Lebensmittel verteilen, statt zu vernichten

Landwirt engagiert sich bei der Hofgeismarer Tafel

Lebensmittel gibt es in Hülle und Fülle. Aber nicht jede Familie kann sich aufgrund des engen finanziellen Budgets die Einkaufskörbe damit füllen. Unterstützung erhalten sie bei den „Tafeln“, bei denen sie für wenig Geld Lebensmittel einkaufen können. Landwirt Hans-Walter Menke arbeitet bei der Tafel in Hofgeismar. Lesen Sie hier über sein Hobby und Ehrenamt.

Hans-Walter Menke (links) und Günter Liebermann beim Verladen gespendeter Lebensmittel. Für die Abholung der Lebensmittel, also die körperlich schwere Ar­beit, sind die Männer zuständig. Frauen engagieren sich eher bei der Verteilung.

Foto: Beate Lehmann

„Das ist egal“, antwortet die junge Frau auf die Frage, welches Brot es denn sein soll. Als Hans-Walter Menke ihr ein dreipfünder Mischbrot in den Korb legt, strahlen ihre Augen. Als er Birnen anbietet, Salat, Rettich, Kuchen und Suppenknochen dazu packt, freut sich die Mutter zweier Kinder noch mehr. Dann folgt ein Becher Pudding. „Den kriege ich“, ruft der Sohn der jungen Frau begeistert. „Nein“, ruft die kleine Schwester, „ich will ihn haben.“ Menke sucht im Korb, der unter dem Tisch steht, findet noch einen zweiten Pudding. Zum Glück, der Geschwisterstreit ist noch mal vermieden worden. Für die Lebensmittel in dem prall gefüllten Korb, der vor ihr auf dem Tisch steht, bezahlt die alleinerziehende Mutter schließlich zwei Euro. Es ist der Einheitspreis für die Kunden der Hofgeismarer Tafel. Für den Betrag erhalten die Kunden Lebens­mittel, die auf dem Markt aus verschiedenen Gründen nicht verkauft werden können und die, würden sie nicht an Bedürftige abgegeben, vernichtet werden müssten. „Verteilen statt Vernichten“ lautet daher auch das Motto, das sich die Tafeln in Deutschland auf ihre Fahne geschrieben haben. 749 gibt es bundesweit, eine davon im Nordhessischen Hofgeismar.

Seit zehn Jahren ehrenamtliches Engagement

Hans-Walter Menke arbeitet hier seit der Gründung der Einrichtung vor zehn Jahren mit. Er ist einer von 60 Aktiven, Landwirt im Ruhestand, eher aber im Unruhestand. „Ich war im Sportverein, im Kirchenvorstand, verschiedenen kirchlichen Gremien, im Gesangverein und im Viehmarktausschuss“, erzählt der 73-Jährige. „Ortslandwirt war ich auch.“ Heute engagiert sich Menke rund 15 Stunden pro Woche in der Einrichtung, die sich in Trägerschaft des diakonischen Werkes Hofgeismar-Wolfhagen befindet. Neben sechs Stunden jeweils am Montag und am Donnerstag kommen Vorträge, die er vor interessierten Gruppen, zum Beispiel bei Landfrauen und in Kirchengemeinden, hält. „Meine Hauptbeschäftigung ist jetzt bei der Hofgeismarer Tafel“, so der ehrenamtlich Engagierte.

Der Erfolg der Einrichtung löst bei ihm zwiespältige Gefühle aus. „Einerseits geht es uns im Alter gut“, so Menke mit Blick auf seine Frau Gisela, mit der er seit 42 Jahren verheiratet ist. „Da möchte man was an Menschen zurückgeben, die eben nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Andererseits ist es eine Schan­de, dass wir in unserem Land solche Einrichtungen wie die Tafeln überhaupt brauchen. Anlässlich unseres Jubiläums sollten wir daher eigentlich eine Trauer-, statt einer Geburtstagsfeier veranstalten.“ Und noch etwas kommt dazu: „Ich bin Landwirt“, sagt Menke. „Da tut mir jedes Lebensmittel leid, dass nicht seiner Bestimmung zukommt, sondern vernichtet wird oder verdirbt.“

Versorgung von wöchentlich 600 Personen

Wenn die Mitarbeiter der Hofgeismarer Tafel sich an die Anfangszeit erinnern, scheinen sie selbst kaum fassen zu können, wie sehr sich die Situation in den vergangenen zehn Jahren verändert hat. „Wir hatten einen kleinen Tisch vor uns und einen kleinen Korb mit Lebensmitteln, die wir verteilt haben“, erinnert sich Gudrun Medje. „Damals kamen drei Familien und drei Obdachlose.“ Mit neun Mitarbeitern waren die Ehrenamtlichen seinerzeit vertreten. Altersarmut, die Einführung von Hartz IV, eine große Zahl von Ãœbersiedlern aus der ehemaligen Sowjetunion, die heute in Hofgeismar lebt: Die Zahl der Bedürftigen stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich. „Den größten Schub hatten wir nach der Einführung von Hartz IV“, so Hans-Walter Menke. „Heute versorgen wir wöchentlich 600 Personen in 200 Familien, darunter rund 200 Kinder an drei Ausgabetagen. Es gibt sicher noch mehr Leute, die berechtigt wären, sich hier Lebensmittel abzuholen. Aber sie genieren sich.“

Für die Hilfesuchenden gibt es trotzdem noch eine Warteliste. Die Abholer müssen alle sechs Monate ihre Bedürftigkeit zum Beispiel mit Sozialhilfe-, Ren­- ten-, Arbeitslosengeld- oder Wohngeldbescheid nachweisen. Einige Hilfesuchende haben Arbeit, verdienen aber so wenig, dass es zum Leben nicht reicht. Für den, der nicht mehr bedürftig ist, weil er vielleicht zwischenzeitlich neue Arbeit gefunden hat oder verzogen ist, rücken neue Hilfesuchende nach. Verändert hat sich auch das öffentliche Bewusstsein. Armut wird mehr und auch anders wahrgenommen als noch vor einigen Jahren. „Früher wurde ich schon mal gefragt, ob mein Mann wieder bei seinen Pennern ist, wenn er für die Tafel unterwegs war“, erinnert sich Gisela Menke. „So würde heute niemand mehr sprechen.“

Landwirte helfen bei der Organisation der Lebensmittel

Unter den 60 ehrenamtlichen Mitarbeitern befinden sich mehrere Landwirte. Während die 35 Frauen, unter ihnen auch Gisela Menke, meist in der Ausgabe beschäftigt sind, sind die Männer unterwegs, um die Lebensmittel aus Supermärkten, von Firmen, aber auch von Höfen und Direktvermarktern abzuholen. Mit den drei Fahrzeugen der Hofgeismarer Tafel legen sie dabei im Jahr 30 000 Kilometer zurück. „Die laufenden Kosten für die Fahrzeuge finanzieren wir aus den zwei Euro, die jeder Hilfesuchende pro Abholung bei uns zahlt“, erklärt Menke. Für Neuanschaffungen, aber auch fürs Tagesgeschäft, ist man zusätzlich auf Spenden angewiesen.

Die Helfer kurz vor der Ausgabe: Neben den Landwirten Hans-Walter Menke und Ger­hard Siebert (hinten) engagieren sich auch Waltraud Steinbach und Gudrun Medje in der ehrenamtlichen Arbeit bei der Hofgeismarer Tafel.

Foto: Beate Lehmann

Woher kommen nun die Lebensmittel, die an drei Tagen pro Woche im Altstädter Gemeindehaus an Hilfsbedürftige abgegeben werden? „Viel bekommen wir von Landwirten, zum Beispiel von Direktvermarktern. Sie spenden zum Beispiel Kartoffeln, Gemüse, Eier und manchmal auch Wurstwaren.“ Die Suppenknochen, die im Korb der jungen Mutter landeten, kommen frisch aus der Metzgerei. „Ein Metzger, der 30 Schweine in der Woche schlachtet, kann nur einen Teil der Knochen verkaufen“, erklärt Hans-Walter Menke. „Einen Teil gibt er uns. Wir holen sie morgens mit dem Kühlfahrzeug ab, tüten sie ein und geben sie nachmittags wieder ab.“ Ordnung und Kühlung müssen sein, schließlich unterliegen auch die Tafeln der Lebensmittelüberwachung. Die Obstkonserven, die an diesem Tag ausgegeben werden, sehen äußerlich schon etwas mitgenommen aus. Eben nichts, wonach ein Kunde im Supermarkt greift, wenn es etwas Schöneres gibt. Den Kuchen haben Bäcker spendiert. Ihnen kommt eine besonders wichtige Rolle bei den Unterstützern der Tafeln zu: „Wir holen jeden Samstag Brot, Brötchen und andere Backwaren ab und verteilen sie am Nachmittag, damit die Familien übers Wochenende versorgt sind“, erklärt Gisela Menke. „Am Montag wären die Waren alt und in der Bäckerei nicht mehr verkäuflich.“

Die Nachfrage ist groß, die Einzelschicksale bedrückend: „Wir haben einen Sechzehnjährigen, der jeden Samstag bei Wind und Wetter aus dem Nachbarort kommt, um für die große Familie Brot zu holen. Selbst beim Unwetter `Emma´ war er unterwegs“, erinnert sich Gisela Menke, der anzumerken ist, dass die Not der Familien und besonders der Kinder nicht einfach an ihr vorbei geht. „Ich bin ein Flüchtlingskind aus Ostpreußen“, erzählt sie. „Und auch wenn wir früher manchmal als Kartoffelkäfer verspottet und beschimpft wurden: Wir haben doch immer Menschen gefunden, die uns geholfen haben. Auch das ist ein Grund, warum wir uns heute engagieren.“

Entsorgen ist teurer als Verschenken

Auch der Pudding, für den sich die beiden Kinder begeistern, könnte eine eigene Geschichte erzählen. Seine Haltbarkeitsgren­ze ist fast erreicht, das macht ihn im Geschäft unverkäuflich. „Ein Joghurt oder Pudding, dessen Haltbarkeitsdatum fast abgelaufen ist, kommt im Laden in eine Grabbelkiste“, erklärt Menke. „Der Inhaber des Supermarktes will aber nicht riskieren, ihn immer noch zu haben, wenn der besagte Tag erreicht ist. Deshalb gibt er ihn kurzfristig uns.“ Schließlich, so weiß der langjährige Tafel-Mitarbeiter, ist Entsorgen teurer als Verschenken: Der Joghurt oder Pudding müsste geöffnet und geleert werden, Inhalt und Verpackung wären getrennt zu entsorgen. Das kostet Müllgebühren und verursacht Personalkosten. Ein Anruf bei der Tafel ist da billiger. „Am Anfang habe ich mich oft gefragt, warum die Geschäfte uns den Pudding schenken. Sie können ihn ja dann nicht an unsere Leute verkaufen“, sagt Menke. „Heute ist mir klar, dass nicht nur soziale, sondern eben auch wirtschaftliche Gründe dahinter stehen. Und dazu kommt noch: Unsere Leute hätten eh nicht das Geld, sich einen Pudding zu kaufen.“

Die Hilfesuchenden, die bei der Tafel Lebens­mittel abholen, müssten im Normalfall fast ihre gesamte Grundsicherung für Lebensmittel ausgeben. „Das Geld, das sie jetzt für Lebensmittel sparen, können unsere Leute dann für andere notwendige Dinge, wie Kleidung oder Schulbedarf, ausgeben.“

Schlange stehen für die Lebensmittelausgabe

Im Ausgaberaum der Tafel in Hofgeismar leeren sich die Regale an diesem Nachmittag schnell. Dort, wo sich noch um 15 Uhr Obst und Gemüse, Wurstwaren und Konserven stapelten, klaffen schnell große Lücken. Dabei geht die Abgabe geordnet vor sich: Die Hilfesuchenden haben einmalig eine Nummer und eine Karte in einer bestimmten Farbe zugeteilt bekommen. An einem Tag werden die Inhaber der blauen, am anderen die der pinken Karte bedient, mal nach aufsteigenden, mal nach absteigenden Zahlen. So ist eine einigermaßen gerechte Verteilung gewährleistet. Denn schon ist abzusehen, dass der Bedarf an Lebensmitteln höher sein wird als das Angebot. Die junge Mutter und ihre Kinder packen mit immer noch strahlenden Gesichtern ihre Lebensmittel ein und bahnen sich einen Weg nach draußen. Das allerdings ist gar nicht so einfach: Im Vorraum der Ausgabestelle ist jeder Platz besetzt, im Eingangsbereich stehen die Hilfesuchenden dicht gedrängt. Einige haben im Haus keinen Platz gefunden: Sie bilden eine Warteschlange auf dem Gehweg. Beate Lehmann 

 

Die Tafel – eine soziale Bewegung

Je nach Berechnungsart (absolute oder relative Armut) leben in Deutschland zwischen fünf und acht Millionen Menschen in Einkommensarmut. Dieses Einkommen wird benötigt, um elementare Grundbedürfnisse zu sichern. Bei einem zu kleinen Budget wird dabei meist an Nahrungsmitteln gespart: Fleisch, aber auch Obst, Gemüse und Milchprodukte sind oft zu teuer und werden deshalb aus dem Speiseplan gestrichen. Eine unzureichende oder auch unausgewogene Ernährung sind – meist im letzten Monatsdrittel – die Folge. Andererseits gibt es Lebensmittel im Überfluss. Hier beginnt der Tafelgedanke: Die Tafeln bemühen sich um einen Ausgleich. Ziel ist es dabei, alle qualitativ einwandfreien Lebensmittel, die im Wirtschaftsprozess nicht mehr verwendet werden können, an Bedürftige zu verteilen.

Die erste Tafel in Deutschland wurde 1993 von einer Fraueninitiative in Berlin gegründet. Ende 2007 wurden deutschlandweit 749 Tafeln gezählt, davon 53 in Hessen und 47 in Rheinland-Pfalz. Landesweit sind die Tafeln, die als „größte soziale Bewegung der 90er Jahre“ bezeichnet werden, im Dachverband „Deutsche Tafel e.V.“ mit Sitz in Berlin organisiert. Die einzelnen Tafeln befinden sich in Trägerschaft von Initiativen, Vereinen oder Kirchen. Nähere Informationen gibt es bei den regionalen Tafeln oder unter www.tafel.de. B.L.