Hessischer Gemüsebautag aus Gernsheim

Biologischer Pflanzenschutz aus Süßholz in Arbeit

Politisch harte Worte, fachlich digitale und biologische Lösungen – so kann man den Hessischen Gemüsebautag im Rahmen der Landwirtschaftlichen Woche Südhessen aus der Stadthalle in Gernsheim Ende Januar zusammenfassen. Die Fachgruppe Gemüsebau des Gartenbauverbandes Baden-Württemberg-Hessen (GVBWH) bestätigte in einer Wahl den bisherigen Vorstand aus Claudia Trübenbach, Heinrich Stahl, Frank Edel und Jirko Stiller.

Die Marmorierte Baumwanze (l.) gibt es seit 2010 in Deutschland, in Hessen seit 2014. Sie ist leicht zu verwechseln mit der einheimischen Grauen Gartenwanze (r.).

Foto: LLH/Fetzer, halymorphahalys.comv

Uli Natterer, der Vorsitzende der Fachgruppe Gemüsebau des Gartenbauverbandes Baden-Württemberg-Hessen, fand in seiner Begrüßung deutliche Worte: „Der politische Gestaltungsrahmen wird uns nicht weiterhelfen.“ In Zeiten von Klimawandel, Mindestlohnerhöhung, Wasserschutz, Artenschutz, Kunststoff- und Torfreduktion warte die Bundesregierung mit einer Fülle von staatlichen Regulierungen auf, wie der Düngeverordnung, dem Umweltpaket, der Stoffstrombilanz und weiteren.

Ökologisierung bringt für die Betriebe nichts

Der Handel steigere seine Forderungen, wie kürzlich Migros in der Schweiz. Der Konzern hat angekündigt ab 2025 nur noch CO2-neutrale Ware abzunehmen. In Deutschland verhandele Demeter mit Edeka und Rewe. Natterer selbst bewirtschaftet einen Biolandbetrieb und bemerkte, dass zwar die Umsätze dank des Strukturwandels steigen, dass die Kurve jedoch sehr flach ist und die gleichen Dissonanzen wie auf dem konventionellen Markt übernommen werden. „Damit bringt die Ökologisierung für die Betriebe nichts. Die Betriebe sind gut beraten, dennoch nicht dagegen zu halten, sondern ihre Nische zu suchen. Machen Sie sich frei von den politischen Rahmenbedingungen, werden sie kreativ, innovativ und nutzen Sie ihre Chancen.“

Volker Lein, der Vizepräsident vom Hessischen Bauernverband, gab zu Bedenken, dass viel schief gelaufen sei in den vergangenen Jahrzehnten. „Unsere Aufgabe ist es, die Politik wachzurütteln. Es muss wieder Menschen mit Rückgrat in der Politik geben, die sich für die Landwirtschaft einsetzen.“ Zum Thema rote Gebiete sagte Lein, dass derzeit überprüft werde, ob der Hessische Bauernverband eine Verbandsklage einreiche. „Wir werden uns bewegen, wo wir der Verursacher sind, wo es andere sind, müssen diese sich bewegen“, so Lein, der die Gemüsebauern und Tierhalter insofern in einem Boot sieht, da beide von den billigen Importen bedrängt werden.

Prof. Dr. Jana Zinkernagel von der Hochschule Geisenheim wollte den Gemüseerzeugern Mut machen: „Sie haben einen wunderschönen Beruf, lassen Sie sich die Freude nicht nehmen.“ Auch die Forschung stehe an der Seite der Erzeuger und werde Lösungen finden, wie die Geisenheimer Steuerung zur Bewässerung. Diese hat sich von einer Excel-Kalkulation zur frei zugänglichen Software entwickelt, die universell verwendbar und verfügbar ist. Auch die Kombination mit anderen Schlagkarteien ist vereinfacht worden, sodass den Erzeugern nun ein sehr bedienerfreundliches browserbasiertes Instrument für die Regulierung der Bewässerung in vielen Gemüsebaukulturen zur Verfügung steht. Neben den kc-Werten, dem Pflanzenstadium und dem Bodenprofil fließen auch die nächstgelegenen Wetterdaten in die Empfehlung ein. Alternativ können auch die selbst erfassten Niederschlagswerte eingegeben werden. Das Programm heißt GSEHEN und kann mit Tablet auch draußen angewandt werden. In einem neuen Projekt wollen sich die Wissenschaftler an der Hochschule Geisenheim der Bewässerung gekoppelt mit der Düngung widmen. Der LLH-Berater Ralf Scheyer wies darauf hin, dass die Software ein gutes Instrument sei, dass jedoch die Verfügbarkeit von Wasser in den Regionen mit in das Projekt einbezogen werden sollte.

Nahtlos anschließen konnte sich an diesen Vortrag Dr. Herwig Köhler vom DLR RNH in Bad Kreuznach, der dort die GeoBox mitentwickelte. Vor zwei Jahren gab die Agrarministerkonferenz den Auftrag zur GeoBox, nun stehe sie kurz vor der Einführung. Die GeoBox ist die digitale Infrastruktur für die landwirtschaftlichen Betriebe, erklärte Köhler. Verschiedene Behörden und Institutionen stellen ihre Daten kostenfrei zur Verfügung und der Landwirt kann diese miteinander verschneiden, um für seine Bestände die notwendigen Informationen zu generieren. „Die jungen Landwirte lernen dies direkt in ihrer Ausbildung, auch die Interpretation der vorhandenen Karten“, sagte Köhler. An Informationen können Nmin-Werte, Spätfrostgefahr und vieles mehr angerufen werden.

Gemüsebautools können in GeoBox aufgenommen werden

Für den Gemüsebau kann die Software der Hochschule Geisenheim, das Folienmanagement und die Dammtemperatur mit in die GeoBox integriert werden. Köhler gab den hessischen Gemüsebauberatern den Auftrag, sich Gedanken zu machen, welche Informationen sie in der GeoBox für Hessen benötigen. Köhler räumte auch auf mit der Mär, dass die Digitalisierung an sich einen Mehrwert bringe: „Nur durch das Bündeln der Informationen generieren wir einen Mehrwert.“ Zinkernagel regte an, mit der GeoBox die Vereinheitlichung der föderalen Strukturen voranzubringen, da ja nun für alle Länder eine spezifische GeoBox angelegt werde. Köhler entgegnete, dass der Bund jedoch viel zu wenig und zu unspezifische Daten habe. Langfristig soll mit der GeoBox auch der eAntrag versendet werden. In Hessen sei derzeit noch ein Problem, dass Hessen bisher Grundstücksgrenzen nur gegen Kosten zur Verfügung stellt. „Das geht im open data-Raum nicht. Da muss noch eine Lösung gefunden werden.“

Neues Recht für Pflanzenpässe – jetzt registrieren

Dass seit 14. Dezember 2019 Pflanzenpässe nach neuem Recht ausgestellt werden müssen, darauf wies Christian Fetzer, LLH-Berater in Griesheim, hin. Bereits ausgestellte Pflanzenpässe sind noch bis 14. Dezember 2023 gültig. Auf dem Pflanzenpass wird die botanische Bezeichnung der Pflanze angegeben, die Registriernummer des Betriebs und ein Rückverfolgbarkeitscode. Demnach müssen sich Betriebe registrieren, die Pflanzen auf den Markt bringen, die anschließend gehandelt oder wieder gepflanzt werden, überwiegend Topfware, Setzlinge, Stecklinge, Zwiebeln oder Knollen. Da sich bisher in Hessen nur 70 Betriebe registrieren ließen, rufen die Berater um baldiges Handeln auf. Die Liste Art. 79 (1), 2019/11314 mit dem Anhang XIII zeigt, welche Waren von der Pflanzenpasspflicht betroffen sind. Ausnahmen bestehen, wenn direkt an den Endverbraucher verkauft wird. Antragsformulare können beim Pflanzenschutzdienst Hessen unter https:/pflanzenschutzdienst.rp-giessen.de/Pflanzengesundheit/ und in Rheinland-Pfalz im Portal www.dlr-rheinpfalz.rlp.de Fachinformationen, Gartenbau, Pflanzenschutz heruntergeladen werden. Die Kosten für die Registrierung belaufen sich auf 20 Euro. Werden bei einer Kontrolle die Pflanzenpässe vermisst, kostet dies 60 Euro. Bisher registrierte Betriebe bleiben registriert, müssen aber ihre Angaben aktualisieren bis 15. März 2020. Der Unternehmer, der sich für den Pflanzenpass beim Pflanzenschutzdienst registriert, erhält das Recht für seine Ware Pflanzenpässe auszustellen. Dementsprechend sollte er (und ab dem 14. Dezember 2020 muss er theoretisch) die für seine Kulturen relevanten Unionsquarantäneschädlinge und unionsgeregelten Nichtquarantäneschädlinge sowie deren Symptome kennen. Denn mit dem Ausstellen des Pflanzenpass auf seine Ware bescheinigt er, dass seine Pflanzen frei von diesen Schaderregern sind. Noch im ersten Quartal 2020 werde das Julius Kühn-Institut Listen publizieren mit den bekannten Schädlingen. Als Beispiel nannte Fetzer Baumschulware von Prunus domestica L., der Pflaume, die frei von Xyella fastidiosa, einem Unionsquarantäneschädling sein soll. Baumschulware von Prunus armeniaca L., der Aprikose sollte frei von Scharka, einem unionsgeregelten Nichtquarantäneschädling, sein.

Sie wurden wieder zum Vorstand gewählt (v.l.): Heinrich Stahl aus Klein-Gerau, Claudia Trübenbach aus Bickenbach und Frank Edel aus Lampertheim, es fehlt Jirko Stiller. Rechts im Bild der Geschäftsführer der GVBWH aus Württemberg, Herrmann Martin.

Foto: zep

Über die Neuregelungen zum Anwenderschutz referierte Tobias Storch, LLH-Obstbauberater in Mainz-Kastell. Davon mehr im Bericht vom Pfälzer Obstbautag kommende Woche.

Pflanzenschutz mit Süßholz, Thymian und Neembaum

Über die Verwendung von Pflanzenextrakten im Pflanzenschutz sprach Dr. Annegret Schmitt vom Julius Kühn-Institut Darmstadt. Schachtelhalm, Brennnessel und Knoblauch sind bereits bekannte Pflanzenextrakte. Kommerzielle Pflanzenschutzmittel auf pflanzlicher Basis in Deutschland sind Azadirachtin aus Azadirachta indica, dem Neembaum, auch Baumwachse zur Wundbehandlung, Pelargonsäure gegen Unkräuter, Pyrethrine aus Tanacetum coccineum oder Rapsöl gegen Milben und Insekten. Pflanzenstärkungsmittel sind Mittel auf der Basis organischen Materials, sowohl pflanzlicher als auch tierischer Herkunft, wie Öle, überwiegend anorganische Mittel wie Silikate, Homöopathika und Mittel auf der Basis von Wachsen. Pflanzenstärkungsmittel dürfen im Gartenbau angewandt werden. Eine interessante Pflanze ist Sachalinstaudenknöterich, botanisch Fallopia sachalinensis. Sie wurde 1988 vom JKI entdeckt und zeigt Wirkung gegen Echten Mehltau, Grauschimmel und andere Pilzkrankheiten. Die Wirkung liegt darin, dass die Pflanze so gestärkt werde, dass sie nicht empfänglich für die Pilze ist. Mit Syngenta wurde Sakalia kreiert. Dieses soll als Pflanzenschutzmittel auf den Markt kommen, sagte Schmitt.

Gute Ergebnisse mit Sachalinstaudenknöterich

Hoch wirksam zeigt sich der Sachalinstaudenknöterich gegen den Echten Mehltau an Reben, Gurken, Tomaten, Paprika, Begonien und Getreide sowie gegen Grauschimmel an Blüten von Gurken und Begonien, an jungen Tomaten- und Paprikapflanzen sowie an Zierpflanzen. Nur mittelmäßig wirksam ist der Sachalinstaudenknöterich gegen Rost an Nelken und Bohnen, das Tabak Mosaic Virus, den Grauschimmel an Reben, den Echten Mehltau an Erdbeeren, Getreide, Bäumen und Rosen. In Versuchen zeigte sich, dass der Sachalinstaudenknöterich auf das Wuchsverhalten der Pflanzen einwirkt: Der Gehalt an Chlorophyll wird erhöht, damit die Photosyntheseleistung, der Wuchs des Haupttriebes wird gestärkt, während es weniger Seitentriebe gibt. Der Habitus der Pflanzen verändert sich, es tritt eine verzögerte Alterung ein, ein erhöhter Blütenansatz und größere Blüten.

Weitere Pflanzen, die sich zum Pflanzenschutz eignen, sind Salbei, Thymian und Süßholz. Thymian kann als Öl den Samen von Petersilie vor Septoria petroselini schützen. Und Süßholz wirkt als Blattextrakt zu 100 Prozent gegen die Braunfäule an Tomaten, zeigt eine Wirkung gegen Krautfäule bei Kartoffeln, gegen Falschen Mehltau in Gurken, Salat, Zwiebeln und Reben sowie gegen Apfelschorf, Rost in Bohnen und Grauschimmel in Tomaten. „Hier laufen derzeit noch viele Versuche zur Dosierung. Die Firma Trifolio M GmbH arbeitet an einer Mikroverkapselung. Das Süßholzpräparat ist vorgesehen für die Anwendung im Weinbau, für den Apfelanbau und unter Glas Kulturen“, bemerkte Schmitt. Dennoch sei Geduld gefragt. Schmitt rechne in vier bis fünf Jahren mit diesem Produkt.

Schnellere Lösungen sind für die zwei neuartigen Schädlinge gefragt, die aufgrund der Klimaerwärmung seit 2018 ihr Unwesen in Obst- und Gemüsebau treiben: Die invasiven Wanzen, Marmorierte Baumwanze und Grüne Reiswanze. Beide führen durch Saugen an Früchten zu teils hohen Schäden und Qualitätsverlusten. Während die Marmorierte Baumwanze ab 10 °C aktiv wird, 28 Eier in einem Gelege ablegt und rund 40 Tage zur Entwicklung zum adulten Tier benötigt, legt die Grüne Reiswanze 40 bis 100 Eier pro Gelege ab und benötigt nur 34 Tage zur Entwicklung.

Neue Schädlinge haben noch keine Gegenspieler

Bohnen, Birnen, Gurken oder Kirschen werden durch die Saugschäden deformiert. Die Marmorierte Baumwanze hat als biologischen Gegenspieler die Samuraiwespe, die 80 Prozent der Eigelege parasitiert. Die Samuraiwespe wurde 2018 in Südtirol nachgewiesen. „Wir erwarten diese sehnsüchtig“, bemerkte Fetzer. Die Grüne Reiswanze wird von einer Raupenfliege parasitiert. Diese legt ein Ei an die Flanken der Wanze und die junge Raupe frisst sich dann in die Wanze rein und tötet diese ab. Die hierzu notwendige Raupenfliege ist hierzulande jedoch nicht heimisch. Derzeit kann zur Bekämpfung gegen die beiden Wanzenarten nur die Nebenwirkung von Spintor und Mospilan in jungen Stadien ausgenutzt werden. Positive Erfahrungen wurden auch beim Einnetzen mit 0,9 x 1,35 mm Maschenweite gemacht. Das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg (LTZ) in Karlsruhe ist am Projekt Prog/Ramm beteiligt, das das „Monitoring und die Ausbreitung invasiver Schadinsekten in Deutschland“ verfolgt. Daher bitten die Mitarbeiter des LTZ um das Zusenden von Fotos der Marmorierten Baumwanze oder Grünen Reiswanze an folgende E-Mail: pflanzenschutz-insekten@ltz-bwl.de. Fetzer rechnet mit einer steigenden Population dieser Wanzenarten, da es in diesem Winter nicht kalt war und sich die adulten Tiere gute Verstecke in Fensterrahmen oder Türrahmen von Häusern suchen.

Helmut Müller, seit 1988 Pflanzenschutzberater beim LLH in Südhessen, erst in Darmstadt und seit 15 Jahren in Griesheim, sprach über unerwartete Kontaminationen von Gemüse. Der erfahrene Berater wird zum Ende des Jahres in Ruhestand gehen und plauderte über einige Verfehlungen, die er in seinem Berufsalltag erfuhr. Er empfahl den Gemüseerzeugern im kleinstrukturierten Südhessen, vor allem abends oder morgens zu spritzen, um Abdrift durch Wind zu vermeiden. Auch der Einsatz von Injektordüsen sei sinnvoll sowie eine kontinuierliche Spritzenreinigung.

Vorsicht ist bei Sonderkulturen geboten, wenn Saisonarbeitskräfte mit Handschuhen arbeiten. „Verwenden Sie Nitril-Handschuhe statt der Latex-Variante, denn bei Latex führt der Einsatz zu Rückständen“, bemerkte Müller. Jeder Gemüseerzeuger sollte seine Mitarbeiter dringlichst davor warnen, im Bereich der Felder zu rauchen. „Je mehr Wasser in einem Gemüse enthalten ist, desto eher kann das Nikotin von den Fingern nachgewiesen werden.“ Auch der Einsatz von Repellentien hat im vergangenen Jahr in Südhessen dazu geführt, dass ein LKW mit Erdbeeren wieder auf den Hof gefahren wurde. „Achten Sie darauf, was ihre Saisonarbeitskräfte einsetzen, am besten Sie stellen diesen die richtigen Produkte zur Verfügung“, schlug Müller vor und gab den Gemüseerzeugern noch zahlreiche Tipps an die Hand, nicht ohne den ein oder anderen Scherz, denn ohne Humor sei das Leben nur halb so schön, so das Credo des baldigen Ruheständlers.

zep – LW 7/2020