Aufforderung zum Dialog
Vertreterinnen der Landfrauen trafen sich in Florstadt
Zwei ernste Themen standen auf dem Programm der Vertreterinnenversammlung des Landfrauenverbandes (LFV) Hessen: „Gewalt gegen Frauen“ und „das Leben muslimischer Frauen in Deutschland“. 450 delegierte Landfrauen kamen dazu vergangene Woche nach Nieder-Florstadt.

Foto: Lehmkühler
Gewalt gegen Frauen
„Nicht immer, aber meist von Männern ausgeübt, sind Frauen die Opfer der häuslichen Gewalt“, sagte Klein. „Definiert als körperliche, psychische, sexuelle, soziale und finanzielle Gewalt, innerhalb einer Intim- oder Familienbeziehung ausgeübt, hat sie Kontrolle und Machtausübung zum Ziel. Betroffen sind Frauen jeden Alters und aller gesellschaftlichen Schichten.“ Mehr als ein Drittel der deutschen Frauen hätten seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren, etwa die Hälfte kenne psychische Gewalt. Die Dunkelziffer sei noch viel höher. Eindrücklich schilderte Christine Klein den weiten Weg von der Gewalterfahrung bis zur Erkenntnis, Opfer männlicher Gewalt zu sein. „Es ist für Betroffene ein schwerer Schritt, sich dazu zu bekennen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und trotzdem können die Frauenhäuser, deren Existenz oft in Frage gestellt wird, die Nachfrage nicht befriedigen. Nur ein Drittel der Hilfe suchenden Frauen mit ihren Kindern können aufgenommen werden. Finanzielle Schwierigkeiten belasten die Arbeit der Frauenhäuser zusätzlich“, so Klein.
Folgen häuslicher Gewalt seien oft schwere traumatische Störungen der Frauen, aber auch ihrer Kinder, die selbst von der Ausübung von Gewalt betroffen seien oder sie in der Familie miterleben müssten. Die gesellschaftlichen Folgekosten von Männergewalt würden auf circa 15 Mrd. Euro im Jahr geschätzt. Landfrauenpräsidentin Hildegard Schuster informierte, dass der LFV Hessen wie im vergangenen Jahr unter dem Motto „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ die hessischen Landfrauenvereine aufruft, anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen und auf dieses Problem hinzuweisen. Auf Anforderung stelle der LFV Hessen den Vereinen Materialien und eine Pressemeldung zur Verfügung.Muslimische Frauen in Deutschland
Über zwei Millionen muslimische Frauen leben in Deutschland, „mitten unter uns und doch bleiben sie uns noch fremd“, sagte Hildegard Schuster. IntegraÂtion, nicht nebeneinander, sondern miteinander zu leben, setze voÂraus, offen auf „die anderen“ zuzugehen, etwas über sie und ihr Leben zu erfahren. Dies gelte sowohl für die deutschen als auch für die muslimischen Frauen. Diesem Ziel der Vermittlung zwischen den Kulturen hat sich Nil Esra Dagistan, Projektleiterin Integration der Organisation Berufswege für Frauen und Business Coach insbesondere für Migrantinnen, verschrieben. Im Gespräch mit Präsidentin Hildegard Schuster erzählte sie vom Leben muslimischer Frauen in Deutschland und räumte – ganz nebenbei – mit so manchem Vorurteil auf. Nicht der Koran sei für die äußerlich wahrnehmbare Ungleichheit von Frauen und Männern in der islamischen Welt verantwortlich. Die islamische Gesellschaft weise den Männern die Aufgabe des „Außengeschäfts“ und den Frauen die des „Innengeschäfts“, eben Haushalt, Familie und Kindererziehung, zu. Dies führe zu einem von Männern dominierten Bild der islamischen Gesellschaft, das von den Medien – mit Blick auf Auflagen und Einschaltquoten – zusätzlich verstärkt werde.
Ähnlich verhalte es sich mit dem Auftreten muslimischer Frauen in der Öffentlichkeit. Wenn man hierzulande bedauernd feststelle, muslimische Frauen seien ernst und verschlossen, sie wollten wohl keinen Kontakt, müsse man wissen: „In der islamischen Gesellschaft ist das Lächeln in der Öffentlichkeit unschicklich“, erklärte die in einem katholisch geprägten Dorf im Westerwald aufgewachsene Muslima lächelnd, „und das schreibt nicht der Koran vor, das ist eine Tradition“. Auf die Frage, ob der Koran Frauen vorschreibe, sich zu verhüllen, ein Kopftuch oder gar eine Burka oder Niqab zu tragen, erklärte Nil Esra Dagistan, Männern wie Frauen schreibe der Koran vor, sich bedeckt und geziemt zu kleiden und Reize nicht hervorzuheben. Nur etwa ein Drittel der muslimischen Frauen trügen traditionell ein Kopftuch. Erst aufgrund der anhaltenden Diskussion in Deutschland und Europa seien es wieder mehr Frauen geworden, die ein Kopftuch oder eine Burka tragen. „Und sie tun das bewusst. Das Kopftuch ist zu einem politischen Symbol geworden, einem Zeichen des Trotzes und des Widerstands.“ Frauen – und gerade junge muslimische Akademikerinnen – wendeten sich damit gegen das Diktat, es nicht tragen zu dürfen, erklärte sie.

Nachfolgerin für „Landfrau Ilse“
Bevor die 1. stellvertretende Vorsitzende Gudrun Stumpf allen für die engagierte Teilnahme an der Versammlung dankte, nutzte Maria Beck, Redakteurin beim Hessischen Fernsehen für die Sendung „Das Dings vom Dach“, die Gelegenheit, unter den Landfrauen eine Nachfolgerin für „Landfrau Ilse“ zu suchen. Zwölf Jahre erklärte Ilse Ruckelshaußen, 20 Jahre Vorsitzende des Landfrauenvereins CrumÂstadt, in der Sendung große und kleine Dinge in jeweils einer wahren und einer erfundenen Version. Jetzt setzt sie sich zur Ruhe. „Gesucht ist eine Landfrau, gerne 50plus, die sich vor der Kamera wohlfühlt und, das ist VorausÂsetzung, hessisch babbeln kann“, ermunterte Beck potenzielle Kandidatinnen. Interessierte können sich bis zum 18. November in der Landesgeschäftsstelle melden.
SL – LW 45/2016