Cyber-Mobbing ist virtuelles Fertigmachen
Warum Jugendliche im Internet mobben
Das weltweite Datennetz wird immer häufiger zum Tatort: Chat-rooms, Foren, soziale Netzwerke und auch Videoplattformen werden gezielt genutzt, um andere zu beleidigen, lächerlich zu machen oder sogar massiv zu bedrohen und zu erpressen. Cyber-Mobbing oder Cyberbullying heißt die um sich greifende Form des virtuellen Fertigmachens, von dem auch Jugendliche als Opfer und als Täter betroffen sind.
Jan ist fassungslos. In seiner Klasse wird über Handy ein Foto verschickt, das ihn in einer peinliÂchen Situation zeigt. Nur wer geÂnau hinsieht, entdeckt, dass das Foto unecht ist. Jemand hat Jans Kopf auf ein Porno-Bild montiert. Wenn Jan über den Schulhof geht, gellen ihm das Kichern und die anÂzüglichen Bemerkungen von Mitschüler in den Ohren. Am liebsÂÂten würde er die Schule wechseln. Mitschülerin Mareike ist ebenfalls fassungslos. Von ihrem E-Mail-Konto aus ist das Foto nämlich verschickt worden. Offenbar hat jemand sich Zugang zu ihrem Konto verschafft, sodass sie als Urheberin der Attacke gelten muss.Eine aktuelle Studie der Uni MünsÂter zeigt: Sexuelle Gerüchte und Demütigungen, manipulierte Fotos und üble Beleidigungen gehören zum Alltag einer wachsenden Zahl von Jugendlichen. Jeder dritte Schüler in Deutschland wurde schon einmal Opfer von Mobbing im Internet. In achtzig Prozent der Fälle kennen sich Täter und Opfer aus der Schule (sieÂhe dazu S. II „Schüler leiden“).
Dass Mitschüler belästigt, bloß gestellt, systematisch an den Rand gedrängt, verleumdet und gedemütigt werden, ist kein neues Phänomen. Mobbing hat es auch in Vor-Internet-Zeiten gegeben. Psychologin Catarina Katzer, die die ersten Studien im deutschsprachigen Raum zum Thema Cyber-Mobbing veröffentlicht hat, beschreibt das gefährlich Neue von Mobbing im Internet so: „Cyber-Mobbing ist für Hunderttausende sichtbar. Cyber-Mobbing ist endlos. Was einmal an Gemeinheiten oder peinlichen Bildern und Videos im Netz steht, bleibt drin, und zwar ein Leben lang.“ Selbst wenn die Täter ermittelt werden können, bleiben die Bilder und Filme im Umlauf und lassen sich nicht zurückholen.
Die Folgen für die Opfer sind oft schwerwiegend. Sie reichen von Scham und hilfloser Wut über Isolation und LernschwierigkeiÂten, bis hin zu Stress und psychischen Problemen. Sogar Fälle von Suizid sind mittlerweile bekannt.
Ähnlich wie beim „normalen Mobbing“ sind häufig solche Jungendlichen Opfer und Zielscheibe, die kein hohes Selbstbewusstsein haben und ohnehin am Rande stehen. Auffällig sei auch, so Catarina Katzer, dass viele Opfer keine gute Beziehung zu ihren Eltern haben. Der beste Schutz vor Mobbing in jeder Form könnte deshalb darin liegen, dass Eltern ihre Kinder von klein an befähigen, selbstbewusst für die Wahrung ihrer Grenzen einzutreten. Kinder müssen sagen können, was sie wollen und was sie nicht wollen.
Gar nicht selten ist, dass Opfer selbst zu Tätern werden. Die AnoÂnymität des Internets macht es leicht, sich zu rächen. Fachleute beobachten, dass auch Opfer von herkömmlichem Mobbing im Netz zum Täter werden. Im InterÂnet sehen sie die Möglichkeit, selbst einmal das Gefühl von Ãœberlegenheit zu entwickeln und unerkannt zu bleiben.
Catarina Katzer erlebt bei Tätern immer wieder einen eklatanÂten Mangel an Empathie. Diesen Mangel an Einfühlungsvermögen und Mitgefühl erklärt die Expertin für Cyberpsychologie so: „Die Täter stehen ihren Opfern nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Sie sehen nicht deren Schmerz. Sie werten die eigene Tat womöglich ab und sagen: Das ist ja gar nicht so schlimm.“ Katzer beobachtet zudem, eine Art Trophäenjagd, bei der es darauf ankommt, das brutalste Video zu präÂÂsentieren. Die Fachfrau für Medienethik plädiert deshalb für die Vermittlung von Werten und sozialer Kompetenz im Umgang mit den neuen Medien. Sie erlebt, dass allzu viele Eltern sich an diesem Punkt verweigern oder meinen, es genüge, wenn Kinder und Jugendliche versiert im Umgang mit den neuen Medien sind. „Wir müssen feststellen, dass die Eltern oft nicht die Zeit und die Fähigkeit dazu haben. Manche wollen sich mit dem Thema auch nicht befassen“, bedauert sie. Aus ihrer Sicht kommt deshalb auf die Schulen und kirchliche Jugendarbeit ein neuer großer Verantwortungsbereich zu.
Wenn Eltern mitbekommen, dass ihr Kind Zielscheibe von Cyber-Mobbing-Attacken ist, dann sollten sie nicht mit Ãœberbehütung und pauschalen Computer- und Internetverboten reagieren. Wichtig ist, dass sie ihren Kindern vermitteln: „Wir glauben dir, du darfst auch weiterhin ins Internet, aber du sagst uns, wenn etwas passiert, was nicht in Ordnung ist.“ Catarina Katzer rät dazu, virtuelles Mobbing zur Anzeige zu bringen. Weil Täter und Opfer sich meist aus der Schule kennen, sollte auch die Schule eingeschaltet werden. „Wenn die SchuÂle die Polizei zu Rate zieht, hat das oft die Wirkung, dass die Täter aus ihrer bis dahin bei manchen Mitschülern anerkannten Rolle herauskommen“, so Katzers Erfahrung. Darüber hinaus sollten Beleidigungen umgehend an die Betreiber von Chatrooms, Foren und Netzwerken gemeldet werden, damit sie dort nicht länger zu lesen sind.
Was kann man rechtlich gegen Cyber-Mobbing tun? - Ein Interview mit Rainer Seimetz.
Weiterführende Links
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Was Jugendliche selbst tun können, um sich zu schützen:
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