Protestgesellschaft

Proteste gegen Baumaßnahmen sind mittlerweile zu einem Massenphänomen in Deutschland geworden. Eine Bürgerinitiative wird heute nicht mehr mit Querulantentum in Verbindung gebracht, sondern ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, um Interessen, auch ganz persönliche, zu vertreten. Die Leute sind selbstbewusster gegenüber Behörden und Autoritäten geworden, und jeder verfügt dank Internet über ein mehr oder weniger fundiertes Wissen und kann mitreden.

Wurde früher vor allem gegen Großprojekte wie Atomkraftwerke und -endlager protestiert, so stehen heute zunehmend auch kleine Vorhaben im Visier der Proteste. In der Landwirtschaft erlebt man dies mit Stallbauten, hinzu kommen seit geraumer Zeit Bürgerinitiativen gegen Bio­gasanlagen. Hierbei wird deutlich, dass den meisten Protestlern das Hemd näher ist als der Rock. Drei Viertel der Deutschen wollen laut Umfragen gerne Ökostrom aus erneuerbaren Energien – aber offensichtlich keine Erzeugung in der Nachbarschaft.

Bei den Protesten wird zwar noch mit vorgeschobenen Umweltaspekten argumentiert, immer unverhohlener aber kommt zum Ausdruck, dass man einfach seine Ruhe haben will oder um den Wertverlust seiner Immobilie durch vermeintlichen Lärm oder Gerüche besorgt ist. So kommt es, dass schon die Ankündigung eines Vorhabens Proteste auslöst, bevor eine Prüfung der tatsächlichen Belastungen stattgefunden hat.

Immer wieder treten Wortführer auf, die extra aufs Land gezogen sind, um von niemandem gestört zu werden. Sie sind oft wirtschaftlich abgesichert, Wachstum und Wertschöpfung interessiert sie nicht, Strom kommt schließlich aus der Steckdose. Gegen diese wachsende Grundhaltung ist nur schwer anzukämpfen, vielleicht erst, wenn das Licht ausgeht.

Cornelius Mohr