Landwirtschaft am Limit?
Julia Klöckner stellt sich in Gießen der Diskussion
Derzeit trifft Julia Klöckner, egal wo sie hinkommt, auf Demonstranten. So auch am vergangenen Montagabend in Gießen. An der dortigen Universität hielt die Bundeslandwirtschaftsministerin einen Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Landwirtschaft am Limit, Welternährung im Wandel“. Noch am Morgen saß sie in Berlin in den Beratungen der CDU-Parteigremien über den angekündigten Rücktritt von Annegret Kramp-Karrenbauer als Parteichefin. Anschließend wurde sie wegen des Orkans „Sabine“ mit dem Auto – Flugzeuge flogen nicht – nach Mittelhessen chauffiert.
Vor dem Unigebäude wurde sie dann wiederum von Bauern empfangen, die eine fachlich fundierte Gesetzgebung bei Düngung und Insektenschutz sowie mehr Anerkennung für ihre Leistungen einforderten und auf der anderen Seite von Menschen, die gegen „Massentierhaltung“ und „Vergiftung“ von Wasser und Boden demonstrierten. Auf den Straßen in Gießen fuhren unterdessen mehrere Hundert Schlepper in einem Korso.Drinnen wurde sie freundlich begrüßt vom Unipräsidenten Joybrato Mukherjee und von vielen Landwirten, darunter Vertreter vom Bauernverband und der Initiative Land schafft Verbindung. Klöckner stellte fest, dass die Proteste ein Spiegelbild der sich stark gewandelten Gesellschaft seien. Ihr sei es wichtig, sich der Diskussion in persönlicher Begegnung zu stellen. Gleichwohl wandte sie sich gegen eine moralische Überhöhung bei den Forderungen, die die Gesellschaft auseinanderbringe. „Wir kommen nicht voran, wenn wir unversöhnlich gegenüberstehen.“ Damit reagierte Klöckner zunächst auf Zwischenrufe. Mitten im Vortrag dann standen Aktivisten einer Tierrechtsgruppe an verschiedenen Stellen des Auditoriums mit ihren Plakaten auf und unterbrachen die Veranstaltung mit lauter Musik und Gesängen für etwa zehn Minuten. Der Ministerin machten sie unter anderem die Vorhaltung, Tierquälerei zu unterstützen. Die Ministerin entgegnete, dass die Protestanten keine andere Meinung zulassen wollten und sich über die vielen Zuhörer stellten, die den Vortrag verfolgen wollten.
Landwirtschaft wichtigste Branche
Während die Ministerin souverän mit der Situation umging und auch später sehr fundierte Antworten auf Fragen des Auditoriums gab, geriet ihr Vortrag, der um Digitalisierung, Lebensmittelverschwendung, Nachhaltigkeit kursierte, etwas sprunghaft. Gleichwohl stellte sie heraus, dass sie die Landwirtschaft als wichtigste Branche betrachtet, „denn sie ernährt uns.“ Das sei gerade im Dürresommer 2018 deutlich geworden. Die Bauern hätten deutlich weniger geerntet, und doch seien die Lebensmittelregale voll gewesen.

Foto: Thomas Wißner
Die Betriebe bei Veränderungen mitnehmen
In den Fragerunden verteidigte die Ministerin die Vorschläge der Bundesregierung für eine neue Verordnung zur Sauenhaltung gegenüber der scharfen Kritik einer Tierärztin im Auditorium. Die Aufenthaltsdauer der Sauen in Kastenständen werde deutlich reduziert. Schon diese Änderung werde zu großen Belastungen der Betriebe führen. Aber auch die Landwirte müssten „mitgenommen“ werden. Das gleiche gelte bei der Eierproduktion. Deutschland sei das erste Land, das das Töten männlicher Küken abschaffe, allerdings im Rahmen einer Vereinbarung mit der Branche. Denn es nütze nichts, wenn hierzulande Standards erhöht und anschließend die Produkte aus den Ausland importiert würden, sagte Klöckner. Auch die Ferkelkastration werde künftig in Deutschland den höchsten Standard haben. „Wir müssen bei den Standards gemeinsam mit der Landwirtschaft gehen“, so ihre Überzeugung. Bei der Diskussion um die Düngeverordnung wies die Ministerin darauf hin, dass die Länder auf eine Binnendifferenzierung der roten Gebiete verpflichtet und auf eine Überprüfung der Messstellen verpflichtet werden.
Im Übrigen finde sie es gut, dass die Bauern und vor allem viele junge Landwirtinnen und Landwirte auf die Straße gingen, um auf ihre Belange aufmerksam zu machen, sagte die Ministerin. Bei den Bauern hat Julia Klöckner wohl in der letzten Zeit einige Sympathien hinzugewonnen. Von einer Vertreterin der Initiative LsV bekam sie eine regelrechte Zuneigungserklärung: „Sagen Sie, wie wir Ihnen helfen können, wir wollen Sie unterstützen.
CM – LW 7/2020