Durchblick im Agrarstudium

Die Veränderungen in der Hochschulausbildung, die sich in den letzten zehn Jahren an Universitäten und Fachhochschulen vollzogen haben, sind für Außenstehende nur schwer zu durchschauen. Der allgemein bekannte und auch bewährte Diplomabschluss hat ausgedient und wird durch die neuen Abschlüsse Bachelor und Master ersetzt. Prof. Heinz Große Hokamp von der Hochschule Neubrandenburg gibt einen allgemeinen Überblick über das Agrarstudium an deutschen Hochschulen.

Praxisorientierte Ausbildung in kleineren Gruppe ist leider selten gegeben.

Foto: Hokamp

Hintergrund für die Veränderungen ist die „Deklaration von Bologna“, in der sich 1999 zunächst 29 Nationen darauf verständigten, bis zum Jahre 2010 einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Darin enthalten waren fünf wesentliche Ziele.

Ziele für europäische Hochschulen
Bei diesen wesentlichen Ziele des Bologna-Prozess geht es um:
  • ein System leicht verständlicher und international vergleichbarer Abschlüsse;
  • ein zweistufiges System von Studienabschlüssen: ein erster, berufsqualifizierender Zyklus (Bachelor) von mindestens drei Jahren, und ein zweiter Zyklus (Master), der den Abschluss des Bachelor voraussetzt;
  • ein Leistungspunktesystem (ECTS-Modell), dieses soll beim Wechseln von Hochschulen  zur Anwendung kommen und das Wechseln auch erleichtern;
  • die Förderung der Mobilität von Studierenden, Lehrkräften und Wissenschaftlern: Beseitigung von Mobilitätshemmnissen aller Art;
  • eine europäische Zusammenarbeit im Bereich der Qualitätssicherung; Förderung einer Europäischen Dimension in der Hochschulausbildung. Vervielfachung der Module, Studiengänge und Lehrpläne auf allen Niveaus, deren Inhalt, Ausrichtung und Organisation.
Diplom im Ausland eher unbekannt
Bei einem Großteil der Hochschulen ist die Umstellung bereits vollzogen. Sehr viel Elan haben die deutschen Hochschulen in diese erheblichen Veränderungen ihres Studienbetriebes investiert, obwohl insbesondere bei einem Teil der Professoren vielfach eine Einsicht hierfür gefehlt hat und auch heute noch oft fehlt. Hatte doch das deutsche Diplom, sowohl auf Universitätsseite als auch auf Seiten der Fachhochschulen insgesamt in  der Regel einen sehr guten Ruf.
Warum also der „Bachelor“? Bisher zeichnete sich die Hochschullandschaft in Europa zwar durch große Vielfalt, aber auch durch verwirrende Unübersichtlichkeit aus. Der Mangel an Einheitlichkeit und Transparenz der Studiensysteme erschwerte den Vergleich und die Bewertung von Studienleistungen. So genießt das Diplom in Deutschland zwar hohe Anerkennung, aber in vielen anderen Ländern ist dieser Abschluss unbekannt. In einer Zeit zunehmender Internationalisierung wirkt sich dies sehr nachteilig aus.

Im Master-Studiengang gehört projektorientiertes Studieren zum Alltag.

Foto: Hokamp

Folgen für das praktische Studium
Hervorzuheben ist für beide Hochschularten eine stärkere Gliederung des Studiums in die jeweils eigenständigen Studiengänge Bachelor (umfasst zumeist sechs Semester) plus Master (zumeist vier Semester). Das Studium selbst ist modularisiert, das heißt dass Vorlesungen, Ãœbungen und Praktika, die thematisch zusammengehören, als eine Einheit (Module) vermittelt und geprüft werden. Die Prüfungen erfolgen zumeist studienbegleitend, das heißt in der Regel gibt es zum Semesterende eine Prüfungsphase von zwei bis drei Wochen. Oft gibt es auch eine Nachprüfungsphase vor dem Start des nächsten Semesters. Theoretisch könnte sich also ein Student die gewünschten Module an verschiedenen Hochschulen „einsammeln“.
Die Praxis sieht jedoch anders aus. Eher führt die Neugliederung der Studiengänge dazu, dass zum Beispiel ein Wechsel nach dem abgeschlossenen Bachelor an einen interessierenden Masterstudiengang leichter wird als bisher. Ein praktisches Beispiel: Agrarstudent Müller an der Universität A möchte sich stärker in der Pflanzenzüchtung vertiefen. Da dieses besonders an der Universität B seinen Vorstellungen nahe kommt, wechselt er nach dem Bachelor in den entsprechenden Master-Studiengang nach B.

Für den Master wird Mindestnote verlangt
Insgesamt ist festzuhalten, dass sich die Universitätsstudiengänge, die auch in der Vergangenheit mit der Gliederung in Vordiplom und Diplom zumeist in der Summe neun bis zehn Semester aufwiesen, eine ähnliche Gesamtstudiendauer behalten. Eine Förderung des Leistungsniveaus hat sich allerdings insoweit ergeben, als dass die Zugangsmöglichkeit in einen Master-Studiengang von dem Erreichen einer Mindestnote im Bachelorabschluss abhängig gemacht wird. Zumeist wird für die Immatrikulation eine Mindestnote von 2,5 verlangt. Hier ergibt sich damit sehr wohl eine gewisse Reduzierung auf leistungsstarke Studierende.

Größere Veränderungen an den Fachhochschulen
An den Fachhochschulen (FH) ergaben sich die vergleichsweise größten Veränderungen:
  • Der in der Vergangenheit achtsemestrige Dipl. Ing. (FH) wurde auf einen zumeist sechssemestrigen Bachelor zusammengeschmolzen. Ein Teil der Fachhochschulen bietet jedoch auch einen siebensemestrigen Bachelor an.
  • Als weitere Besonderheit ergibt sich für die Fachhochschulen, dass sie nach dem Bachelor-Abschluss ebenfalls einen Masterstudiengang (in der Regel vier Semester) anbieten können. Dieser hat dann im Gegensatz zum mehr wissenschaftlichen Ansatz der Universitäten, vor allem projektorientierte praxisnahe Inhalte.
  • Ebenso ist die vorher in der Regel drei Monate beanspruchende Diplomarbeit in eine Bachelorarbeit gewandelt, die zumeist nur sechs oder acht Wochen dauert.
  • Problematisch erscheint, und dieses wird vielfach bedauert, dass die im Diplom-Studiengang noch stärker vorhandenen Zeiträume für Praxis-Komponenten reduziert wurden. Gerade die starke Praxisorientierung ist ein Pfund, mit dem die Fachhochschulen in der Vergangenheit ihre Pluspunkte machten.
Das Fazit ist sowohl für Universitäten als auch für Fach­hochschulen nicht eindeutig. Kritiker bescheinigen diesen neuen Strukturen, die letztlich auch eine Entlastung der Hochschulen und Einkürzung von Studiendauer und Kosten bewirken sollen, eher eine Mehrzahl von Nachteilen, während Vorteile eher reduziert zu finden sind.

Negative Kritik
  • Gestraffte Studienverläufe und die Angst vor verpassten Kursen hemmen die Studierenden, ins Ausland zu gehen oder auch nur den Standort zu wechseln.
  • Ausländische Universitäten, vor allem in Amerika, bieten selbst zumeist vierjährige Bachelor an und haben zum Teil Vorbehalte in der Akzeptanz deutscher Bachelor.
Die dargestellten Veränderungen führen zu einer Straffung der Studiengänge und erfordern auch eine höhere Eigenverantwortung bezüglich der Belegung von Studieninhalten (Modulen) und auch der Planung einer Gesamtstruktur des studentischen Werdegangs.

Fachhochschule oder Universität?
Vorab steht sicher jeweils die Frage: Fachhochschule oder Universität? Bei eher wissenschaftlich orientierter Zielsetzung für eine spätere Tätigkeit in gehobenen Laufbahnen ist nach wie vor die Universität anzuraten. Neben dem insgesamt zehnsemestrigen Bachelor- und Master-Studium sollte hier dann für führende Positionen eventuell auch noch eine anschließende Promotion (Dr.) ins Auge gefasst werden.
Mehr praxisorientierte Studien­inhalte bieten jedoch die FHs. Die angesprochene Kritik eines zu stark reduzierten Praktikums im neuen Bachelor sollte ernst genommen werden. Bekanntlich achten Arbeitgeber sehr stark auf praktische Berufserfahrungen, die auch durch höhere Semesterzahlen an den Hochschulen nicht ersetzbar sind. Daher wird künftigen Studieninteressenten geraten, sehr stark auf diese Praxiskomponenten zu achten.

Wechsel von der FH zur Uni und umgekehrt
Mit entsprechenden Erfahrungen fällt ein anschließendes Studium wesentlich leichter, das Studieren macht mehr Spaß und letztlich bringt dieses auch immense Vorteile in der Bevorzugung bei künftigen Arbeitgebern. Auch ist mit den konsekutiven Studiengängen von Bachelor und Master die Option gegeben, zunächst ein mehr praxisorientiertes Bachelor-Studium an einer Fachhochschule zu absolvieren und danach bei entsprechender Leistung und Interesse das Master-Studium an einer Universität fortzusetzen. Umgekehrt bietet sich dem „Universitäts-Bachelor“ die Chance, stärker praxisorientiert in den Master-Studiengang an die Fachhochschule zu wechseln.

Links zu den Universitäten und Hochschulen im LW-Gebiet finden Sie hier. 


Praktische Erfahrungen sind oft entscheidend
Zu viel Praxis und fachliche Spezialkenntnisse kann es nicht geben. Diese Praxis sollte entweder vor dem Studium oder eventuell auch in einem oder zwei Urlaubssemester/n erfahren werden. Sinnvoll erscheint sogar ein ganzes Praxisjahr oder eine landwirtschaftliche Lehre vor Aufnahme des Studiums. Der entsprechende Ausbildungsbetrieb sollte nicht der erste Nachbarbetrieb sein. Als Tipp: Man sollte Kontakt zu einem oder auch zwei guten Ausbildungsbetrieb/en aufnehmen, die einen breiten Kenntnismix im Agrarbereich ermöglichen. Ebenso wie die im Studium gewählten Module, sollte auch diese Praxisphase geplant sein. Wichtig ist immer die Tatsache: Das Praktikum machen die Studierenden nicht für die Hochschule, sie machen es für ihre eigene Karriere. Prof. Hokamp