Spielerisch die Landwirtschaft begreifen
Lernort Bauernhof: „Hier machen Kinder Erfahrungen, die nicht zu ihrem LeÂbensÂalltag gehören“
Das Projekt „Lernort Bauernhof“ gibt es in Rheinland-Pfalz seit 2009. Astrid Steuerwald-Ludwig aus dem pfälzischen Stetten hat bereits ein Jahr zuvor in eigener Verantwortung Kindern, Erziehern und Lehrern des Kindergartens und der Grundschule im Ort einen Besuch auf ihrem Hof angeboten. AgrarjournalisÂtin Dagmar Hofnagel war für das LW auf dem Betrieb und hat dabei erfahren, wie den kleinen und großen Besuchern die Landwirtschaft nähergebracht wird.
Begonnen hat Astrid Steuerwald-Ludwig mit ihrer Idee zunächst ohne ein ausgearbeitetes Konzept. Ihre eigenen drei Kinder waren Antrieb genug, anderen Kindern, aber auch Erwachsenen, die Landwirtschaft näherzubringen. „Auch Erwachsene kennen manchmal nicht den Zusammenhang, dass Kühe Kälber bekommen müssen, um Milch geben zu können“, ist ihre Erfahrung.2008 erfuhr sie von der Bundesarbeitsgemeinschaft „Lernort Bauernhof“. Einmal im Jahr treffen sich dort die Mitglieder aus allen Bundesländern Deutschlands in Altenkirchen im Westerwald. Es gibt Möglichkeiten der Fortbildung und des Austausches. Nachdem die engagierte Stettenerin ihre erste Fortbildung in Altenkirchen absolviert hatte und Mitglied im Bundesverband wurde, ist sie aktiv mit Flyern in Schulen ihrer näheren und weiteren Umgebung gegangen und hat ihr Programm vorgestellt. Wichtig waren dabei die Informationen für die Lehrer. Davon ist auch heute noch abhängig, ob die Klassen zu ihr kommen können. „Die Reaktionen der Lehrer und Schulen sind unterschiedlich. Aber wenn ich einen Lehrer von meinem Konzept überzeugen kann, dann kommen sie häufig mit ihren Klassen wieder“, so die Bäuerin.
Mittlerweile besuchen auch Gruppen weiterführender Schulen aus einem Umkreis von etwa 20 Kilometern ihren Hof. Astrid Steuerwald-Ludwig stimmt ihr Programm auf das Alter der Kinder ab. „Auch Lehrer können bei mir noch etwas lernen“, schmunzelt sie.
Eigenes Programm entwickelt
Zunächst holte sich die gelernte Vermessungstechnikerin Anregungen bei Kollegen für die Gestaltung eines Besuchs von Klassen. Mittlerweile hat sie ihr eigenes Programm entwickelt, zugeschnitten auf ihren Hof. Den roten Faden für den Besuch stellt ihr täglicher Arbeitsablauf dar. Das Melken bildet dabei den ersÂten Schwerpunkt. Sie erklärt den Kinder, warum die Kuh Milch gibt und für wen. Die Kinder dürfen das Melkzeug bei laufendem Betrieb anfassen und eigene Erfahrungen damit machen. Astrid Steuerwald-Ludwig erzählt, dass die Milch jeden zweiten Tag abgeholt wird, und erklärt die Produkte, die daraus hergestellt werden. Zum besseren Verständnis stellt sie am Vorabend des Besuches eine Portion Milch zur Seite und erklärt den Gästen am nächsten Tag, was aus dem abgesetzten Rahm produziert wird. Auch lässt sie die Kinder ein Glas mit Milch und Rahm so lange schütteln bis ein Kloß Butter entsteht.
Infos über Aufzucht und Fütterung
Die Stationen vom Kälbchen zur Kuh gehören zu ihren Ausführungen genauso wie die Fütterung der Tiere. Dabei dürfen die Kinder die Tiere streicheln, sich von der rauen Zunge der Kälbchen überraschen lassen und über Fortpflanzung und die Arbeit des Besamungstechnikers etwas erfahren. Diese Thematik stellt sie natürlich altersgerecht dar, und das eine oder andere Gekicher aus der Runde der Kinder ist dabei sicher.
Im Zusammenhang mit der Fütterung erklärt Astrid Steuerwald-Ludwig im Fahrsilo wie Silage hergestellt wird. Die Kinder wiegen die Menge Futter ab, die eine Kuh pro Tag frisst.
Nach den vielen Informationen gibt es eine Pause. „MeisÂtens bringen sich die Kinder etwas zu essen mit, sie können bei mir aber auch ein Frühstück bekommen.“ Brezel, Quark, Gemüsesticks, Äpfel und natürlich Milch gehören dann dazu. Milch und Kakao bekommen die Kinder bei jedem Besuch angeboten. Die Pause findet auf der Wiese statt. Wenn es regnet, darf sich die Gruppe auf Strohballen im Stall ausruhen und stärken.
Alte Rassen kennenlernen
Nach der Erholung geht es weiter auf dem Hof. Die Gruppe besucht die Schafe und Ziegen auf der Weide. Hier stehen Vertreter alter Rassen wie das Coburger Fuchsschaf. Däumeline lässt sich gerne kraulen und der Nachwuchs Jeremias tobt zwischen den Kindern herum. Auch Gänsen und Enten wird ein Besuch abgestattet. Wer ganz mutig ist, darf Winnetou, den kastrierten Vertreter des Schwäbisch-Hallischen Landschweins im Stall streicheln und sich aus den warmen Nüstern von Argos, dem alten Reitpferd, beschnauben lassen. Mit Grundschulkindern werden in diesem Zusammenhang die Bezeichnungen in der Tierfamilie gelernt. Die Kleinen dürfen einfach nur die Erfahrung mit den Tieren aus der Nähe machen und sie streicheln oder einfach nur berühren. „Hier machen die Kinder Erfahrungen, die nicht zu ihrem LeÂbensÂalltag gehören“, weiß Astrid Steuermann-Ludwig. Einmal hat sie ein Kind beim Frühstück auf der Wiese gefragt, ob man denn überhaupt im Freien essen könne. „Allein dieser Satz hat mich für meine Bemühungen entschädigt“, sagt sie.
Vom Bilderrätsel bis zum Melken an der Holzkuh
Zum Schluss des Besuchs durchlaufen die Kinder fünf Stationen, die das Erlebte und Gelernte ein wenig abfragen sollen. Hier hat die engagierte Landwirtin auch wieder ihre eigenen Ideen entwickelt. Es gibt Bilderrätsel, auf denen gesehene Gegenstände aus dem Stall erkannt werden sollen. In Fühlkisten dürfen die Kinder ein Kuhhorn oder einen Nuckel vom NuckelÂeimer für die Kälber ertasten, ohne die Dinge zu sehen. Beim Geruchsmemory hat die 39-Jährige mit viel Gespür für pädagogische Fragen in jeweils zwei Dosen denselben Geruch von beispielsweise Heu oder Silage gesteckt. Am Geschmackstisch sind Naturjoghurt, Quark und Kaffeesahne zu erkennen. Zuletzt dürfen sich die Kinder an der Holzkuh im Melken üben. Mit älteren Kindern veranstaltet sie daraus auch gerne einen kleinen Wettbewerb.
Für Kindergartenkinder gibt es in Stetten ein kleines Programm. Dazu gehört unter anderem, dass sie Eier aus den Nestern von den Hühnern nehmen dürfen.
Fünf Euro bekommt Astrid Steuerwald-Ludwig pro Kind und Vormittag für ihre Erklärungen. Mit Frühstück kosÂtet der Besuch 7,50 Euro. „Ich habe gelernt, dass meine Arbeit etwas wert ist und dass ich dafür auch Geld nehmen kann“, erklärt sie. Zusätzlich gibt es pro Besuch einen Zuschuss vom Land in Höhe von 100 Euro. In ihrer Anfangszeit hat sie diese Aufgabe ehrenamtlich angeboten.
Kartoffeln selber ernten
Auch zum Thema Kartoffel gibt es Veranstaltungen in Stetten. In der Regel kommen die Gruppen zur Ernte in den Donnersbergkreis. Zunächst können die Kinder die Kartoffeln mit den Händen aus der Erde holen. Später dürfen sie auch auf der Rodemaschine mitfahren. „Die Kinder sind dabei sehr vorsichtig mit ihren Händen an dem Laufband“, so Astrid Steuerwald-Ludwig. Zum Abschluss der Veranstaltung gibt es ein Kartoffelfeuer mit Kartoffeln und Quark.
Die engagierte Mutter könnte sich auch vorstellen, ein Projekt vom Legen der Kartoffeln bis zur Ernte anzubieten. An Projekttagen steht sie für Schulklassen bereits jetzt zur Verfügung. Hier hat sie schon einmal gemeinsam mit Lehrern und Schülern den Weg des Getreides von der Aussaat bis zur Ernte und der weiteren Verarbeitung erarbeitet.
Projekt mit behinderten Kindern
Ein spezielles Programm bietet sie für die Förderschule Rockenhausen. Kinder mit unterschiedlich schweren BeÂeinÂträchÂtigungen kommen einmal pro Woche nach Stetten. Hier geht es in erster Linie um Erfahrungen mit Sinneswahrnehmungen wie Riechen oder Streicheln. Auch hat Astrid Steuerwald-Ludwig mit den vier Kindern dieser Klasse ein Beet angelegt. Gemeinsam mit einem Betreuer pro Kind gehen sie an die Arbeit. Dieses Angebot wird von der Schule in Rockenhausen direkt bezahlt. Es gibt keine Unterstützung über das Projekt Lernort Bauernhof.Im Durchschnitt besuchen ein bis zwei Gruppen von Schülern verschiedener Schularten pro Monat den Betrieb in Stetten. Der Schwerpunkt liegt in der Zeit vor den Sommerferien. Häufig nutzen Lehrer die Gelegenheit, ein Thema in der Schule mit dem Besuch auf dem Betrieb abzurunden. Für die älteren Schüler wird der Begriff Nachhaltigkeit bereits stärker aufbereitet.
Als weiteres Einkommen im Betrieb würde Astrid Steuerwald-Ludwig ihre Tätigkeit im Moment nicht sehen. Das eingenommene Geld investiert sie in der Regel in Zubehör für die Veranstaltungen wie Geschirr oder andere Materialien. Erweitern kann sie ihr Angebot nicht, da es zu viele andere Tätigkeiten für sie im Haushalt und auf dem Betrieb gibt, in dem sie voll mit arbeitet. Den Besuch der Kinder könnte man aber durchaus zu einem weiteren Standbein ausbauen. Auf anderen Betrieben wird das praktiziert. Wichtig ist der geborenen Stettenerin aber vor allem die Freude an dieser Tätigkeit gemeinsam mit den Kindern.
Betriebsspiegel
Familie Steuerwald-Ludwig in 67294 Stetten
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„Lernort Bauernhof“ in Rheinland-Pfalz Interessierte Betriebe in Rheinland-Pfalz können sich bei der Landwirtschaftskammer per E-Mail unter hermann.pratz@lwk-rlp.de zum Lernort-Bauernhof-Betrieb bewerben. Voraussetzungen sind, dass die Bewerber ein Konzept vorstellen, mit dem sie die Schulklassen empfangen wollen. Es findet eine jährlich verpflichtende Fortbildung statt. In der Regel kommt eine Kommission auf den Betrieb, um sich die Gegebenheiten vor Ort anzusehen. Vertreten sind bisher Ackerbaubetriebe und Viehhaltende Höfe genauso wie Obstbaubetriebe oder Weingüter, Schäfereien und Reiterhöfe. Weitere Informationen unter www.lernort-bauernhof.rlp.de und www.baglob.de. |
„Bauernhof als Klassenzimmer“ in Hessen In Hessen wurde die Initiative „Bauernhof als Klassenzimmer“ im Jahr 2000 vom Hessischen Ministerium für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz zusammen mit dem Hessischen Bauernverband und dem Hessischen Kultusministerium ins Leben gerufen. Ziel dieser Initiative ist es, Kindern und Jugendlichen die heimische Landwirtschaft, das Leben und Arbeiten in einem landwirtschaftlichen Betrieb, die Erzeugung unserer Lebensmittel und den Umgang mit Tieren auf einem Bauernhof zu vermitteln. Infos und Kontakte im Internet unter www.bauernhof-als-klassenzimmer.hessen.de. Im Netz sind derzeit rund 150 Betriebe gelistet, die „Bauernhof als Klassenzimmer“ anbieten. |