Agrar-Monopoly mit branchenfremdem Geld
Bulle, Bär, Agrarrohstoffe – wie robust sind die Märkte für Landwirte?
Alle reden vom Aufschwung. Aber wer profitiert davon, wie robust sind die Märkte? Ökonomen und Regierungen korrigieren zur Zeit ihre Prognosen für das Wachstum fortlaufend und die Preisrallye bei Rohstoffen ist ungebrochen. Auch Getreidebauern können sich wieder freuen: Die Preise für Raps und Weizen sind auf den höchsten Stand seit zwei Jahren geklettert. Gleichzeitig kämpfen Schweinehalter um ihre Existenz. Dipl.-Ing. agr. Sabine Linker vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen erläutert, wie die Landwirte zwischen Skepsis und Boom auf den Märkten ihre Betriebe managen müssen.
Preisrallye hat viele Ursachen
Die internationale Verflechtung der Märkte hat zugenommen und damit die Preiswirkung von Nachrichten aus andeÂren wichtigen Import- und Export-Ländern. Der Milliarden schwere Einsatz der Finanzwelt im RohÂÂÂstoff-Monopoly sorgt für zusätzliche Preisrisiken. Währungsturbulenzen, eine expansive Geldpolitik – vor allem in den USA, Ernteausfälle rund um den Globus, Inflationsängste und die stetig steigende Nachfrage der Schwellenländer. Der Mix forciert seit Mitte vorigen JahÂres den Preisaufschwung an den Agrarrohstoffmärkten. War bis vor kurzem noch der Wirtschafts-Crash das beherrscheÂnÂde Thema in den Börsensälen, so sorgen heute Finanzjongleure für eine neue Preisrallye.
Geld in Aktien oder Schweinhälften
In der Logik der Finanzmärkte wird die Zahl der Chancen bewertet, aus Geld noch mehr Geld zu machen. Dabei ist es völlig egal, ob diese Chancen im Aktienmarkt liegen, am Devisenmarkt gesucht werden oder im Handel mit Kaffeebohnen, Orangensaft, Schweinehälften oder Raps zu finden sind. Wer an den Börsen der Welt handelt, kommt mit Weizen oftmals nur in Form von Backwaren in Berührung.
Internationale Finanzhäuser, global operierende Fonds und spekulative Investoren haben das Rohstoff-Monopoly in den letzten Jahren als lukratives Business entdeckt. Agrarrohstoffe sind gefragt, denn der Bedarf an Rohstoffen für Nahrungs- und Futtermittel, Energie und andere industrielle Zwecke wächst Jahr für Jahr. Allein bei Weizen steigt der globale Bedarf jährlich um rund 10 Millionen Tonnen. Die Jahrtausendwende markiert eine Trendwende an den Weltagrarmärkten. Seit der Subprime-Krise lassÂen die wachsenden Verzerrungen in den Wirtschafts- und Währungssystemen das Interesse der globalen Börsenwelt an Investments in die Wertschöpfungskette des primären Wirtschaftssektors sprunghaft steigen.
Betriebsleiter sind hin- und hergerissen
Trotz kurzzeitiger Rückschläge war der Preisauftrieb an den Agrarrohstoffmärkten im Januar noch ungebrochen. Der Preisgipfel schien weitestgehend erreicht zu sein, doch dann sorgten „neue“ schlechte Nachrichten auch für „neue“ Chancen im Wettlauf um Rendite.
Die Erntemengen und -qualitäten in Kanada waren nach unten korrigiert worden, im Osten Australiens hatten seit Weihnachten andauernde Niederschläge und Ãœberschwemmungen zu weiteren Ernteausfällen und Qualitätsproblemen geführt und in wichtigen Anbaugebieten der USA brach ein harter, hartnäckiger Winter herein, als der Saatenstand noch schwach und die BoÂdenfeuchte in vielen Regionen noch zu gering war. Diese neuen Chancen spiegelten sich auch umgehend in steigenÂden Notierungen der Warenterminbörsen wider. Die spekulativen FiÂnanzjongleure sind in eine neue Runde im Rohstoff-Monopoly eingestiegen.
Je größer die Chancen, desto größer und zahlreicher auch die Risiken. Viele Betriebsleiter sind hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, bei dem aktuellen Preisabenteuer nicht abseits zu stehen und dem unterschwelligen Bewusstsein, dass sich eine erneute Blase an den Märkten aufbaut.
Erfahrungen der letzten Jahre
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass eine nur sporadische Beobachtung der Märkte und das Schielen auf den höchsten Preis äußerst gefährlich sind. Nicht nur die Chancen, sondern auch die erheblichen Risiken, die vom Finanzmarkt ausgehen, müssen bei der Vermarktung berücksichtigt werden.
Notenbanken erzeugen Geldschwemme
Die Geldschwemme der Notenbanken rund um den Globus führt inzwischen zu immer größeren Verwerfungen im Preisgefüge. Seitdem die Investoren weltweit beschlossen haben, sich den Sachwerten und Rohstoffen zuzuwenden, wird auch immer mehr branchenfremdes Geld in die Agrarrohstoffmärkte gepumpt.
Anfang November ließ die 600 Milliarden Dollar-Geldschwemme der US Notenbank FED das Marktrisiko weiter steigen. WechselkursverschiebunÂgen, auch zu Ungunsten der Euro-ZoÂne, und Unsicherheiten durch das renditeorientierte Verhalten der InvesÂtoren wurden daÂdurch verstärkt. Zwar war erwartet worden, dass die FED ihre Geldschleusen erneut öffnen würde. Verständlich wird die Entscheidung, wenn man berücksichtigt, dass die US-Notenbank weder den Auftrag hat, für weltweite Ruhe an den Devisenmärkten zu sorgen, noch – anders als die EuropäÂische Zentralbank EZB – die Inflation zu begrenzen. Auftrag der FED ist ledigÂlich die Sicherung der Geldwertstabilität, Beschäftigung und des WirtschaftsÂwachsÂtums im eigenen Land.
Doch auch bei der Erreichung dieser Ziele scheint es zu hapern. An den MärkÂten befürchtet man deshalb ein schärferes Vorgehen der Staaten im Kampf um Marktanteile im Exportgeschäft und folglich eine neue Stufe im Abwertungswettlauf der Staaten. Auch für die exportorientierte EU-Landwirtschaft werden die Exportchancen in diesem Jahr die Preisrichtung vorgeben.
Risikofaktor „Euro-Schulden-Krise“
Kann ein Land Junk oder Ramsch sein? Offenbar schon, denn die Ratingagenturen haben nicht nur Griechenland dieses wenig ruhmreiche Prädikat verliehen. Die Schuldenprobleme in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und zuletzt Irland haben seit Anfang November den Euro auf Talfahrt geschickt. Rettungsschirme, Rettungspakete und Sanierungspläne können die Verunsicherung der Anleger nicht ausräumen. Sie verlassen den Euro und investieren lieber in sichereren Märkten. Aus Sicht der Investoren ist die Entscheidung rational, denn für sie ist die Lage in der Eurozone vorsichtig formuliert – unübersichtlich. Höchst erstaunlich ist, dass jedoch bisher England und Amerika trotz desolater Haushalte von den Ratingagenturen nicht abgewertet wurden. Die USA steckt als führende westliche Wirtschaft mit einem Haushaltsdefizit von 13 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in einer ähnlich schlimmen Situation wie Griechenland. Fakt ist, dass das Urteil einer Ratingagentur nicht nur über Gedeih und Verderb eines Landes entscheidet, sondern letztlich auch über die Konjunkturerwartungen einer Wirtschaftszone und damit auch über das PreispoÂtenÂzial für landwirtschaftliche ErÂÂÂzeugnisse zum Beispiel in der EU.
Hoher Inflationsdruck im Welthandel
Die aktuelle Dollar-Schwemme erhöht den Inflationsdruck im Ausland. Die extrem expansive Geldpolitik der USA lässt das Inflationspotenzial in der Weltwirtschaft steigen. Bereits seit zwei Jahren bereiten steigende Inflationsraten in den Schwellen- und Entwicklungsländern zunehmend Sorgen. Während in den USA die Verbraucherpreise bisher schwächer als erwartet steigen, kosteten Lebensmittel Ende Dezember beispielsweise in Indien fast 18,4 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Auch in China explodieren die Verbraucherpreise geradezu. Im November ist die Inflation in China auf den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahren gestiegen. Die Preise kletterten im Jahresvergleich um 5,1 Prozent. Allein die Nahrungsmittelpreise legten um 11,7 Prozent zu. Vor allem Gemüse (plus 21,3 Prozent), Eier (plus 17,6 Prozent), Getreide (plus 14,7 Prozent) und Fleisch (plus 9,9 Prozent) haben sich weiter verteuert.
Für die EU-Landwirtschaft eröffnet die Inflation im Ausland dagegen Chancen. Eine Verteuerung der Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise macht EU-Exporte am Weltmarkt attraktiver. Ausgelöst durch einen steigenden Export würde sich auch ein weiterer Preisspielraum nach oben für Agrarprodukte eröffnen.
Skepsis ist angesagt
Verkaufen könnte so einfach sein, wenn sich der Preis am Markt dem Lehrbuch entsprechend im Wettbewerb von Angebot und Nachfrage einpendeln würde. Doch zwischenzeitlich hat sich die Finanzbranche für die LandÂwirtschaft zu einem neuen schwer kalkulierbaren Markt- und Risikofaktor entwickelt. Das Problem ist, dass sobald die Kursverläufe bei Weizen, Raps und Co außer Kontrolle geraten, auch das Risiko falscher Marktentscheidungen steigt. Negativmeldungen und SpekulaÂtion sorgen inzwischen für zunehmende Ãœberhitzungserscheinungen an den Agrarrohstoffmärkten. Denn aktuell ist die Versorgungslage gemessen an den Lagerbeständen gesichert und bietet zumindest aus fundamentaler Sicht kaum Gründe für eine derartige Preis-Hausse.
Ernte 2011 teilabsichern
Märkte übertreiben grundsätzlich – nach oben wie auch nach unten. Der aktuelle Boom sollte daher angesichts der Fundamentaldaten mit der notwendigen Skepsis betrachtet werden. 2011 müssen auch die zentralen Risikofaktoren bei der Marktplanung eine zentrale Rolle spielen – Chancen und Risiken sind abzuwägen. Sobald am Markt die „guten“ Nachrichten überwiegen, wird der Preistrend talwärts drehen. Deshalb sollte man nicht alles auf eine Karte setzen und über Teilabsicherungen die Risiken verteilen. Wer mit Teilverkäufen seine 2010er Lagerware und auch die Ernte 2011 preislich absichert, handelt daher als Kaufmann und nicht als Spekulant.