Lies doch mal was!

Wie Kinder zum schönsten Abenteuer finden

„Das grenzenloseste aller Abenteuer, das war das Leseabenteuer. Als ich zum ersten Mal ein eigenes Buch bekam, erwachte mein Lesehunger, und ein besseres Geschenk hat das Leben mir nicht beschert“, erinnert sich die berühmte schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren. Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Buch? Wer hat Ihnen vorgelesen?

In vielen Familie gehört das Vorlesen zum abendlichen Ritual. Dabei können Eltern und Kindern, anders als beim Fernsehen, die Geschwindigkeit des Lesens und Guckens individuell bestimmen.

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Bücher entführen in fremde Welten, lassen lachen, staunen und weinen, versetzen in Spannung und unterhalten, sie beflügeln, belehren und informieren. Anders als beim Film kann jeder seine eigene Geschwindigkeit bestimmen und eigene Bilder im Kopf entwickeln. Wer das Glück hatte, schon als Kind das Tor zum Land des Leseabenteuers geöffnet zu bekommen, möchte auf Pippi Langstrumpf, die kleine Hexe, die Abenteuer der TKKG-Bande, auf Jim Knopf und die wilde 13, die Märchen von Grimm und Andersen, auf die Sachbücher von „Was ist was? oder auf die Geschichten der Kinderbibel niemals mehr verzichten. Bücher sind ein unverlierbarer Schatz. Wobei sich gute Kinder- und Jugendbücher dadurch auszeichnen, dass auch Erwachsene sie noch mit Gewinn lesen.

Keine Lust auf Lesen?

„Lieber barfuß als ohne Buch“, sagen die Isländer. Allerdings scheinen Kinder und Jugendliche von heute die Lust am „guten, alten Buch“ zu verlieren – und das, obwohl das Angebot nie zuvor so groß war. „Immer weniger Kinder lesen außerhalb der Schule einfach zu ihrem Vergnügen“, bedauert Christine Kranz, Referentin für Leseförderung bei der Stiftung Lesen. 28 Prozent der in der KIM-Studie 2008 (KIM für Kinder und Medien) befragten Kinder lesen „nicht so gerne“, vier Prozent „gar nicht gerne“ und 17 Prozent gaben an, „nie“ zu lesen – drei Prozent mehr als noch zwei Jahre zuvor. Dabei nimmt die Lust am Lesen mit wachsendem Alter weiter ab: Im Rahmen der Pisa-Studie gaben 42 Prozent der 15-Jährigen an, nicht „zum Vergnügen“ zu lesen. Bei der Rangliste der Freizeitaktivitäten liegt das Lesen hinter Fernsehen, Telefonieren, Computer auf dem fünftletzten Platz. Wobei Jungen wesentlich weniger lesen als Mädchen. Da spielt es keine Rolle, dass Experten sich einig sind, dass Lesen zu den Basiskompetenzen für die Erschließung von Kultur überhaupt zählt.

Es ist nie zu früh für ein Buch

Der Hinweis darauf, dass mangelnde Lesefähigkeit die späteren beruflichen Aussichten gefährdet, ist da wenig hilfreich. „Wer zum Lesen motivieren will, muss die Lust am Lesen und an der Sprache wecken, und zwar schon von Geburt an“, empfiehlt Christine Kranz. Das erste Plastik-Bilderbuch für die Badewanne ist dazu genauso geeignet wie Kinderreime und Fingerspiele. „Wenn Kinder von Anfang an mit Büchern groß werden und das Vorlesen Teil des Familienalltages ist, entwickeln Kinder von sich aus einen Zugang zum Lesen und erlernen spielerisch eine der wichtigsten Schlüsselqualifikationen unserer modernen Wissens­gesellschaft“, heißt es.

„Jedes Kind sollte das Glück kennen, wenn Vater oder Mutter eine Geschichte vorlesen“, erklärt Elke Heidenreich. Ein Bilderbuch „lesen“ und dabei gemeinsam entdecken und be­nen­nen was zu sehen ist, das können und lieben schon Zweijährige. Denn es sichert ihnen die ungeteilte Aufmerksamkeit des Vorlesenden und vermittelt ganz nebenher kuscheligen Körperkontakt. Wo eine Geschichte zum Abendritual gehört, wird Lesen schon früh emotional positiv besetzt. Womöglich bleibt das auch so, wenn ältere Kinder noch eine halbe Stunde im Bett lesen dürfen.

Kinder sollten aber auch noch vorgelesen bekommen, wenn sie längst selbst lesen können. Denn anfangs ist das Buchstabieren oft so mühsam, dass sich Inhalt und Spannung des Buches nur mühsam erschließen. Sobald Kinder flüssig lesen, kann auch ein Rollentausch, bei dem die Kinder vorlesen und die Eltern zuhören, richtig Spaß machen.

Ansteckend gute Mehrteiler

„Kinder müssen beim Lesen auf den Geschmack kommen“, weiß Christine Kranz. Dabei müssen Bücher, Comics oder Zeitschriften ihrer Meinung nach gar nicht literarisch höchste Ansprüche erfüllen oder gar einen pädagogischen Zweck erfüllen. Hauptsache, Kinder lesen überhaupt! „Kinder greifen nicht gern zu Betroffenheitsliteratur, bei der die belehrende Intention aus jeder Zeile spricht“, so die Erfahrung von Christine Kranz. Gute Kinderliteratur zeichne sich dadurch aus, dass die Geschichte im Mittelpunkt steht – und Moral und Werte ganz nebenbei vermittelt werden, meint sie und verweist etwa auf Astrid Lindgrens Brüder Löwenherz.

Um Kinder mit „Büchern zu infizieren“, empfiehlt sie, Kindern mit Reihenromanen und Mehrteilern Appetit auf mehr zu machen. Lasen unsere Großeltern „Goldköpfchen“, so greifen Kinder heute zu „TKKG“ oder „Fünf Freunde“. Und Kinderbuchreihen wie „Das magische Baumhaus“ von Mary Pope Osborne oder Eoin Colfer und seine mit Witz und Schwung geschriebenen Reihen um den Jungen Artemis Fowl verlocken sogar Jungs zum Lesen.

Selbst die von Eltern oft verschmähten Comics vermitteln Lesespaß. Die humoristischen Abenteuercomics „Tim und Struppi“ oder die aus Japan stammenden Mangas, die von hinten nach vorn und von rechts nach links gelesen werden müssen, fördern die Konzentration und helfen, auch Kindern aus bildungsferneren Schichten, Zugang zum Lesen zu finden. „Natürlich gibt es auch Schund. Eltern sollten sich daher informieren, was ihre Kinder lesen“, so Christine Kranz. Viele Kinder und Jugendliche, die kaum oder nie zu einem Buch greifen, lesen zumindest Zeitschriften. „Benjamin“ ist eine wohltuend frische Monatszeitung für Kinder ab 5, der der Spagat gelingt, zu amüsieren und Werte zu vermitteln, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben. Zudem animiert sie die Kinder dazu, selbst aktiv zu werden. Für Kinder ab 7 gibt es „Kläx“ mit Comics, Bibelstorys, Detektivgeschichten, Juniorreporter unterwegs, Tierseiten, Poster, Rätsel: Natürlich gibt es auch ein vielfältiges „säkulares“ Angebot lesenswerter Kinderzeitschriften, wie „GEOlino“, „Flohkiste“, „Domino“ oder „Spoton“. Das Angebot zu erforschen, dürfte auch Erwachsenen Spaß machen. Einen Ãœberblick gibt es bei der Stiftung Lesen unter www.stiftunglesen.de.

Es gibt kaum einen Jugendlichen zwischen 10 und 15 Jahren, der „Bravo“, „Bravo Sport“ und „Bravo Girl“ nicht kennt. Da gibt es „Lebenshilfe“ bei pubertären Problemen, Insider-Berichte über Pop- und Film-Stars, Mode, Kosmetik und Sport. Eltern, die dieser Art professionalisierter Jugendkultur skeptisch gegenüber stehen, sollten statt Verbot und Naserümpfen das Gespräch über Inhalte suchen und Alternativen aufzeigen. Nachdem es auf dem christlichen Jugendzeitungsbereich ein Zeitschriftensterben gegeben hat, ist das nicht ganz einfach. Einen Versuch hat das Jugendmagazin „You“ gestartet mit Reportagen, Kreativideen, Sport und deutlichem Bezug zum Glauben: www.youmagazin.com.

Insgesamt sind gerade in der Pubertät Gelassenheit, Vertrauen und Dialog angesagt. Und wer weiß: Vielleicht trägt dazu auch das Gespräch darüber bei, was Eltern und Kinder gerade im Abenteuer Leseland erleben. Karin Vorländer

Zeitschriften für Kinder und Jugendliche

Die Auswahl an Zeitschriften für Kinder und Jugendliche ist groß und für Eltern oft unüberschaubar. Die Stiftung Lesen hat auf ihrer Internetseite empfehlenswerte Zeitschriften aufgelistet. Unter der Rubrik Leseempfehlung sind diese nach Altersgruppen aufgelistet und kurz beschrieben. Alle Titel tragen das Gütesiegel der Stiftung Lesen. Infos über Kinderzeitschriften und andere Medien gibt es auch beim Institut für angewandte Kindermedienforschung (Ifak) und bei Stiftung Lesen.


Vorlesetag

Bereits zum sechsten Mal findet am 13. November der bundesweite Vorlesetag statt. Unter www.wirlesenvor.de finden Sie eine Ãœbersicht über Veranstaltungen am Vorlesetag. Initiatoren des Vorlesetages sind „Die Zeit“ und Stiftung Lesen. LW