Gutachten subjektiver Verbraucherwünsche

Harald Grethe, der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik (WBA) sagte vergangenen Januar auf der Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen den richtigen Satz „Wenn wir die Industrie wegen des Klimaschutzes aus Deutschland verbannen, ist sie im Ausland genauso klimarelevant. Das gilt auch für den Tierschutz.“ Geht man davon aus, dass das Klima- und das Tierschutzniveau hierzulande höher sind als in vielen anderen Ländern, wäre also beiden Zielen mit einer Verlagerung ins Ausland nicht gedient. Bei einer Umsetzung der Vorschläge, die der WBA in seinem Gutachten „Wege zu einer akzeptierten Nutztierhaltung“ gemacht hat, muss man aber befürchten, dass genau dies der Fall sein wird. Das Gutachten stellt die These auf, dass die Nutztierhaltung in Deutschland nicht zukunftsfähig sei und dass es erhebliche Defizite im Tier- und Umweltschutz gebe. Die Wissenschaftler schlagen deshalb einen umfassenden Umbau vor. Dass in der Praxis kontinuierlich Verbesserungen des Tierwohls beispielsweise bei Stallneubauten zum Tragen kommen, wird nicht gewürdigt. Eine Schwäche des Gutachtens ist auch, dass es die Bereitschaft der Verbraucher überschätzt, mehr Geld für höhere Tierhaltungsstandards auszugeben. Wenn die Wissenschaftler jetzt Außenklimaställe für alle Tiere propagieren, berücksichtigen sie nicht, dass selbst in vieharmen Regionen Stallneubauten auf immer größeren Widerstand stoßen. Ein Umbau der Tierhaltung – den das Gutachten zu einem großen Teil von den subjektiven Verbraucher-Empfindungen ableitet – ist kaum möglich.

Die Klarstellung des WBA, dass die Betriebsgröße nichts über die Qualität der Tierhaltung aussagt, ist positiv. Die Gelegenheit, sich kritischer mit den widersprüchlichen Verbraucherwünschen auseinanderzusetzen, haben die Wissenschaftler, die nicht wie Politiker alle vier Jahre wiedergewählt werden müssen, leider nicht wahrgenommen.

Cornelius Mohr – LW 14/2015