CO2-Fußabdruck für Fleisch und Milch?

Futtermittelwirtschaft sieht im Vorfeld noch viel Handlungsbedarf

Wer heute Fleisch oder Milch kauft, hat die Auswahl zwischen konventionell, bio, vegan, regional – und bald könnte eine weiteres Label dazu kommen, der CO2-Fußabdruck. Die Hersteller von veganen Milchalternativen wie Hafer-, Mandel- oder Sojamilch werben bereits heute mit der Klimabilanz ihrer Produkte. Aber mit welchen Methoden wird das gemessen, gibt es einheitliche Standards zu Bewertung der verschiedenen Einflüsse? Und wie bezieht man in der Bewertung die Rodung von Wäldern zur Anlage von Ackerflächen ein? Mit dem Thema befasste sich kürzlich eine Online-Veranstaltung des Verbandes der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland (OVID) und weiterer Fachverbände. Der Agrarjournalist Michael Schlag berichtet.

Nicht nur nachhaltig zu wirtschaften, sondern dies auch auf Produkten wie Milch und Fleisch nachzuweisen, wird immer mehr zum Thema. Um deren CO2-Fußabdruck zu berechnen, müssen zunächst einmal Futtermittel wie Sojaextraktionsschrot bewertet werden.

Foto: landpixel

Das Thema steht auf der politischen Tagesordnung weit vorne: Die UN-Klimakonferenz forderte vergangenen November in Glasgow, bis zum Ende des Jahrzehnts den Verlust von Waldflächen zum Anbau von Futtermitteln zu stoppen. Die EU-Kommission legte einen Verordnungsentwurf vor, der die Nachhaltigkeitsstandards bei importierten Agrarrohstoffen gesetzlich regeln soll, um die Zerstörung von Wäldern und Naturgebieten einzudämmen. „Wir begrüßen diese Nachhaltigkeitsbestrebungen ausdrücklich“, sagt Thomas Schmidt von OVID, sein Verband fordert aber eine Folgenabschätzung, „um den Realitäten der sehr komplexen Lieferketten gerecht zu werden.“ Mittlerweile haben erste deutsche Lebensmitteleinzelhändler das Thema aufgegriffen; sie formulierten Anforderungen an nachhaltige Futtermittel, mit dem Nachweis von entwaldungsfreiem Soja bei der Fleisch-, Eier- oder Milcherzeugung. Für Thomas Schmidt heißt das: „Hier besteht unmittelbarer Handlungsbedarf für die Futterwirtschaft.“

Ökobilanzierung für jedes einzelne Futtermittel

Doch wo beginnen? „Zunächst mal müssen wir alles objektiv messen“, sagt Hermann-Josef Baaken vom Deutschen Verband Tiernahrung (DVT). Eine Ökobilanzierung müsse für jedes einzelne Futtermittel und jede Mischration feststellen, inwieweit die Umwelt belastet wird oder nicht. „Und wenn wir die Fakten haben, dann könnten wir mit dem so genannten ökologischen Fußabdruck sagen: Was können wir verbessern und ändern?“, sagt Baaken. Solche Lebenszyklusanalysen (Life Cycle Analysis, LCA) machten aber nur Sinn, wenn man sie international aufstellt. „Es hilft ja nicht, dass wir in Deutschland eine solche Bilanz ermitteln, wenn die Rohstoffe teilweise aus anderen Ländern kommen“. Allein die Unterscheidung von heimischem Anbau versus Importen gibt aber kein klares Bild, wichtiger ist die Unterscheidung der Importe nach ihrer Herkunft und den Anbaubedingungen in den Exportländern, sagt Eugene Philhower vom US Soybean Export Council (USSEC). Er legte zum CO2-Fußabdruck von amerikanischem Soja eine Lebenszyklusanalyse vor, die „alles umfasst, was mit der Produktion zu tun hat: Dünger, Wasser, Energie, Verpackung, Transport des Futters bis zum Tier“. Denn in der politischen Diskussion gehe es jetzt darum: Wie sind die einzelnen Faktoren in der ganzen Produktionskette anzurechnen und wie werden sie vergleichbar? Gesucht ist die weltweite Standardisierung der Einflussgrößen. Das Global Feed Lifecycle Analysis Institute (GFLI) der Futtermittelindustrie habe dafür Methoden entwickelt und eine Datenbasis angelegt, die diese vergleichende Betrachtung erlauben, denn „für die Industrie ist es besser, selbst mit einer Methodologie herauszukommen, anstatt von Brüssel dazu gezwungen zu werden.“ Die Kernpunkte: Wie berechnet man – weltweit vergleichbar – den CO2-Fußabdruck und wie bewertet man Änderungen der Landnutzung, speziell die Entwaldung?

Landnutzungsänderung müsste berücksichtigt werden

Addiert man die Klimafolgen anhand der emittierten CO2-Äqivalente von Produktion, Transport und Handel in den wesentlichen Soja produzierenden Ländern, wird deutlich: „Der Anbau ist der Hauptteil“, sagt Philhower. Beim Soja aus Ãœbersee (USA, Brasilien, Argentinien), das in Europa verbraucht wird, sei zwar sei der Transportanteil größer als bei der heimischen Sojaproduktion in Frankreich und Italien. Das werde aber mehr als ausgeglichen durch die geringere CO2-Belastung bei der Produktion in Ãœbersee. Den geringsten Footprint hat demnach das Soja aus USA und Argentinien. Etwas höher liegt Soja aus Brasilien und ist, alle Faktoren zusammengerechnet, vergleichbar mit Frankreich und Italien. Allerdings ist die Bilanz bis hierhin unvollständig, es fehlen noch die Folgen der Landnutzungsänderung (Land Use Change, LUC). Bezieht man die LUC der vergangenen 20 Jahre mit ein, ändert sich die Bewertung der CO2-Bilanz vollkommen, erklärt Eugene Philhower: „Wenn man die Landnutzungsänderung berücksichtigt, geht der argentinische und brasilianische Foootprint durch die Decke“. Der CO2-Fußabdruck von Soja aus Brasilien oder Argentinien ist dann sieben bis acht Mal höher als von Soja aus Frankreich oder Italien und sogar 14 Mal höher als von US-Soja.

Philhower erklärt es so: Argentinien hatte größere Landnutzungsänderungen von 2008 bis 2010, in Brasilien gibt es weiterhin die Konversion von Wald in Ackerflächen. Dabei gehe es nicht nur um den Amazonasurwald oder geschützte Gebiete, es werde insgesamt immer weiter Land in Kultur genommen. In den USA dagegen (das Gleiche kann man für Europa sagen) werden heute keine unberührten Naturgebiete mehr urbar gemacht. Die Landnutzung wechsle vielleicht zwischen Weide und Ackerland, „aber wir entwalden nicht oder nehmen Präriegras in landwirtschaftliche Nutzung.“

Eurotier 2022 wird Treffpunkt Zukunft Tierhaltung

Unter das Leitthema „Transforming Animal Farming“ stellt die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) die diesjährige Eurotier, die vom 15. bis 18. November auf dem Messegelände in Hannover mit einem digitalen Zusatzangebot stattfinden soll. Die Besucher erwartet laut DLG ein hochkarätiges Fachprogramm mit einer Vielzahl von Veranstaltungen und Konferenzen zu den aktuellen Fokusthemen der Tierhaltungsbranche. Die Spotlights Rind, Schwein, Geflügel und Aquakultur werden sich branchenspezifisch den Themen Tierwohl, Tiergesundheit, Nachhaltigkeit, Emissionen, Zucht, Haltung, Fütterung, Digitalisierung und Management widmen. Im Fokus des Spotlights Direktvermarktung stehen der DLG zufolge die Themen Verarbeitung und Vermarktung. Einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt bilden beim Thema Fütterung die Perspektiven für alternative Proteinquellen.

Zusatzangebot online

Ergänzend zum Messeauftritt in Hannover bietet die Weltleitmesse Ausstellern und Besuchern ein digitales Zusatzangebot auf der Plattform „DLG-Connect“, die unter www.dlg-connect.com zu erreichen ist. Dort können beispielsweise Aussteller zur optimalen Vorbereitung ihres Messeauftritts über ihre Produkte und Neuheiten informieren. Besucher haben die Möglichkeit, sich im Vorfeld der Eurotier gezielt mit den Ausstellern zu vernetzen und können von zusätzlichen Fachinformationen profitieren. Nach DLG-Angaben wird parallel zur Eurotier in Hannover die Energy Decentral stattfinden. Diese internationale Fachmesse soll die gesamte Wertschöpfungskette einer nachhaltigen Energieproduktion abbilden, von den Ressourcen über die Energieerzeugung bis hin zur Smart Energy. Aussteller, die sich bis zum 15. März 2022 anmelden, erhalten nach Angaben der DLG günstigere Konditionen und haben bessere Chancen auf Umsetzung ihres Platzierungswunsches in den Hallen.

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CO2-Fußabdruck von Geflügel aus den Niederlanden

Wie würde sich ein Wechsel der Sojaherkünfte in Europa auf den Footprint tierischer Produkte aus europäischer Haltung auswirken? Philhower präsentierte eine Beispielrechnung für den CO2-Fußabdruck von Geflügel aus den Niederlanden. (Der folgenden Berechnung liegt die Annahme zugrunde, dass das Mischfutter vier Fünftel des CO2-Fußabdrucks verursacht.) Die USA hielten derzeit einen Marktanteil von einem Drittel bis 40 Prozent der in den Niederlanden verbrauchten Sojafuttermittel. Wenn die Geflügelhaltung der Niederlande aber ausschließlich Soja aus den USA verfüttern würde, „könnten sie den CO2-Fußabdruck des Endproduktes um fast 50 Prozent senken“, sagt Philhower, wenn man in die Berechnung auch die Folgen der Landnutzungsänderung in Südamerika einbezieht. Lässt man den Land Use Change in der Berechnung aber außen vor, macht der Wechsel der Sojaherkunft für die Klimabilanz des Produktes keinen Unterschied.

Anbau von GVO-Soja verbraucht weniger Energie

Aber warum hat der Anbau von Soja in den USA überhaupt einen geringeren Footprint als der Soja-Anbau in Europa? Philhower sagt: „Ich denke, es hat mit Gentechnik zu tun.“ Der Anbau von GVO-Soja verbrauche wesentlich weniger Energie als der Anbau konventioneller Saaten. „Für US-Produzenten ist es normal, wenn sie einmal im Frühjahr mit einer Applikation über das Feld gehen und als nächstes wird geerntet“. Der Anbau konventioneller Sojabohnen in Europa brauche dagegen mehr Herbizide und mehr Bodenbearbeitung, das addiert sich zu dem höheren Energieverbrauch.

Standardisierung wäre wichtig

Wichtig für Tierhalter und Futtermittelproduzenten ist jetzt die Standardisierung der verwendeten Daten und Berechnungsmethoden. Die geeignete Basis dazu sei das US Sustainable Soy Assurence Protocol (SSAP). “ Das Neue an dem SSAP ist – es ist übertragbar“, sagt Philhower. „Sie erhalten es von einem Exporteur, es geht weiter zur Ölmühle, zum Futtermittelproduzenten, bis zum Tierhalter. „Ein Schweinemäster in Deutschland kann also – entsprechend dem Anteil von US-Soja in seiner Futtermischung – nachweisen, dass er nachhaltig produziert.“ In der Realität seien es ja die Rinder-, Schweine- und Hühnerproduzenten, die die Last der Anforderungen zu tragen hätten. Philhower hält einen solchen anerkannten Nachweis für das Futter in Zukunft für sehr wichtig, das habe er auch bei seinem letzten Besuch in Deutschland vergangenen November, nach der Glasgow-Konferenz festgestellt. Sein Eindruck: „Dekarbonisierung ist überall – das wird das Schlagwort der kommenden zehn Jahre.“ Es gebe ja bereits internationale Ãœbereinkünfte darüber, „und es wird unumgänglich sein, dass wir eine Art von Produktkennzeichnung bekommen“. Der Verbraucher könne dann auf dem Label sehen: Was ist der CO2-Fußabdruck des Lebensmittels?

Ziel ist einheitliche Kennzeichnung für Futtermittel

Hermann-Josef Baaken vom Deutschen Verband Tiernahrung sieht kurzfristig noch keine solche Kennzeichnung, aber da es schon europäische Vorschläge für das Öko-Labeling gebe, „müssen wir versuchen, für die Futtermittel ein einheitliches Labeling zu bekommen, wo wir sachorientiert die richtigen Fakten reinnehmen“. Generell seien ja alle der Kennzeichnung überdrüssig, aber „man muss sich damit befassen, um mittelfristig vorbereitet zu sein“.

 – LW 4/2022