Tierärzte am Flughafen
AK Industrie-Landwirtschaft bei Europas größter Einfuhrkontrollstelle
Der Arbeitskreis Industrie-Landwirtschaft Hessen (AKIL) mit Sitz in Friedrichsdorf im Taunus hat vorige Woche für seine Mitglieder eine Vortrags- und Besichtigungsveranstaltung in Europas größter Einfuhrkontrollstelle am Flughafen in Frankfurt am Main ausgerichtet. Seit Öffnung des EU-Binnenmarktes im Jahr 1993 werden dort in der Tierärztlichen Grenzkontrollstelle Hessen (TGSH) Tiere, tierische Produkte und Lebensmittel aus der ganzen Welt bei der Einfuhr in die Europäische Union kontrolliert.
Am Frankfurter Flughafen werden jährlich circa 60 000 Sendungen von lebenden Tieren, tierischen Produkten und pflanzlichen Lebensmitteln untersucht. AKIL-Vorsitzender Dr. Hans-Theo Jachmann freute sich, die Aufgaben Europas größter Einfuhrkontrollstelle am FlughaÂfen Frankfurt/Main der TGSH mit ihrer „Animal Lounge“ zur Wahrung der VeteÂriÂnärÂhygieÂne und die Beschau des Pflanzenschutzdienstes Hessen im „Perishable Center“ in der Praxis verÂmittelt zu bekommen. Die Arbeitskreismitglieder erhielten dabei auch einen Einblick in die labortechnischen UntersuchunÂgen der Luftfrachten auf KrankheiÂten und Schädlinge.Drittländer-Einfuhrkontrolle
Die VorÂstellung der TierärztliÂchen Grenzkontrollstelle Hessen übernahmen deren Leiterin Dr. Christine Jöst und Dr. Sabine Pluskat von der TGSH. Mit der Einrichtung des europäischen Binnenmarktes im Jahr 1993 werden an der Grenzkontrollstelle Luffrachten mit Tieren oder Waren tierischer Herkunft aus einem Drittland, die über den Flughafen Frankfurt in die Europäische Gemeinschaft eingeführt werden, der Einfuhruntersuchung unterzogen. Die TGSH ist dem Landesbetrieb HesÂsisches Landeslabor zugeordnet, der seinen Hauptsitz in Gießen sowie Außenstellen in Kassel, Bad Hersfeld und Frankfurt hat. Das System in Hessen, dass die Einfuhrkontrollstelle dem Landeslabor zugeordnet ist, sei weltweit einmalig. Zugleich hält man dss Prinzip als vorteilhaft, da auf diese Weise eine genaue und zugleich straff orÂgaÂnisierÂte Kontrolle eingeführter ErzeugÂnisse „vom Acker bis zum Teller“ auf Basis vernetzter Daten zwischen den Landesbetrieben erfolge.
110 Mio. Tiere pro Jahr
An der TGSH arbeiten zurzeit 34 Tierärztinnen und Tierärzte im DreiÂschichtÂbetrieb, täglich von 6.30 Uhr bis 22 Uhr, sowie am Wochenende ab 7.30 Uhr. Weiter sind darin ein LebensmitÂtelchemiker, 16 technische AngeÂstellte und drei VerwaltungsÂanÂgestellte tätig. „Die Zahl der Tiere, die im Flughafenverkehr transportiert werden, steigt laufend an“, wie Dr. Christine Jöst erläuterte. Pro Jahr werden circa 110 Mio. Tiere aus der ganzen Welt von der TGSH untersucht. Dazu zählen allerdings allein circa 80 Mio. Zierfische. An Nutztieren waren es im Vorjahr rund 1 300 Pferde, 390 Rinder sowie 1 500 Schweine.
Bei Heimtieren sei der Artenumfang vor allem von aktuellen Kinofilmen abhängig. Als beispielsweise vor zehn Jahren der Kinofilm „Findet Nemo“ lief, seien plötzlich Tausende Clownfische eingeflogen worden. Ähnlich sei es dem aus GroßbritanniÂen stammenden Mops erganÂgen, der in Deutschland durch Loriot populär geworden sei.
Fit for Travel?
Die Aufgaben der TGSH am Frankfurter Flughafen entsprechen denen eines VeterinäramÂts. Dabei geht es um das Vermeiden der Einschleppung von Tierseuchen und um den Schutz von Tieren im Flugtransport. Landwirtschaftliche Nutztiere ebenso Haustiere wie Katzen oder HunÂde und nicht weniger Insekten wie Bienen dürfen aus Drittländern in die EU nur mit Gesundheitszeugnissen geliefert werden. Die Veterinärkontrolle erÂfolgt dazu in zwei Schritten. So müsÂsen bei tierischen Sendungen von der zuständigen Behörde im Ursprungsland der Lieferung die entsprechenden Dokumente zur Bescheinigung der Transporttauglichkeit „Fit for Travel“ ausgestellt und mitgeführt werden.
Dazu überprüft die Behörde zunächst die mitÂgeführten Gesundheitszeugnisse jeder eintreffenden Luftfracht auf die Vollständigkeit und auf Richtigkeit der Angaben. Liegen bereits Dokumentenfehler vor, kann beschlossen werden, dass das Tier zurückgesendet oder getötet wird. Dann erfolgt eine Sichtkontrolle durch die Tierärzte.
„Flaschenhals-Kontrolle“
Im Jahr 2006 kam die stichprobenartige Kontrolle von pflanzlichen Lebensmitteln hinzu. Dadurch soll sichergestellt werden, dass eingeführte Lebensmittel dem europäischen Gesundheits- und Hygienestandard entsprechen. Das Prinzip der „Flaschenhals-Kontrolle“ gilt auch für Durchfuhrsendungen, die aus einem Drittland kommen und über das Drehkreuz Frankfurt in ein anderes Land gelangen sollen.
Grundlage der Arbeit der TGSH sind das Gemeinschaftsrecht, das in deutsches Recht umÂgesetzt ist, und die nationale Gesetzgebung. Prinzipiell könne man die von der TGSH zu kontrollierenden Sendungen in folgende Kategorien einteilen, erläuterte Dr. Jöst: Lebende Tiere, die tierseuchenrechtlich überwacht werden. Die Tiere, angefangen vom Angelwurm bis zum Elefanten, müssten auch auf die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen überprüft werden, wozu beispielsweise das Prüfen der gewerblichen Transporteure gehöre, ob eine Tiertransportgenehmigung erteilt worden sei und diese vorliege.
Impfstoffe und Jagdtrophäen
Die zweite Kategorie der Waren werde eingeteilt in Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel. Bei den Nicht-Lebensmitteln machen Blut und Bluterzeugnisse (zum Beispiel Impfstoffe), sowie Jagdtrophäen, die überwieÂgend aus Afrika stammen, mit circa 90 t im Jahr die größte Gruppe aus. Im Vorjahr wurden 9 t LebendÂimpfstoffe, die überwiegend ans Paul-Ehrlich-Institut in Langen geliefert werden, sowie 2 t Sperma und Embyonen mit rund 1 100 Sendungen über Frankfurt eingeführt. Bei der Einfuhr von Tieren erfolgt eine 100-Prozent-Kontrolle, während bei Pflanzen etwa 2 Prozent der Einfuhren kontrolliert werden, war zu erfahren.
Beispiel Rinderkontrollen
Untersucht werden müssen die Tiere zum Beispiel auf Tierseuchen und Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können, wie Tollwut. Speziell bei Rindern wird beispielsweise nach Krankheiten gesucht, die auf dem Gebiet der EU nicht vorkommen und deren Einschleppung verhindert werden soll, wie die Rinderpest. Ebenso nach Krankheiten, die sich bei Ausbruch lauffeuerartig ausbreiten können, wie die Maul-und Klauenseuche oder solÂche, die durch staatliche Maßnahmen ausgemerzt werden sollen, wie die IBR-Krankheit (InÂfektiöse Bovine Rhinotracheitis).
Alle Kontrollen müssen zügig abgearbeitet werden, wie Dr. Sabine Pluskat im Anschluss bei der Führung durch das Kontrollzentrum Perishable Center für verderbliche Waren berichtete, um den reibungslosen Flugverkehr nicht zu stören. In zwölf unterschiedlich gekühlten Hallen mit insgesamt 9 000 Quadratmetern verbleibt dort die Luftfracht von tierischen und pflanzlichen Produkten. In der Regel stehen nur etwa drei bis vier Stunden für die KontrollÂarbeit zur Verfügung.
Pakete und Koffer
Nicht nur bei Tiertransporten und Frachtgütern besteht die Gefahr des Einschleppens von Krankheiten und Seuchen. Auch Postpakete werden auf Lebensmittel untersucht, die zuvor vom Zoll aussortiert worden sind. Zur Aufgabe der TGSH gehört ferner die Kontrolle der Koffer von Reisenden im Ankunftsbereich im Terminal eins.
Interessant ist, dass der Frankfurter Flughafen zu den bedeutendsten Fischeinfuhrhäfen zählt. Zwar kann er mit seinen jährlichen Einfuhrmengen von circa 8 500 t an Fischerzeugnissen mengenmäßig den Hochseefischereihäfen wie Hamburg und Bremerhaven nicht „das Wasser reichen.“ Jedoch hinsichtlich der Fischvielfalt. So werden über den Frankfurter Flughafen oft Delikatessen exotischer Fische aus allen Meeren eingeführt.
Christoph Kreuter erläuterte die Pflanzenbeschau des Pflanzenschutzdienstes Hessen mit Sitz in Wetzlar. Dieses ist eine Dienststelle des Regierungspräsidiums Gießen. Von den 18 Beschäftigten der Dienststelle am Frankfurter Flughafen wurden im vergangenen Jahr an sieben Tagen pro Woche jeweils von 6 bis 22 Uhr rund 23 000 Warensendungen kontrolliert. Schnittblumen machten mit knapp 11 000 Sendungen etwa die Hälfte der geprüften Waren aus. Das Labor zähle zu den modernÂsten in der Welt, weil darin binnen weniger Stunden Pflanzen auf circa 400 Pestizide untersucht werden können. Die Beanstandungsquote bei zuvor verdächtigten Chargen liegt derzeit bei rund 20 ProÂzent. Im Falle eiÂner Beanstandung hat der Lieferant die Kosten der Untersuchung zu tragen.Logistik und Behörden vernetzen
Die Mitarbeiter der Einfuhrkontrollstelle am Frankfurter Flughafen gaben auch einen Ausblick auf weitere Verbesserungsmöglichkeiten ihrer Kontroll- und Aufsichtspflicht. So haben uns nach Ansicht von Dr. Christine Jöst auf dem Gebiet der Luftfrachtkontrolle die Holländer als typische Handelsnation einiges voraus. Beispielsweise arbeiteten am FlugÂhafen Amsterdam die Kontrollbehörden mit demselben EDV-System, in dem auch die Kundendaten der LoÂgisÂtikunternehmen gepflegt werden. Durch diese FrachtÂinÂforÂmationen können StichproÂben gezielt ausÂgewählt werden; zum anderem braucht keine eigene Datenbank über die Kunden geführt werden.
Moe