Altersgerechtes Reitangebot für Senioren

Interessantes Einkommensstandbein für Pferdebetriebe

Pferdebegeisterte Senioren stellen eine viel versprechende Zielgruppe für Anbieter von Reitstunden dar. Welche Ansprüche sie an den Reitunterricht stellen und wie sich Pferdebetriebe darauf einstellen können, das beschreibt Pferdefachjournalistin Christine Lange im Folgenden.

Schön gemächlich: Im ruhigen Schritt und auf gelassenen Pferden lässt sich die Landschaft angstfrei genießen.

Foto: Christine Lange

Auch wenn Schlagworte wie „Altersarmut“ und „Wirtschaftskrise“ große Teile der Bevölkerung verunsichern, gibt es nach wie vor zahlreiche Senioren, die über ein ausreichendes Einkommen verfügen und sich für das Hobby Pferd interessieren. Ihre Wünsche an Pferdehaltung und Unterricht sind Herausforderung und Chance zugleich für alle Pferdebetriebe, die sich eine neue Klientel erschließen möchten.

Heute führen Menschen auch der höheren Altersstufen ein höchst aktives Leben nach dem Motto: Jeder ist so jung, wie er sich fühlt. Entscheidend sind Fitness und Kondition. Nicht wenige 60- bis 65-jährige Reitsport­einsteiger sind aufgrund sonstiger sportlicher Aktivitäten gelenkiger als 30-jährige „Schreibtischarbeiter“. Sie verfügen nicht unbedingt über mehr Geld, wie oft behauptet wird, gehen jedoch umsichtiger damit um. Der eigene Körper wird bewusster erlebt. Mehr Bewegung ohne erhöhtes Unfallrisiko und Freizeit mit hohem Erlebniswert sollen dem Leben neuen Inhalt verleihen. Senioren möchten Pferd und Natur ohne Zeitdruck und Angst genießen, im Stall ein zweites Zuhause finden und Kontakte pflegen. Sie wollen gut, aber meist nicht perfekt reiten und streben selten nach Wettkampf­erfolgen. Sie sind die idealen Freizeitreiter, denn Freizeitreiten kann die erhoffte Erlebnisvielfalt bieten – allerdings nur, wenn es die Bedürfnisse und Ansprüche dieser wachsenden Zielgruppe erfüllt.

Wunsch und Wirklichkeit

Seniorengruppen gehören zum Leistungsangebot etlicher Reitbetriebe. Stallbetreiber wissen: Der Senior braucht nicht motiviert zu werden; er sehnt sich seit langem nach dem „Naturerlebnis zu Pferd“. Dabei spielen Kompetenz und Gelassenheit, die der Reitlehrer beziehungsweise Rittführer ausstrahlt, eine weitaus größere Rolle als mögliche Turniererfolge.

Doch Unterrichtsgestaltung und Lehrpferde halten einem prüfenden Blick nicht überall Stand. Im Allgemeinen reitet der Senior in der gleichen 20 x 40 m-Reitbahn und auf demselben Lehrpferd wie der jugendliche Anfänger oder der Fortgeschrittene mit Turnierambitionen. Vielfach erhält (auch) er das Pferd gesattelt „in die Hand gedrückt“ und spult die gleichen Lektionen ab. Insgeheim ist er oft froh, dass sein Pferd nicht wie in der Stunde zuvor seinem Un- oder Ãœbermut mit ein paar Bocksprüngen oder Hakenschlagen quer durch die Halle Luft macht. Denn wo sich die 16-Jährige nach einem Sturz mit ein paar blauen Flecken aufrappelt, rückt für den Senior womöglich der Rettungswagen an.

Worauf achten?

Soll Reiten auch dem älteren Reiter Sicherheit plus Wohlgefühl vermitteln, müssen daher bauliche Ausstattung, Lehrpferde, Haltungsform, pädagogisches Konzept und ein paar weitere Komponenten „stimmen“.

Reitbahnen: Reiten lernt sich risiko- und damit angstärmer in kleineren Reitbahnen. So lässt sich zum Beispiel durch Breitband oder Metallpaneele das große Viereck auf übersichtliche 20 x 20 m reduzieren und darin sogar noch zusätzlich ein innerer Zirkel abstecken. Der verkleinerte Raum erlaubt dem Reitlehrer eine bessere Kontrolle über jedes einzelne Pferd. Er beugt dem gefürchteten Hakenschlagen, Durchgehen, Bocken und Steigen vor und bringt ihn näher an den Schüler. Einfriedungen auch nach innen schaffen „Reitstraßen“, auf denen sich der Anfänger auf seinen Sitz konzentrieren kann, während der Reitlehrer wie beim Longieren Gangart und Tempo bestimmt. Cavaletti und Kunststofftonnen erlauben Geschicklichkeitsübungen; eine Aufsitzhilfe ermöglicht bequemes, pferdeschonendes Auf- und Absitzen. Ein Holzpferd für Aufsitz- und Haltungsübungen verringert die Belastung der Lehrpferde.

Lehrpferde: Gelassenheit, Zuverlässigkeit und angenehme Bewegungen sind beim Lehrpferd für Senioren, die selten nach einem Reitabzeichen streben, höher zu bewerten als das Leistungsniveau. Wichtig ist die solide Grunderziehung, die auf leichtes Handhaben des Pferdes vom Boden aus sowie in Bahn und Gelände abzielt. Eher kleine bis höchstens mittelgroße und kalibrige Pferde flößen meist mehr Vertrauen ein als größere oder höher im Blut stehende Typen. Außerdem lassen sie sich bei eventuellen Bewegungseinschränkungen einfacher handhaben.

Ausrüstung: Sicher und ermüdungsfrei will der Reiter sitzen, vor allem wenn er bereits unter Verschleißerscheinungen an Wirbelsäule und Gelenken leidet. Das setzt einen Sattel mit „Sitzmulde“ (wie Western-, Vielseitigkeits- oder Stocksattel) und Sicherheitssteigbügel mit breiter, rutschfester Trittfläche voraus. Auch die „Haftfähigkeit“ des Sattelmaterials (WinTec, Rauleder) beeinflusst das Sicherheitsgefühl mit.

Haltungsform: Gruppenauslaufhaltung statt Einzelbox sorgt für ein gutes Sozialverhalten des Pferdes und mehr Ausgeglichenheit unterm Reiter. Langfristig möchten die meisten Senioren nicht in der Bahn reiten. Sie wollen Natur erleben und begeistern sich besonders fürs Wanderreiten. Ausschließlich in der Box gehaltene Pferde sind hierfür selten geeignet und stellen ein höheres Sicherheitsrisiko dar.

Unterrichtsgestaltung: Erlebnisorientiert und sicher wünscht sich der Senior den Unterricht. So gehören folgende Elemente in den Seniorenunterricht:

  • Kennenlernen des Pferdes und seiner Verhaltensweisen,
  • Umgang mit dem Pferd im Alltag,
  • Trocken- und Balanceübungen sowie vorbereitende Gymnastik,
  • Sitzschulung mit Visualisierungen auf dem gesattelten, geführten oder longierten Pferd,
  • angstfreies Reiten lernen auf der verkleinerten Bahn und im Zirkel, zum Beispiel unter Zuhilfenahme von Hilfsmitteln (siehe oben),
  • frühes Heranführen ans Geländereiten (Schrittritte auf geführtem Pferd oder Handpferd),
  • erste Ausritte im Schritt, später in allen Gangarten nur mit Reitlehrer oder in der Kleinstgruppe,
  • kleine Wanderritte.

Erklärung statt Anweisung

Mehr als andere Altersgruppen bewegt den Senior Fragen nach dem Wie und Warum. Während Jugendliche sich mit Anweisungen zufrieden geben, suchen gereifte Menschen nach Begründungen. Darüber hinaus muss der Reitpädagoge nicht bloß auf Sitz und Hilfengebung achten, sondern Eventualitäten berücksichtigen wie möglicherweise

  • eingeschränkte Sehfähigkeit,
  • nachlassendes Hörvermögen,
  • Verschleißerscheinungen an Wirbelsäule (Hals, Rücken) und Gelenken (Hüfte, Knie, Ellbogen, Finger),
  • eine geringere Beweglichkeit,
  • vermindertes Balancegefühl,
  • weniger Ausdauer (Herz-Kreislauf),
  • weniger Kraft (Muskulatur),
  • Ungeschicklichkeit durch wenig Ãœbung (Gefahr für Sehnen und Bänder),
  • Koordinationsschwächen,
  • verminderte Knochendichte.

Beim Aufbau des Unterrichtskonzepts empfiehlt sich die Zusammenarbeit mit einem Krankengymnasten oder Physiotherapeuten, der selbst reiten sollte. Reitlehrer, Reiter und Krankengymnast können sehr produktiv zusammenwirken. So kann ein Reiter mit Handicap gegenüber dem Physiotherapeuten ganz klar seine Schwierigkeiten formulieren. Gemeinsam können sie hinterfragen, was genau er verbessern will, um die Aufgaben gezielt in Angriff nehmen zu können. Eine gute Orientierungshilfe bieten auch die Konzepte des Therapeutischen Reitens.

Ungeahnte Stärken

Anders als jüngere Reitschüler überraschen Senioren ihre Reitlehrer und Rittführer durch ungeahnte Stärken wie hohe Motivation, viel Geduld, Verantwortungsgefühl, Zuverlässigkeit und eine hohe Lernbereitschaft. Senioren sind mehr als andere Altersstufen bereit zuzuhören, bei jedoch etwas verminderter Umsetzung des Gehörten in körperliche Prozesse. Ihr abstraktes Denkvermögen ist stark ausgeprägt bei gleichzeitiger Abhängigkeit von praktischer Einweisung. Senioren sind weitaus toleranter gegenüber Schwächeren als Jugendliche. Sie sind sowohl hilfsbereit als auch fähig, Hilfe anzunehmen. Ihre hohe Kompromissbereitschaft geht jedoch auch einher mit einem hohen Anspruch an pädagogisches Feingefühl. Kasernenhofton ist fehl am Platze. Auch Preis und Leistung werden realistisch gegeneinander abgewogen. Das höhere Risikobewusstsein mindert die Risikobereitschaft, die Angst vor Unfällen und langwierigen Folgen wird thematisiert und nicht tabuisiert.

Anforderungen an die Reitanlage

Die Komponenten Sicherheit und Wohlgefühl müssen zum Leitgedanken bei der Ausstattung von Stall und Hof sein. Dabei ist bereits die Zuwegung zu allen Örtlichkeiten (Stallungen, Reitbahnen, Sattel- und Futterkammer, WC, Parkplatz und so weiter) wichtig. Die Wege müssen zu allen Jahreszeiten sauber und sicher (keine Stolper- oder Rutschgefahr) begehbar und daher auch zu allen Tageszeiten (durch Tages- oder Kunstlicht) beleuchtet sein.

Ställe und Ausläufe werden gründlich auf mögliche Unfallquellen geprüft und ermöglichen überall ein sicheres Handling des Pferdes. Der Senior muss leichten Zugriff auf die Ausrüstungsteile haben (die Sattelhalter dürfen zum Beispiel nicht zu hoch an der Wand angebracht sein). Dass hygienisch einwandfreie sanitäre Anlagen vorhanden sind, ist eine Selbstverständlichkeit. Auch eine komplette Erste-Hilfe-Ausrüstung muss vorhanden sein, ebenso sollte sichergestellt sein, dass über ein Nottelefon jederzeit Krankenwagen oder Rettungsdienst herbei gerufen werden können.

Gepflegtes Ambiente

Der höhere Anspruch des Seniors spiegelt sich in dem Wunsch nach einem angemessenen Ambiente wider. Die Reitanlage darf ruhig klein sein; doch nur wenn sie eine gepflegte und möglichst auch „grüne“ Oase ist, gewinnt der Aufenthalt hier Erholungswert. Ein behaglicher Raum für theoretischen Unterricht und Geselligkeit ist unverzichtbar. Der Senior möchte meist nach dem Reiten nicht sofort heim, sondern noch mit Gleichgesinnten plaudern oder die Pferde beobachten. Das setzt zum einen Sitzmöglichkeiten innen und außen (im Sommer draußen schattig, drinnen im Winter gut beheizt) und den Zugriff auf Heiß- und Kaltgetränke voraus.

Neues Betriebsstandbein

Um die Zielgruppe „Senioren“ zu erreichen, ist es angeraten:

  • Dem eigenen Betrieb durch eine durchdachte Angebotspalette ein unverwechselbares Profil zu verleihen.
  • Vorhandene Kunden als Sympathieträger für den eigenen Betrieb zu nutzen.
  • Durch durchdachte Werbemaßnahmen die neue Zielgruppe für den Betrieb zu interessieren.
  • Durch ein seriöses Preis-Leistungsverhältnis die Zufriedenheit der neuen Zielgruppe zu sichern.

Der Kapitalbedarf, der mit einer Umgestaltung der Reitbahnen verbunden ist, ist eher gering. Metallpaneele als mobile Abgrenzungen lassen sich beispielsweise auch an vielen anderen Stellen der Reitanlage verwenden (für Gastboxen, im Quarantänebereich, für Ausläufe, mobile Paddocks oder Weideparzellen zum Eingewöhnen neuer Pferde). Größer muss die Bereitschaft der Reitbetriebe zum Umdenken sein: Pferde müssen artgerecht gehalten und zu Gelassenheit erzogen, Unterrichtsstunden nach dem Modulprinzip zu Blöcken oder Kursen umgewandelt werden, auch in Bezug auf das Abrechnungssystem. Dabei gibt es keine „Reit-Stunde“, sondern einen Unterrichtsblock von mindestens 90, besser 120 Minuten mit Pausen. Dieser Block setzt sich aus den oben genannten verschiedenen theoretischen und praktischen Lerninhalten zusammen.