Sag mir, wo die Blumen sind

In den letzten Wochen machen wieder einmal die Prophezeiungen vom „stummen Frühling“ die Runde und landauf, landab wird in den Medien vom dramatischen Rückgang der Vogelbestände berichtet. Und tatsächlich sind viele Arten der Feldflur stark zurückgegangen – und die Schul­di­gen auch bereits gefunden: Die Landwirte und deren Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Betrachtet man aber die Entwicklung über die letzten Jahrzehnte, kann man feststellen, dass einerseits die Landwirtschaft bei uns in den Siebzigern und Achtzigern intensiver und weniger ökologisiert betrieben wurde. Andererseits fanden Fasan, Lerche, Kiebitz und Rebhuhn offenbar ausreichend Lebensraum und Nahrung vor, denn sie konnten zahlreich in der Landschaft angetroffen werden. Heute sind sie aus vielen Landstrichen verschwunden, obwohl diese ausreichend mit Hecken, Rand- und Blühstreifen sowie extra angelegten Lerchenfenstern ausgestattet sind – es kann also nicht nur an den Bauern liegen.

Gerade die Bodenbrüter fallen zuhauf freilaufenden Hunden und Katzen zum Opfer oder werden vom Ansturm der Freizeitgesellschaft, von Geocachern, Mountainbikern oder Trekking-Begeisterten, aus ihren Brutrevieren vertrieben. Hinzu kommen die hohen Bestände von Fuchs und Wildschwein, die sich ebenfalls gerne über die Nester hermachen. Andere Arten, die als Indikator eines gesunden Naturhaushaltes angesehen werden wie etwa die Störche, entwickeln sich prächtig, aber die brüten auch hoch oben auf Masten oder Kirchtürmen. Als weitere Ursache für den Rückgang der Vogelbestände gilt der stark gesunkene Bestand an Insekten. Auch hier muss man ge­nauer hinsehen. Felder zur Nahrungsmittelproduktion sind keine Ökosysteme zur Vermehrung von Käfern, Läusen und Faltern. Unzählige Insekten finden aber den Tod, weil sie in nachts hell erleuchteten Regionen die Orientierung verlieren, oder sie fallen dem rund um die Uhr allgegenwärtigen Straßenverkehr zum Opfer. Der weiterhin hohe Landfraß und durchgestylte Gärten tun ihr Übriges. Daher sei allen, die zu Recht über die Verarmung unserer Natur klagen, gesagt: Wir alle tragen die Verantwortung und nicht nur die anderen.

Karsten Becker – LW 21/2017