Frieden beginnt im Kinderzimmer
Gemeinsam Lösungen ohne Sieger und Besiegte finden
Der Spielzeugcolt, der ganz oben auf Rafaels Wunschliste zum siebten Geburtstag stand, liegt nicht auf dem Gabentisch. Rafael kämpft mit den Tränen. Das Krocketspiel, das er stattdessen bekommen hat, begeistert ihn nur mäßig. „Das könnt ihr heute Nachmittag doch mal ausprobieren. Zusammen was zu machen, ist doch viel schöner als Totschießen zu spielen“, versucht sein Vater ihn aufzuheitern. Aber so richtig gelungen, ist das wohl nicht. Denn beim Kindergeburtstag am Nachmittag tönt es aus dem Garten: „Peng, du bist tot.“ Rafael und seine Geburtstagsgäste spielen Cowboy und Indianer – auch ohne Spielzeugcolts. Sie haben einfach Stöcke zu Gewehren umfunktioniert.
Pistolen, Plastikgewehre oder Schwerter sind besonders bei Jungen gefragt. Auch Actionfiguren, die mit Wunderwaffen hochgerüstet sind, sind in Kinderzimmern beliebt. Eltern, die ihre Kinder gerne zu friedliebenden Menschen erziehen möchten, fragen sich, was sie falsch gemacht haben, wenn ihr Nachwuchs mit Wonne durch die Gegend ballert.Normaler Entwicklungsschritt
Günter Gugel vom Tübinger Institut für Friedenspädagogik rät zur Gelassenheit. Er verweist darauf, dass hinter dem Spiel mit Spielzeugwaffen häufig der Wunsch nach Starksein und Macht steckt. Die Phase, in der Starksein ein wichtiges Thema ist, so Gugel, sei zunächst einmal ein ganz normaler Schritt in der kindlichen Entwicklung. Kinder erleben sich gegenüber älteren Geschwistern oder Eltern oft als ohnmächtig oder unterlegen. Da vermitteln Waffen oder Actionfiguren ihnen ein faszinierendes Gefühl von Macht und Unverwundbarkeit.
Bei den wilden Schießereien geht es also nicht unbedingt ums Töten, sondern darum, sich selbst als mächtig und unangreifbar zu erleben oder eigene Aggressionen oder Ängste im Spiel abzubauen. Kinder seien durchaus in der Lage, zwischen Spiel und Realität zu unterscheiden, so Günter Gugel. Nicht selten verarbeiten sie im Spiel auch Spannungen, die sie in der eigenen Familie erleben oder sie überspielen eigene Ängste. Ein striktes Verbot erhöht häufig nur die Faszination.
Gute Beziehungen innerhalb der Familie

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Wenn es Eltern mit und ohne Worten gelingt, klar zu machen: „Es ist mehr und wichtiger, zu einer Gemeinschaft dazuzugehören als immer zu gewinnen“, ist das ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Friedensgesinnung.
Gegenseitige Wertschätzung
Dazu trägt ein fehlerfreundliches Klima in der Familie bei. Wie reagieren Eltern bei sich selbst und bei ihren Kindern auf Fehler, auf nicht Geglücktes? Mit Humor? Mit dem Hinweis auf einen möglichen neuen Versuch? Mit Trost oder Ermutigung? Oder mit Auslachen, Herabsetzen und Geringschätzung? Die Fähigkeit, Frieden zu halten und Frieden zu schaffen, hängt wesentlich davon ab, ob ein Mensch sich respektiert, angenommen und Wert geschätzt fühlt. Herrscht in der Familie latenter Wettkampf mit ständigem Vergleichen? Oder lautet das Motto: „Wir halten zusammen und schaffen es gemeinsam?“ Wie wäre es, auch einmal Spiele zu spielen, die Spaß machen und bei denen es mehr aufs Zusammenspiel als aufs Siegen eines Einzelnen ankommt?
Verschiedene Lösungen gegeneinander abwägen
Einen weiteren Beitrag zur Friedenserziehung sieht Anne Frommann darin, „schon Kindern die faszinierende Erkenntnis zu vermitteln, dass es mehr als eine Lösung für ein Problem geben kann“. Es ist schon früh lohnenswert, gemeinsam kreative Lösungen ohne Sieger und Besiegte zu finden, statt dem Diktat des Stärkeren zu gehorchen – und sei es , dem „Machtwort“ der Eltern! „Wir müssen lernen und üben, unsere soziale Fantasie auf Reisen zu schicken“, so Anne Frommann.
Dazu gehört, bei Konflikten und verschiedenen Interessen geduldig Kompromisse auszuhandeln. Dabei helfen Fragen wie: Was fällt dir dazu ein? Hast du einen Vorschlag? Was können wir mal ausprobieren? Schon junge Kinder haben oft erstaunlich vernünftige Ideen. Erziehung zum Frieden setzt voraus, Kinder als ebenbürtige Gegenüber zu sehen. Sie sollten am Vorbild der Eltern lernen können, respektiert zu werden, ohne zu schlagen, sich Gehör zu verschaffen, ohne zu schreien und sich durchzusetzen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Denn Befähigung zum Frieden heißt nicht, die Kinder zum steten schlaffen Nachgeben zu erziehen. Kinder dürfen etwas wollen, eigene Interessen haben und sie auch durchsetzen. Erziehung zum Frieden heißt auch, zu lernen, wie man diese eigenen Interessen mit denen der anderen in Einklang bringen kann. Dazu gehört auch, dass Kindern zugestanden wird, Konflikte zu riskieren – und dann Wege zu finden, um sie zu lösen. Frieden und Friedenserziehung fängt schon im Kinderzimmer an und setzt sich hoffentlich in Kindergarten, Schule, Nachbarschaft und im Miteinander von verschiedenen Kulturen und Staaten fort.
Karin Vorländer – LW 37/2013