter Druck setzen kann, dass Diesel hierzulande unter 1 Euro je Liter kostet. Genauso ist es im Getreidemarkt. Natürlich spielt der Wettermarkt und damit die Getreidemengen bei der Preisgestaltung die erste Rolle, aber nur bis zur Ernte. Sobald man das Angebot zu glauben kennt, übernimmt die Nachfrage die Preisgestaltung. Bisher ging man davon aus, dass es genügend Getreide auf der Welt geben wird. So werden sich die Preise bis zur Ernte nicht wesentlich gegenüber heute ändern. Kommt der Wettermarkt ins Spiel, dreht sich das Blatt. Eine verlässliche Prognose fällt derzeit enorm schwer. Alle Szenarien einer Preisentwicklung sind denkbar und vorstellbar. Einzig bei Braugerste bin ich mir recht sicher. Dadurch, dass die zwei Monate Lockdown weltweit den Bierkonsum gedrückt haben und die Malzläger voll sind, wird es schwer sein, aus dem Preistief zu kommen, auch wenn es noch eine Trockenperiode gibt.

Welche Angebote machen Sie Ihren Kunden beim Abtransport vom Feld?

RWZ: Neben der klassischen Abholung der Agrarerzeugnisse ab Hof des Landwirts bieten wir in der Ernte zusätzlich die Ab-Feld-Abholung für alle Warenarten in der gesamten Erfassungsregion an. Hierbei ist es wichtig, vorab eine Planung über Menge und Standort der Erntefläche zu machen, um eine reibungslose Abwicklung zu gewährleisten. Grundsätzlich ist der Frachtpreis für die Abholung im Preis der Ware einkalkuliert. Wie bei allen anderen Geschäften gelten auch bei Streckengeschäften neben den AGBs die Einheitsbedingungen im Deutschen Getreidehandel. Ferner finden je nach Warenart die Mühlen-, Ölmühlen- oder Mälzerei-Bedingungen entsprechende Anwendung.

Raiwa: Hier bieten wir unser komplettes Angebotsspektrum an, sprich Vorkontrakte, Tagespreise, Prämienkontrakte, Abschlagszahlungen, Einlagerungen und Mindestpreisabsicherungen. Darüber hinaus unterstützen wir unsere Kunden bei der Erntelogistik mit unserem Fuhrpark.

Proland: Die Logistik wird bei steigenden Betriebsgrößen ein immer wichtigerer Faktor in den landwirtschaftlichen Betrieben. Wir bieten unseren Landwirten die Möglichkeit, entweder per Container, Großraummulden oder Direktverladung auf den LKW die Ware am Feldrand abzuholen. Diese Angebote werden auch immer stärker in Anspruch genommen.

LW – LW 22/2020