Stark gegen den Missbrauch

Wie Eltern ihre Kinder vor Übergriffen schützen können

Das momentane Bekanntwerden immer neuer Missbrauchsfälle an Schulen und Internaten wühlt auf und macht betroffen. Besorgte Eltern fragen sich, wie sie ihre Kinder vor sexuellem Missbrauch schützen können. Wie sollen sie bei einem Missbrauchsverdacht reagieren? Sozialpädagogin Anne Wohlert arbeitet in einer Anlauf- und Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt an Mädchen und Jungen. Hier im LW gibt sie Tipps und Anregungen.

Charakter schützt: Sexualstraftäter meiden meist selbstbewusste Kinder bei der Opfersuche.

Foto: TKK/hfr

Anne Wohlert kümmert sich um Kinder und Jugendliche, bei denen ein Verdacht auf sexuelle Gewalt besteht oder die sich in einer akuten Krisensituation befinden. Sie betreut zudem Eltern und nahe Bezugspersonen. Sie vermittelt auch in weiterführende Hilfsmaßnahmen, wenn dies nötig erscheint. Die Beratung ist anonym und vertraulich.

Eines ist ihr wichtig: „Kinder müssen schon früh lernen, dass es nichts Schlimmes ist, Grenzen zu setzen. Wenn sie es täglich in der Familie üben können, wächst das eigene Selbstvertrauen. Erwachsene müssen das „Nein' eines Kindes akzeptieren. Wenn ein Kind erfährt, dass sein „Nein' nichts gilt, ist das für die Persönlichkeitsentwicklung nicht förderlich“. Also: Kein Küsschen auf Kommando!

Aus der Befragung von Sexualstraftätern weiß man heute, dass Täter sich von selbstbewussten und starken Kindern, die emotional gut versorgt sind, eher abwenden. Selbstbewusste und mit einer gewissen Portion Misstrauen ausgestattete Kinder haben größere Chancen, sich vor sexuellen Übergriffen zu schützen, als unsichere und schüchterne Kinder.

Prävention sehr ernst nehmen

Die Mitarbeiterin der Anlaufstelle setzt daher bewusst auf Prävention. „Eltern haben die Verantwortung, ihre Kinder stark zu machen und ihnen Lebenskompetenzen mitzugeben.“ Wenn der Eindruck erweckt würde, die Kinder bräuchten nur lernen, sich besser zu schützen, beispielsweise durch die Teilnahme an einen Selbstverteidigungskurs, sei das zu kurz gedacht. Schließlich dürfe man nicht die ganze Last der Verantwortung auf die Schultern der Kinder legen. „Kein Kind kann sich alleine schützen!“, betont sie. Aus diesem Grund geht die Fachfrau in Schulen und Kindergärten, gestaltet mit Lehrkräften sowie Erzieherinnen Elternabende oder initiiert altersgemäße Projekte schon für die Allerkleinsten.

Dein Körper gehört dir

Kindgerechter Sexualunterricht ist ein weiterer Baustein in der Präventionsarbeit. „Kinder sollten alle Körperteile genau bezeichnen können. Aufgeklärte Kinder sind eher geschützt. „Dein Körper gehört dir!“ kann den Kindern nicht oft genug gesagt werden.“

Wenn die Beraterin mit Kindern arbeitet, spricht sie auch über Geheimnisse. Dass es gute und schlechte Geheimnisse gibt und man die schlechten den Eltern oder einer vertrauten Person ruhig anvertrauen kann. Täter arbeiten oft damit, dass sie sagen, alles sei ein Geheimnis und wenn das Kind es verrate, passiere der Familie etwas Schlimmes. Komische Gefühle zu benennen und zu ihnen stehen zu dürfen, ist für Mädchen und Jungen deshalb von enormer Bedeutung.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der größte Teil der missbrauchenden Personen aus dem familiären oder sozialen Umfeld stammt. Nur in seltenen Fällen vergeht sich „der große Unbekannte“ an einem Kind. Meist besteht bereits vorher eine besondere Zuneigung zum Täter. Umso schwerer fällt es den Opfern, offen über das Erlebte zu berichten. Sie fressen ihren Kummer in sich hinein und schweigen aus Scham und Angst. Persönlichkeitsveränderungen und sozialer Rückzug können die Folge sein.

Hilfe organisieren

Im Ernstfall Hilfe zu organisieren, ist für betroffene Kinder lebenswichtig. „Im Erziehungsalltag ist das eine Gratwanderung“, räumt die Beraterin ein. „Auf der einen Seite sagen wir den Kindern, geht nicht mit anderen mit, sprecht keine Fremden an, steigt nicht zu einem Unbekannten ins Auto. Auf der anderen Seite muss das Kind aber Kontakt zu Erwachsenen aufnehmen dürfen, wenn es Unterstützung braucht.“ Sie berichtet von einem zehnjährigen Mädchen, das in der Fußgängerzone von einem männlichen Jugendlichen dumm angemacht und provoziert wurde. Die Kleine überlegte kurz und rannte dann in ein Geschäft, um bei der Verkäuferin Hilfe zu suchen. „Solche konkreten Konfliktlösungsoptionen und Strategien zum Selbstschutz müssen Kinder kennen“, ist die Sozialpädagogin überzeugt.

Anne Wohlert rät außerdem, dass Eltern und Bezugspersonen Kinder nicht mit unzähligen Verhaltensmaßregeln belasten. Gut gemeinte Warnungen verlaufen erfahrungsgemäß schnell im Sande und flößten nur Angst ein. Vielmehr gehe es um eine grundsätzliche Erziehungshaltung, die Kinderseelen „stark für 's Leben“ macht. Dazu gehört, dass Eltern mit ihrem Nachwuchs beispielsweise Schreien und Treten für einen eventuellen Ernstfall üben. „Eine gute Portion Kratzbürstigkeit schadet Kindern nicht“, betont die Beraterin. Silke Bromm-Krieger

Was ist im Ernstfall zu tun?

  • Trauen Sie Ihren Gefühlen!
    Beobachten Sie das Mädchen oder den Jungen. Aber bedenken Sie: Jede Verhaltensänderung kann auch aufgrund anderer Erlebnisse auftreten.
  • Bleiben Sie ruhig!
    Ihre Panik oder Bestürzung würde das Kind nur belasten und zum Schweigen bringen.
  • Glauben Sie dem Kind oder der/dem Jugendlichen, wenn es von einer Missbrauchssituation erzählt! Die Erfahrung zeigt, dass sich Mädchen und Jungen sexuelle Ãœbergriffe nicht ausdenken.
  • Suchen Sie Infos und Hilfe für sich und das betroffene Mädchen oder den Jungen! Wenden Sie sich an die örtlichen Ämter für Familie oder an Beratungsstellen. Die Beratung ist dort kostenlos und auf Wunsch anonym. sbk

 

Hilfe und Beratung

Unter der Adresse www.hinsehen-handeln-helfen.de gibt es Infomaterial und Adressen örtlicher Beratungsstellen. Servicetelefon: 0180-1907050.

Unter der Adresse www.maedchen-in-hessen.de gibt es Adressen und Infos zur Beratung bei sexualisierter Gewalt an Mädchen und jungen Frauen.

Unter der Adresse www.wildwasser.de gibt es Hilfe für Mädchen und Frauen sowie örtliche Kontaktadressen.

Bundesweites Kinder- und Jugendtelefon: 0800/1110333.

Elterntelefon: 0800/1110550

Landwirtschaftliche Familienberatung Hessen: 06691-23008

Landwirtschaftliche Familienberatung Rheinland-Pfalz: 06321-576808. sbk/LW

 

Internet-Broschüre

Eine Broschüre zum Thema zum Download finden Sie unter der Adresse www.polizei-beratung.de, Unterverzeichnis Mediathek, dann Sexualdelikte, dann Sexueller Missbrauch an Kindern, dann „Broschüre zum Thema“ anklicken. Die empfehlenswerte Broschüre trägt den Titel „Wohin gehst du?“ – So schützen Sie Ihr Kind. sbk