Anspruch auf Zulassung versus politische Einflussnahme

Glyphosat und Pflanzenschutz Thema in Nieder-Olm

Ein Mitgliedstaat kann kein Pflanzenschutzmittel verbieten, das gerade von der EU eine Verlängerung der Zulassung erhalten hat. Diese Auffassung vertrat der für Pflanzenschutz zuständige Referent im Bundeslandwirtschaftsministerium, Friedel Cramer, vergangene Woche auf den Agrartagen Rheinhessen in Nieder-Olm mit Blick auf das Sondierungspapier von Union und SPD. Hierin haben sich die potenziellen Koalitionäre darauf geeinigt, in ihrer Regierungszeit einen Ausstieg aus der Glyphosat-Anwendung anzustreben.

Friedel Cramer (M.) mit den beiden BWV-Kreisvorsitzenden Holker Pfannebecker (Alzey-Worms) und Ludwig Schmitt (Mainz-Bingen).

Foto: Mohr

Generell müsse deutlich gemacht werden, welche Gremien über die Zulassung zu entscheiden haben. Dies sei nicht die Politik, sondern Fachbehörden, die nach wissenschaftlichen Kriterien Entscheidungen fällten. „Das ist wie beim Führerschein: Wenn Sie die Voraussetzungen erfüllen und die Prüfung bestanden haben, muss Ihnen die Behörde die Fahrerlaubnis ausstellen. Hierbei entscheidet auch nicht das Parlament“, sagte Cramer. Er hob hervor, dass Glyphosat bei sachgerechter Anwendung gesundheitlich unbedenklich sei, und zwar nach den Beurteilungen der maßgeblichen Behörden, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) und der europäische Chemikalienagentur (Echa).

Einvernehmen des Umweltbundesamtes

Cramer, der aus Rheinhessen stammt und vor dem Studium eine Ausbildung zum Winzer absolvierte, skizzierte das Zulassungsverfahren von Pflanzenschutzmitteln in der EU. Die Verfahren sollen den freien Warenverkehr gewährleisten und die Verfügbarkeit verbessern. Pflanzenschutzmittel dürfen nur in Verkehr gebracht und angewendet werden, wenn sie in einem Mitgliedsland zugelassen sind. In Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für die Zulassung zuständig, beteiligt sind darüber hinaus das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das Julius-Kühn-Institut (JKI), das insbesondere die Pflanzenverträglichkeit eines Mittels beurteilt. Wesentlich ist bei dem Verfahren, dass das Umweltbundesamt sein Einvernehmen erteilen muss. Daran scheiterten bislang viele Verfahren. Die Einvernehmensregelung ist deshalb immer wieder Thema bei politischen Verhandlungen.

Neonikotinoiden droht das komplette Aus

Als nächste Pflanzenschutzmittelgruppe droht den Neo­nikotinoiden das komplette Aus. Nach dem aktuellen Kommissionsvorschlag sollen Mittel der Wirkstoffgruppe im Wesentlichen nur noch im Gewächshaus zugelassen werden. Die Entscheidung darüber werde im März getroffen, sagte Cramer. Zuvor soll es noch eine weitere Bewertung geben. Neonikotinoide haben derzeit noch Bedeutung im Zuckerrübenanbau, wo das Saatgut mit dem Mittel behandelt wird, um die Pflanzen gegen Schädlinge zu schützen. Ob eine Schädigung von Bienen erfolgen kann, sei nicht belegt und eigentlich nicht zu erwarten, sagte Cramer. Rüben seien keine Zielpflanzen der nektarsuchenden Insekten. Da es aber nicht auszuschließen ist, würden die Mittel dennoch in Frage gestellt.

Gutes Zeugnis für nationalen Aktionsplan

Cramer erinnerte daran, dass die EU regelmäßig die nationalen Aktionspläne (NAP) zur Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes überprüft. Dabei werde Deutschland ein gutes Zeugnis ausgestellt. So seien Risiken laut Bewertung der EU-Kommission deutlich reduziert worden. Die unabhängige Beratung hierzulande und die gesetzlichen Vorgaben für die Verwaltung und für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln seien laut EU zielführend, und Deutschland brauche keine Änderung des Nationalen Aktionsplanes. Allerdings gebe es nach der Bewertung der EU auch Schwachstellen in Deutschland. So werde der hohe Abstimmungsaufwand zwischen den an den Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel beteiligten Behörden moniert. Ein weiter Kritikpunkt sei der Mangel an Harmonisierung. Das führe zu deutlichen Überschreitungen der gesetzlichen Fristen bei den Pflanzenschutzmittel-Zulassungen. Als Gegenmaßnahmen seien personelle Kapazitäten verlagert worden, sagte der Ministerialbeamte. So gebe es jetzt 21 Stellen mehr in der Pflanzenschutzmittel-Abteilung des BVL. Cramer sprach von einer positiven Entwicklung. 60 bis 70 Prozent der zuvor bestehenden Verfristungen seien bis Ende 2017 abgebaut worden. Dass die Verfahren jetzt beschleunigt werden, hängt laut Cramer auch mit den Klagen der Industrie zusammen. Die zonale Zulassung ist nach Einschätzung von Cramer noch nicht ausreichend umgesetzt.

Zweierlei Maßstäbe für die Lebensmittelerzeugung

Ludwig Schmitt, Vorsitzender des Bauern- und Winzerverbandes Mainz-Bingen und Obstbauer, kritisierte die unterschiedlichen Maßstäbe, die angelegt werden. Während hierzulande der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kritisiert werde, würden billige Lebensmittel aus der Zweiten und Dritten Welt importiert, wo Urwald gerodet werde und die Standards der Produktion fragwürdig seien. Dagegen aber rege sich weder der Widerstand der Bundesumweltministerin, noch der der Umweltverbände, der Grüne und der Medien, beklagte Schmitt. Ohne Pflanzenschutzmitteln gebe es keine Ernte oder marktgerechte Ware und somit kein Einkommen. Im Zweifel lasse der Kunde einen Apfel liegen, wenn er einen Makel hat, sagte Schmitt. Bei dieser Politik sei aber eine bäuerliche und regionale Landwirtschaft nicht mehr möglich.

Art und Weise der Diskussion beklagenswert

Die Art und Weise der Diskussion über Pflanzenschutzmittel und insbesondere Glyphosat sei beklagenswert. Es gebe sogar Morddrohungen und Beschimpfungen gegen den Landwirtschaftsminister und den Chef des BfR und gegen jeden der Verständnis für die Entscheidung zur Zulassungsverlängerung habe. „Wenn jetzt bei all den wichtigen Themen und Herausforderungen in Staat und Gesellschaft Glyphosat sogar im Sondierungspapier von Union und SPD auftaucht, dann ist da was aus dem Lot geraten im System!“

CM – LW 5/2018