Beobachtet, verfolgt und bedroht

Neues Stalking-Gesetz soll Opfer besser schützen

Insgesamt 1 994 Opfer von Stalking verzeichnet die Polizeiliche Kriminalstatistik in Hessen für das Jahr 2009. In Rheinland-Pfalz waren es im selben Zeitraum 1 240. In Nordrhein-Westfalen wurden sogar 7 659 Fälle registriert. Zusätzlich kann man von einer erheblichen Dunkelziffer in diesem Bereich ausgehen. Dabei waren überwiegend Frauen von der Nachstellung durch einen Stalker betroffen. Eine von ihnen ist Nicole Wagner (geänderter Name). Für das LW bricht sie ihr jahrelanges Schweigen, um anderen Frauen in ähnlicher Situation Mut zu machen.

Nicole Wagner fand in Psychotherapeutin Ursula Heß-Konrad eine kompetente und einfühlsame Ansprechpartnerin.

Foto: Silke Bromm-Krieger

Als Nicole Wagner im Jahr 2004 einen charmanten und gut aussehenden Mann kennenlernt, ahnt sie nicht, dass sie sich einmal nichts sehnlicher wünschen wird, als ihm nie begegnet zu sein. „Jürgen (geänderter Name) kam als Kunde in die Boutique, in der ich arbeitete. Er machte gerade Urlaub in meinem Wohnort und lud mich nach einer unverfänglichen Plauderei spontan auf einen Kaffee ein“, berichtet die 40-Jährige.

Da sie damals kurz vor dem Ende einer Beziehung steht, denkt sie sich nichts dabei, auf das Angebot einzugehen. Doch bei einer Tasse Kaffee bleibt es nicht. Nicole Wagner und Jürgen werden schnell ein Paar, das in einer Fernbeziehung lebt. „Ich war zu diesem Zeitpunkt durch die Trennung von meinem Expartner psychisch sehr labil und merkte nicht, wie machohaft und Frauen verachtend Jürgen mit mir umging. Ich ließ mich von seinen Komplimenten und Qualitäten als Liebhaber blenden.“

Ungenierte Handykontrolle

Ein Ereignis rüttelt sie wach. Der Freund kontrolliert eines Tages ungeniert ihr Handy und stößt auf alte SMS-Nachrichten des Exfreundes. Nicole Wagner versucht zu erklären, dass diese Nachrichten Schnee von gestern sind.

„Doch Jürgen schmiss voller Eifersucht das Handy gegen die Wand und meinte: Jetzt wirst du sehen, was du davon hast, wenn du mich belügst – und schon hatte ich den ersten Faustschlag im Gesicht.“ Wie von Sinnen schlägt Jürgen auf seine Freundin ein. Als er einen Baseballschläger holt, bekommt sie Todesangst. „Ich schrie: Hör doch auf. Ich kann mich nicht wehren. Jürgen ließ die Keule sofort fallen, wurde kreidebleich und sagte: Wie konntest du nur diese Seite in mir hervorrufen?“

Nach der Tat fahren Täter und Opfer gemeinsam in eine Klinik­ambulanz. Die behandelnde Ärztin nimmt die Begründung für die zahlreichen Schürfwunden, Prellungen und eine Gehirnerschütterung kommentarlos hin: ein Treppensturz.

Nach der Gewaltattacke ihres Freundes entschließt sich Nicole Wagner zur Trennung. Eine Anzeige bei der Polizei erstattet sie nicht. „Seine Mutter bat mich inständig, es nicht zu tun. Von ihr erfuhr ich auch, dass Jürgen schon einmal eine Frau geschlagen hatte und damals zu einer Therapie verurteilt wurde.“

Die Trennung nimmt Jürgen nicht kampflos hin. Er beginnt mit wüsten Beschimpfungen am Telefon, zu jeder Tages- und Nachtzeit. „Er behauptete, er wolle mich und meine Familie abstechen. Angeblich hätte ich ihn mit Aids angesteckt. Das war vollkommen absurd und aus der Luft gegriffen.“

Der reformierte Paragraph 238 des Strafgesetzbuches bietet einen besseren Schutz für Stalkingopfer. „Beharrliches Nachstellen“ ist jetzt ein eigener Straftatbestand.

Foto: Silke Bromm-Krieger

Morddrohungen schüchtern Nicole Wagner weiter ein. „Wenn du zur Polizei gehst, was meinst du, wem werden sie glauben? Einer durchgedrehten Frau oder einem vernünftig argumentierendem Mann?“, schleudert er der Exfreundin entgegen. „Es ging für mich nur noch darum, wie ich ihn besänftigen kann. Eine klare Grenze setzen, ihm sagen, er solle aus meinem Leben verschwinden, konnte ich aus Angst nicht.“ Erst mit Hilfe eines neuen Lebenspartners gelingt es Nicole Wagner zu Beginn des Jahres 2005, Abstand zu gewinnen. Sie beantragt für das Telefon eine Geheimnummer, zieht in eine neue Wohnung. Zwei Jahre kehrt tatsächlich Ruhe ein. Im April 2007 findet Nicole Wagner einen Zettel in ihrem Briefkasten. Jürgen hat herausbekommen, wo sie wohnt und bittet um ein Gespräch. „Er zeigte keinerlei Reue, schrieb, wir würden auf immer und ewig zusammengehören. Sofort stieg die Angst wieder in mir hoch. Ich begann zu zittern, mein Puls raste.“ Zu einem gemeinsamen Treffen lässt sie es nicht kommen.

An einem Spätnachmittag im November 2007 taucht Jürgen plötzlich vor ihrer Wohnungstür auf. Nicole Wagner lässt ihn widerwillig herein, besänftigt ihn, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. „Ich bekam einen Schock, als er mir mitteilte, dass er seit Kurzem in meiner Nähe wohnt.“

Anzeige wegen Nötigung

Nach diesem Vorfall kann die junge Frau ihre Wohnung im Erdgeschoss mehrere Wochen lang nicht allein betreten. Sie fürchtet sich, vermutet hinter jeder Hecke den Ex. Schwere Schlafstörungen sind die Folge. Der Leidensdruck wächst. Endlich rafft sie sich auf und geht zur Polizei. Der Dienst habende Polizist rät zu einer Anzeige wegen Nötigung und zum Antrag einer einstweiligen Anordnung bei Gericht, dass sich der Exfreund ihr nicht nähern darf. Der Polizist vermittelt ihr ebenfalls den Kontakt zu einer Stalking-Expertin der Frauenberatungsstelle vor Ort. Hier findet sie endlich ein offenes Ohr und fachliche Beratung.

Anderen betroffenen Frauen rät Nicole Wagner: „Auch wenn Sie voller Angst sind, machen Sie das Stalking öffentlich! Holen Sie sich Hilfe in einer Beratungsstelle! Gehen Sie zur Polizei! Seitdem ich mich getraut habe, fühle ich mich sicherer.“

Übrigens: Nach der polizeilichen Anzeige hörten die Nachstellungen von Jürgen abrupt auf. Doch die traumatischen Erlebnisse haben tiefe Spuren in der Seele von Nicole Wagner hinterlassen. Noch heute wird sie psychologisch betreut. Silke Bromm-Krieger

Was bedeutet Stalking?
 
Stalking ist ein englisches Wort aus der Jagdsprache und bedeutet auflauern, anschleichen, heranpirschen. Stalking beschreibt das beabsichtigte, böswillige und beharrliche Verfolgen und Belästigen einer Person, wodurch deren Sicherheit bedroht ist. In der überwiegenden Zahl sind Frauen Opfer von Stalking. Meist sind Ex-Partner die Stalker, die Frauen nach einer Trennung terrorisieren. Sie wollen damit die Rückkehr der Frau erzwingen oder ihr das Leben zur Hölle machen. Stalking hat nichts mit Liebe und Leidenschaft zu tun. Es ist ein Mittel, um Aufmerksamkeit, Kontrolle und Macht zu erlangen. sbk
Neues Strafgesetz gegen Stalking
 
Um den strafrechtlichen Schutz von Stalkingopfern zu verbessern, wurde 2007 das „Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellung“, § 238 (Nachstellung), neu in das Strafgesetzbuch eingefügt. Wegen Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich seine Nähe sucht, Kontakt zu ihm herzustellen versucht, unter missbräuchlicher Verwendung personenbezogener Daten für ihn Waren oder Dienstleistungen bestellt, ihn bedroht oder andere vergleichbare Handlungen vornimmt. Weitere Voraussetzung der Strafbarkeit ist, dass die skizzierten Handlungen die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend beeinträchtigen. sbk
Verfolger und Folgen
 
Typische Verhaltensweisen von Stalkern:
  • wiederholte unerwünschte Kontaktaufnahme durch Telefon, E-Mail, SMS
  • unerwünschte Geschen­ke
  • andauerndes Beobachten
  • demonstratives Warten vor der Wohnung oder am Arbeitsplatz
  • Beschädigung des Eigentums des Opfers
  • Bestellung von Waren und Dienstleistungen auf Namen des Opfers
  • Diebstahl, Einbruch
Folgen von Stalking:
  • Stress, hohe Anspannung
  • Angst, Panik
  • Gefühl von Hilflosigkeit, Unsicherheit
  • Verzweiflung
  • Schlafstörungen
  • soziale Isolation
  • Depressionen
  • Selbstmordgedanken sbk
Was können Betroffene tun?
 
  • Sagen Sie dem Stalker einmal unmissverständlich, dass Sie keinen Kontakt wollen. Dann ignorieren Sie ihn. Jegliche Reaktion danach lässt ihn wieder hoffen und er bemüht sich noch intensiver.
  • Dokumentieren Sie alles, was der Stalker schickt, mitteilt oder tut und bewahren Sie es auf. Beweismittel!
  • Informieren Sie Verwandte, Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn. Öffentlichkeit schützt.
  • Lassen Sie sich eine telefonische Fangschaltung legen, um Telefonterror nachzuweisen.
  • Steht der Stalker vor der Tür, alarmieren Sie Nachbarn, um Unterstützung und Zeugen zu haben.
  • Verfolgt Sie der Stalker im Auto, fahren Sie direkt zur Polizei oder benachrichtigen Sie diese über Handy.
  • Holen Sie sich rechtlichen Beistand und nehmen Sie Kontakt zu einer Beratungsstelle auf. sbk
Nützliche Links
 
  • www.frauen-gegen-gewalt.de: Homepage des Bundesverbandes der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Mit Suchfunktion für Hilfseinrichtungen in Ihrer Nähe.
  • www.weisser-ring.de: Hier gibt es Adressen der örtlichen Ansprechpartner und Beratungsstellen.
  • www.polizeiberatung.de: Infoblatt über Stalking zum Herunterladen und Adressen von Polizeilichen Beratungsstellen.
  • www.bmj.bund.de: Homepage des Bundesministeriums der Justiz. Ãœber Stichwortsuche „Stalking“: Infos zur Rechtslage.
  • www.stalkingforschung.de: Empfehlenswerte Homepage der Arbeitsgruppe Stalking der Technischen Universität Darmstadt, Hintergrundinfos und Forschungsergebnisse. sbk