Macht statt Markt

Nur kurze Zeit nach dem Runden Tisch der Lebensmittelkette in Berlin haben die Discounter des Lebensmitteleinzelhandels neue Tiefstpreise für Trinkmilch bei den Molkereien durchgesetzt. Ein paar Tage früher hätten diese Preisabschlüsse die Veranstaltung und die Bundeslandwirtschaftsministerin von vornherein bloßgestellt. Die Le­bens­mittelhändler hätten vielleicht die Leviten gelesen bekommen, aber auch das hätte sie wohl nicht beeindruckt. Der LEH beruft sich auf den Markt und das überreichliche Angebot. Das mag stimmen, aber auch der Einzelhandel hat Überkapazitäten in der Ladenverkaufsfläche. Er kann allerdings den Druck einfach an seine Lieferanten weitergeben, weil der Lebensmittelhandel in Deutschland bekanntermaßen von fünf Konzernen dominiert wird und Macht statt Markt praktiziert. Viele Milchviehbetriebe werden bei dieser Preisentwicklung an ihre Liquiditätsgrenzen kommen, weil mittelfristig keine Besserung in Sicht ist.

Das Vorziehen der EU-Direktzahlungen kann zwar nicht langfristig helfen, ist aber dennoch richtig, um erst einmal Rechnungen bezahlen zu können. Eine rasche Entscheidung ist deshalb sehr wichtig (insbesonder für die Kreditgeber). Für Investitionen in Einkommensalternativen fehlt bei vielen Betrieben das Geld, weil es in die Milchviehhaltung gesteckt wurde. Außerdem sind die Arbeitskapazitäten schon längst ausgereizt.

Und den Markt selbst zu gestalten, bleibt eine Utopie angesichts der erdrückenden Mehrheit in der EU gegen eine europaweite Mengenreduktion. Ein nationaler Lieferverzicht würde da leider nur der Konkurrenz nutzen. Und ein neuer Milchlieferboykott würde angesichts der Wirtschaftskrise nicht mehr auf die gleiche Sympathie bei den Verbrauchern treffen wie vor einem Jahr.

Cornelius Mohr