„Bauernland muss in Bauernhand bleiben“

22. Fachtagung des VLF thematisiert die Agrarstruktur

Ein volles Haus und ein vielfältiges Programm erlebten die Teilnehmer bei der zentralen Veranstaltung der 22. Landwirtschaftlichen Fachta­gung im Nassauer Land vergangene Woche in der Stadthalle Idstein zum diesjährigen Thema: „Erfolgsfaktor Agrarstruktur“.

Prof. Dr. Harald Müller, Geschäftsführer der Hessischen Landgesellschaft (HLG) in Kassel sprach über Entwicklungen auf dem Bodenmarkt. Er sieht die Gefahr, dass landwirtschaftliche Flächen immer mehr in nicht landwirtschaftliche Hände gelangen.

Foto: Michael Schlag

Niedrige Zinsen, billiges Geld und eine Flucht in die Sachwerte - der Bodenmarkt steht unter Druck von Investoren, die den Boden als Geldanlage entdeckt haben. Doch „für Bauern ist der Boden Produktionsfaktor und nicht Spekulationsobjekt“, sagte Prof. Dr. Harald Müller, Geschäftsführer der Hessischen Landgesellschaft (HLG). Für ihn gilt deshalb unverändert „Bauernland in Bauernhand“ und es sei „nach wie vor Aufgabe des Staates, hier den Ordnungsrahmen zu setzen“.

In Hessen wechseln im Jahr rund 4 000 ha den Besitzer

Der Bodenmarkt in Hessen ist bislang über die Jahre betrachtet stabil. Von den 800 000 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche (LN) werden pro Jahr etwa 4 000 ha gehandelt, das heißt „nur ein ganz geringer Teil ist auf dem Markt“, erklärte Prof. Müller. Doch obwohl pro Jahr nur 0,5 Prozent des landwirtschaftlichen Bodens den Besitzer wechseln, entsteht über die Jahre ein enormer Druck auf die Agrarstruktur: Vor 50 Jahren nämlich gab es in Hessen noch eine Mio. ha LN, das bedeutet, „20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wurden für Siedlung und Infrastruktur in Anspruch genommen.“

In diesem Wandel hat die HLG eine Funktion als Sachwalter landwirtschaftlicher Interessen. Um diese Interessen zu wahren, gehört zu ihren Aufgaben die Prüfung von Verträgen. Sie kann die Zustimmung zu einem Landverkauf versagen, sie kann aber auch das Vorkaufsrecht ausüben und in den Kaufvertrag eintreten, wenn sich nicht gleich ein Landwirt als Käufer findet. Sie nimmt sozusagen eine Pufferfunktion als Regulativ im Markt wahr, mit dem Ziel, das Land schließlich an die Landwirtschaft weiterzugeben, und Müller wendet sich entschieden dagegen, dass dafür am Ende zwei Mal Grundsteuer erhoben wird. Dient das Verfahren doch nur der im Grundstückverkehrsgesetz festgelegten „Abwehr von Gefahren für die Agrarstruktur.“

In Hessen werden pro Jahr rund 100 Verträge geprüft und die HLG übt etwa 20 Mal ihr Vorkaufsrecht aus. Die Zahl ist zwar gering, aber Dr. Müller will das Verfahren auf jeden Fall erhalten, denn es habe auch eine präventive Wirkung im Bodenmarkt.

Thomas Kunz, Vizepräsident des Hessischen Bauernverbandes und Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Rheingau-Taunus sowie Kreislandwirt, forderte für die Landwirte eine generelle Freistellung von der Grunderwerbssteuer, auch, um dem „Run von außen auf die landwirtschaftlichen Flächen“ zu begegnen.

Agrarpolitisches Leitbild ist nötig

Was aber zu denken gibt: Der HLG fällt es heute schwerer, ihre Schutzfunktion für die Agrarstruktur durchzusetzen. Die Ausnahmen von der Grundstücksverkehrsprüfung nähmen zu und „die Legitimität wird in Frage gestellt“, sagte Prof. Müller. Kommt es zu Rechtstreitigkeiten, habe man früher in 90 Prozent der Fälle vor Gericht gewonnen, heute aber nur noch in 70 Prozent. Er bemängelte, dass den Richtern heute eine verbindlich definierte Grundlage für Entscheidungen fehle: „Wo ist das agrarpolitische Leitbild?“ Hart kritisierte der HLG-Geschäftsführer die Umsetzung von naturschutzrechtlichen Kompensationen beziehungsweise „Verordnungen mit planfestgestellten Blühstreifen“. Dabei könne man doch erkennen: „Ein Großteil der hessischen Kompensationsflächen sind Pflegeruinen“. Heute gehe es vor allem um Hektar, aber „es ist nicht die Frage, ob man die Fläche bekommt, sondern, ob man dauerhaft etwas daraus macht.“ Die HLG strebe bei naturschutzrechtlichen Kompensationen stets wirtschaftliche Lösungen an, es könne nicht sein, hier dauerhaft „funny money“ auszugeben, sondern Naturschutz müsse sich langfristig selbst tragen. Und vor allem müsse viel stärker gelten: „Kompensation nicht auf den besten Ackerflächen, die der Ernährung dienen.“

Landwirtschaftlichen Familienbetrieb im Blick

Agrarstruktur ist nicht nur eine Frage des Bodens, seiner Nutzung und Besitzverteilung. Für Hartmut Schneider von der Ländlichen Familienberatung „Familie und Betrieb“ in Schwalmstadt stehen im Mittelpunkt die Menschen und ihr landwirtschaftlicher Familienbetrieb. Hier sind zwei Organisationsformen vereint, die eigentlich sehr wenig miteinander zu tun haben, einerseits die „Familie“ und auf der anderen Seite das „Unternehmen“. Die Unterschiede beginnen schon mit der Zugehörigkeit. Einem Unternehmen kann man auf Zeit beitreten, es wieder verlassen und eine Anstellung in einem anderen antreten – ein ganz normaler Vorgang im Wirtschaftsleben. Das System Familie aber kann man niemals verlassen, „man wird hineingeboren und man bleibt darin, bis man stirbt“, sagte Schneider. Auch die Kommunikation ist vollkommen anders. Im Unternehmen sind Hierarchien festgelegt, es gibt formale Informationsstränge, diese sind oftmals schriftlich und es gibt zeitlich fixierte Treffen mit festgelegten Teilnehmern.

Infolge des immer schnelleren Besitzerwechsels landwirtschaftlicher Flächen steigt der Druck auf die Agrarstruktur.

Foto: Michael Schlag

Ein Unternehmen funktioniert mit „Entscheidungskommunikation“ und es ist festgelegt, wer was entscheiden darf. Völlig anders die Familie: hier läuft alles mündlich, „jeder redet mit jedem“ und es gibt keine formellen Wege, die man dabei einhalten müsste. Für Entscheidungen gibt es einen großen Verhandlungsspielraum, bis schließlich eine Einigung erreicht ist. In der Familie gilt das Prinzip der „Bindungskommunikation“.

Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit

Und welchen Ausgleich bekommt man für seine Arbeit? Im Unternehmen ist das wieder einfach, weil genau festgelegt: Man bekommt jeden Monat sein Gehalt, das ist vergleichsweise kurzfristig. Ganz anders die Familie: Hier besteht der entscheidende Lohn in der langfristigen Anerkennung und Wertschätzung durch die anderen Familienmitglieder, das über Jahrzehnte. Dahinter stehe die „Logik der Gleich­heit“, so Schneider: Jeder bekomme, was er braucht. Im Unternehmen dagegen wird sehr unterschiedlich nach Leistung und Position bezahlt, es herrscht ganz bewusst eine „Logik der Ungleichheit“.

Eigentlich erstaunlich, dass so unterschiedliche Systeme überhaupt unter einem Dach gleichzeitig funktionieren. Konflikte treten im Familienunternehmen dann auf eine sehr eigene Art auf, nämlich vor allem, „weil sich der eine oder andere nicht wertgeschätzt fühlt“, sagte Schneider.

Die Erzeugung unterliegt zunehmend Restriktionen

Dr. Hansgeorg Schönberger von der N.U. Agrar GmbH aus Schackenthal befasste sich auf der Tagung in Idstein mit den Eingriffen des Staates und den zunehmenden Restriktionen für die landwirtschaftliche Produktion. Aktuelles Beispiel sei die Novellierung der Düngeverordnung und deren erklärtes Ziel „Nährstoffüberschüsse wirksam zu begrenzen.“ Hier werde unter anderem eine längere Sperrfrist für die Ausbringung von Gülle vorgeschlagen, sie soll dann vom 1. Oktober bis 31. Januar gelten, regional sogar vom 1. September bis 1. März. Das bedeutet, „im Herbst dürfte dann gar keine Gülle mehr ausgebracht werden.“ Für Schönberger ist das politischer Einfluss auf die Produktionstechnik und eine typische „Maßnahme mit dem Rasenmäher für alle gleich – aber das funktioniert nicht.“

Schon der Ansatz gehe am Problem vorbei. „Wir haben bei der Gülle kein Mengenproblem, wir haben ein Verteilungsproblem,“ sagte Schönberger. Das ließe sich durch den regionalen Ausgleich zwischen Gülleproduktion in tierhaltenden Betrieben und ihrer Verwendung als organischer Dünger in Ackerbaubetrieben lösen.

Eine Maßnahme, um diesen Ausgleich zu fördern, sollte sein: „Wir müssen die Gülle auch mal anderswo lagern dürfen“, Güllelager sollten auch in Ackerbaugebieten zugelassen werden, auf den abnehmenden Betrieben, die selbst kein Vieh halten. Es sei zu wünschen, dass Gülle als organischer Dünger auch auf viehlosen Betrieben zum Einsatz kommt, denn der Verlust an Nährhumus mangels organischer Düngung führe auf lange Sicht zu einem Minus von 10 Prozent bei den Erträgen. Viehlose Betriebe erlebten das bisweilen noch 25 Jahre nach Abschaffung der Kühe. Seine Forderung: „Jeder Ackerbaubetrieb müsste zehn Kubikmeter Gülle abnehmen“. Um den nötigen Transport effizienter zu gestalten, sollte es auch möglich werden, die Gülle aufzubereiten, und ihr Volumen zu verringern. Es sei doch „hirnrissig“, 300 Liter Gülle zu transportieren, nur um ein Kilogramm Stickstoff zu transportieren. In jedem Fall müsse die Ausbringung von Gülle auch im Herbst möglich bleiben, wenn auch mit dem Zusatz von Nitrifikationshemmern.

Deutsche Landwirtschaft verliert Marktanteile

Massive Folgen hätte auch die in der Novelle vorgeschlagene Begrenzung des N-Überhangs von 60 kg auf 50 kg pro ha. Das gefährde die Produktion von Qualitätsweizen und den Getreideexport, denn „Proteingehalte über 12 Prozent werden dann unrealistisch“, sagte Schönberger, damit verliere Deutschland den Markt für Weizen.

Das sei nach der staatlichen Dünger-Begrenzung in Dänemark passiert, mangels Proteingehalt könne man dort praktisch nur noch Futterweizen produzieren. Landwirte haben aber auch Möglichkeiten, betrieblich und produktionstechnisch auf engere Grenzen beim N-Überhang zu reagieren: Sie können Sorten mit hoher N-Effizienz (hoher Wurzelleistung) anbauen. Beim N-Überhang gebe es zwischen den einzelnen Weizensorten ganz erhebliche Unterschiede bis zu 40 kg und Schönberger meint sogar: „Wir sollten die Stickstoffeffizienz in die Sortendiskussion mit einbeziehen.“

Auf der Suche nach neuen Kunden

Doch muss man sich bei seinen Produktionszielen überhaupt an hohen Erträgen und Exportnormen orientieren? Leberecht Schneider fand für seinen Betrieb, die Dachswanger Mühle in Umkirch, eine völlig andere Lösung und betreibt damit erfolgreiche Landwirtschaft: Bioanbau mit Direktvermarktung und Handel mit Bioprodukten. Der elterliche Betrieb war mit dem EU-Programm 1988 stillgelegt worden, doch einige Jahre später „ging es ganz von null wieder los.“ Als Mitglied des Biolandver­bandes begann er auf zunächst 15 ha wieder zu ackern, aber diesmal anders als in den früheren Jahren: „Produzieren, was ich selbst verkaufen kann, darin habe ich mehr Sinn gesehen,“ sagt Schneider.

Doch zunächst mussten Märkte ganz neu aufgebaut werden. „Wir haben Brauereien angeschrieben, ob sie Interesse haben, Biobier zu brauen,“ so Schneider, und man musste Bäcker überzeugen, sich eine Getreidemühle zu kaufen, denn in der Anfangszeit war in der Vermarktung von Bio-Lebensmitteln kein Auszugsmehl erlaubt, sondern nur Körner. Bereits Anfang der 90er Jahre kam der Anbau von Soja dazu. Der Tofu-Hersteller Taifun in Freiburg brauchte 300 t Soja im Jahr und suchte Anbauer in der Region. Es begann probeweise mit zwei bis drei Hektar, denn „Soja passt gut in die Ökofruchtfolge,“ und bis 1997 war daraus eine Produktion von jährlich 50 Tonnen geworden – bei rasant wachsender Nachfrage nach heimischen, gentechnikfreien Sojabohnen, aber auch nach Öko-Getreide. Heute betreibt Schneider ein Lager für 5 500 t Getreide, Soja und Mais und mehr zu produzieren und zu vermarkten ist im Moment gar nicht angestrebt. „Wir sind an der Kapazitätsgrenze, nochmal 20 Prozent draufpacken wollte ich nicht,“ sagte Schneider. Mit seinem Anbaukonzept ohne Mineraldünger und chemischem Pflanzenschutz auf Basis einer sehr weiten und leguminosenreichen Fruchtfolge, sieht er sich unabhängiger von äußeren Einflüssen, denn „ich persönlich möchte mich nicht von der Poli­tik abhängig machen“, sagte Schneider.

Und so etwas sollte doch auch im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet funktionieren können, meint er: „Hier gibt es viele Verbraucher vor den Toren der Betriebe und hier sind gute Voraussetzungen, etwas Neues zu machen.“

Schlag – LW 47/2016