Umgang mit Diabetes

Nachgefragt bei Dr. Ulrike Kreinhoff, Sektion Hessen der DGE

Diabetes ist eine ernstzunehmende chronische Stoffwechselerkrankung, die meist mit Übergewicht, einem ungesunden Essverhalten und Bewegungsmangel zusammenhängt. Das LW hat bei Dr. Ulrike Kreinhoff von der Sektion Hessen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) nachgefragt, wie man am besten mit der Stoffwechselerkrankung umgeht beziehungsweise sie verhütet.

LW: Was sollte man tun, wenn die Diagnose Diabetes vorliegt?

Dr. Ulrike Kreinhoff: Als Ers­tes: nicht in Panik verfallen! Diabetes mellitus ist eine häufig auftretende und chronische Stoffwechselerkrankung, bei der der Blutzuckerspiegel gestört ist, aber jeder einzelne kann selber etwas dagegen tun. Gerade zu Beginn der Erkrankung kann durch vollwertiges Essen und Trinken, kombiniert mit Bewegung und gleichzeitiger Gewichtsabnahme dies als alleinige Therapie ausreichen. Daher: Mit Mut selbst an Veränderungen arbeiten, damit die Lebensqualität lange erhalten bleibt!

LW: Man unterscheidet den Diabetes in zwei Typen. Was sind die Unterschiede?

Kreinhoff: Diabetes mellitus, im Volksmund häufig Zuckerkrankheit genannt, zeichnet sich durch dauerhaft erhöhte Blutzuckerwerte (Hypergly­kämien) aus. Etwa fünf Prozent der Diabetiker sind an Diabetes Typ I erkrankt, etwa 90 Prozent an Diabetes Typ II. Der entscheidende Unterschied: Bei Diabetes Typ I produziert die Bauchspeicheldrüse kein Insulin mehr. Insulin ist das Hormon, das den Blutzuckerwert senkt. Bei Diabetes Typ II ist anfangs noch genügend Insulin vorhanden, doch der Körper reagiert zunehmend unempfindlicher darauf. Besonders sprunghaft nimmt die Zahl der Diabetiker übrigens ab einem Alter von 40 Jahren zu.

LW: Woher weiß man, ob man zuckerkrank ist?

Kreinhoff: In Deutschland sind etwa 6,7 Mio. Menschen von einem bekannten oder einem unbekannten, das heißt bisher ärztlich noch nicht diagnostizierten, Diabetes mellitus betroffen. Häufige Anzeichen sind neben erhöhten Blutzuckerwerten übermäßiger Durst, der mit hohen Trinkmengen (5 bis 7 Litern) und häufigem Wasserlassen einhergeht, sowie ungewollter Gewichtsverlust und Müdigkeit, schlecht heilende Wunden. Diese Beschwerden entwickeln sich bei Diabetes mellitus Typ II oftmals schleichend und über einen längeren Zeitraum. Oft werden sie nicht wahrgenommen oder ignoriert. Daher gehen wir von einer enormen Dunkelziffer aus.

LW: Bekannt ist, dass der Typ-II-Diabetes meist mit Übergewicht, einer ungesunden Ernährung und Bewegungsmangel zusammenhängt. Man kann also der Stoffwechselerkrankung mit dem richtigen Essen und Trinken sowie Sport vorbeugen. Wie geht das?

Beim Süßen mit Stevia werden Kalorien gespart. Der Nachgeschmack ist gewöhnungsbedürftig.

Foto: imago images/McPhoto

Kreinhoff: Ja. Wir nennen das Lebensstil-Änderung! Ziel ist, die Blutzuckerkonzentration in den Normbereich zu bringen und zu halten und begleitende Risikofaktoren zu verhindern beziehungsweise zu verringern. In erster Linie ist es wichtig, Normalgewicht anzustreben, damit die Insulinmenge, die die Bauchspeicheldrüse noch bildet, wieder ausreicht. Dazu gehört mehr Bewegung, vor allem mehr Alltagsbewegung. Ein Schrittzähler könnte helfen, die notwendigen 10 000 Schritte pro Tag zu erreichen. Ruhig mal das Auto weiter weg parken, Treppen bevorzugen, den Einkauf auch mal zu Fuß oder per Fahrrad erledigen. „Energie verbrauchen!“, heißt die Zauberformel. Und dann heißt es: Lebensmittelauswahl verändern!

LW: Was bedeutet das?

Kreinhoff: Eine Diabeteskost gibt es schon lange nicht mehr. In einer vollwertigen Ernährung liefern Kohlenhydrate den Hauptteil der gesamten Nahrungsenergie. Kohlenhydrate stecken reichlich in Getreideprodukten wie Brot, Nudeln und Reis, Kartoffeln, Gemüse, Hülsenfrüchten und Obst. Am besten werden diese kohlenhydratreichen Lebensmittel gleichmäßig über den Tag verzehrt, in drei bis fünf Mahlzeiten, immer kleine Mengen. Wie stark und wie schnell diese Lebensmittel die Blutzuckerkonzentration steigen lassen, hängt unter anderem von ihrem Ballaststoffgehalt ab. Durch ballaststoffreiche Lebensmittel, zum Beispiel Vollkornprodukte, werden die Kohlenhydrate langsamer in den Körper aufgenommen. Wir sprechen davon, dass „sie ins Blut tropfen“. Es wird somit auch nur weniger Insulin benötigt. Also: Ballaststoffreich Essen, da sich dies positiv auf den Blutzuckerwert auswirkt. Gemüse, Hülsenfrüchte, frisches Obst und Vollkorngetreideprodukte bringen viele Ballaststoffe mit und helfen gleichzeitig durch ihre sättigende Wirkung, das Gewicht zu halten beziehungsweise zu senken.

LW: Welche Getränke sind für Diabetiker geeignet?

Kreinhoff: Richtig Trinken heißt, möglichst am besten ganz auf zuckerhaltige Getränke zu verzichten! Wir wissen heute, dass der Verzehr von zuckerhaltigen Getränken langfristig zu Diabetes führt. Hier „spritzt“ der Zucker direkt ins Blut, wird also unverzüglich vom Körper aufgenommen, sodass die Bauchspeicheldrüse sofort große Mengen an Insulin bereitstellen muss und damit auf Hochtouren arbeitet. Daher darauf achten, dass die Getränke vor allem aus Wasser bestehen (Trinkwasser, Mineralwasser, ungesüßter Tee) und keinen Zucker enthalten. Ob ein Diabetiker gesündigt hat, spiegelt sich am HbA1c-Wert wider. Dabei wird der Blutzucker (Glucose), der sich an den roten Blutfarbstoff „anheftet“, gemessen. Der HbA1c-Wert ist das Blutzuckergedächtnis. Er erfasst die durchschnittliche Blutzuckerkonzentration der letzten drei Monate und sollte unter 7 Prozent liegen.

LW: Müssen Diabetiker beim Essen und Trinken verzichten?

Kreinhoff: Andere, ungewohnte Lebensmittel, zum Beispiel Vollkornbrot, zu essen oder auch die Menge an Obst und Gemüse im täglichen Speiseplan zu erhöhen, kann dem einen oder anderen möglicherweise etwas schwerfallen. Es schmeckt nicht wie sonst, vielleicht weniger fettreich, ungewohnt. Aber diese Lebensmittel sind nährstoffreich und enthalten viel Wasser, füllen den Magen und machen satt. Zucker ist nicht verboten. Doch genießen Sie Zuckerreiches, zum Beispiel Kuchen, Nachtisch und auch mal ein Stück Schokolade. Dieses ist in kleinen Mengen und am besten im Rahmen von Mahlzeiten erlaubt, zum Beispiel Marmelade oder Honig auf Vollkornbrötchen. In Kombination mit Vollkorn hat man nicht nur den Genuss, sondern der Zucker wird langsamer ins Blut aufgenommen. Zuckerreiche Snacks zwischendurch führen dagegen zu erhöhten Blutzuckerwerten. Wichtig ist, am Ãœbergewicht anzusetzen! Das muss nicht Verzicht auf alles und jedes sein. Wesentlich dabei ist, zu schauen: Was hat mich „dick“ gemacht? Es gilt, neue Gewohnheiten einzuüben und diese dann in den Alltag zu übernehmen. So erhöht sich die Chance, das Gewicht langfristig zu halten. Bereits eine moderate Gewichtsabnahme von fünf bis zehn Prozent des Körpergewichtes verbessert bei Diabetes mellitus Typ II die Empfindlichkeit der Körperzellen gegen Insulin und damit die Blutzuckerwerte, sodass Medikamente überflüssig werden oder zumindest die benötigte Dosis sinkt.

LW: Macht es für Diabetiker Sinn, alternative Süßungsmittel einzusetzen, zum Beispiel Stevia?

Dr. oec. troph. Ulrike Kreinhoff.

Foto: privat

Kreinhoff: Süßstoffe sind in üblicher Dosierung nicht gesundheitsschädlich. Sie sind praktisch energiefrei und können unbedenklich als Süßungsmittel eingesetzt werden. Allerdings bleibt der Süßgeschmack jedes einzelnen dann auf einem ziemlich hohen Niveau. Besser ist es, nach und nach weniger süß schmecken zu wollen. Dann werden auch unbewusst weniger süßhaltige Lebensmittel gegessen und auch der Süßhunger lässt nach. Wenn hohe Mengen Zucker gegessen werden, bleibt der Süßgeschmack weit oben, man mag nur süß essen. Wird langsam immer weniger Zucker zugeführt, geht der Süßgeschmack auch mit weniger Süßem.

Lebensmittel mit Stevia sind zwar nicht ganz zuckerfrei, sparen aber ein Viertel bis die Hälfte an Kalorien ein. Das hat Stiftung Warentest herausgefunden. In einem aufwendigen chemischen Verfahren werden aus den Stevia­blättern die süßen Inhaltsstoffe gewonnen. Diese Inhaltsstoffe heißen Stevioglykoside und können als Zusatzstoff (E 960) seit Ende 2011 in bestimmen Lebensmitteln zugesetzt werden. Da das kalorienfreie Stevia eine etwa 300-mal höhere Süßkraft als Haushaltszucker hat, ist daher weniger Zucker für die Verarbeitung von „süßen“ Lebensmitteln notwendig. Damit enthalten diese Lebensmittel weniger Kalorien, trotz hoher Süßkraft. Der Geschmack dieser Produkte ist allerdings gewöhnungsbedürftig; sie schmecken nicht so intensiv süß und auch weniger aromatisch. Häufig hinterlassen sie einen leicht bitteren Nachgeschmack und ein stumpfes Gefühl auf der Zunge.

LW: Diabetiker rechnen mit Broteinheiten. Warum?

Kreinhoff: Das Prinzip der Brot- oder Kohlenhydrateinheiten dient dem Abschätzen der Kohlenhydratportionen einer Mahlzeit. Eine Broteinheit (BE) oder Kohlenhydratportion (KHP) entspricht dabei 10 bis 12 g Kohlenhydraten. Diese Schätzhilfen können Orientierung bei der Insulindosierung geben und sind nur für insulinpflichtige Diabetiker oder für Diabetiker, die medikamentös behandelt werden, sinnvoll.

LW: An wen können sich Diabetiker bei Fragen wenden?

Kreinhoff: Am besten an einen Diabetologen oder sie bitten den Hausarzt um Unterstützung. Diese Unterstützung kann in praktischer Hinsicht eine Diabetesassistentin, eine zertifizierte Diätassistentin oder auch eine zertifizierte Oecotrophologin sein. Zu finden sind diese auf den Internetseiten der Berufsverbände oder auch bei der DGE (siehe Kasten „Linktipps“).

LW: Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass trotz der Empfehlungen so viele Folgeerkrankungen auftreten (siehe Kasten)?

Kreinhoff: Unwissenheit und Vorurteile über die Erkrankung sind nicht nur in der Allgemeinbevölkerung, sondern auch unter den Erkrankten weit verbreitet. Jeder Einzelne sollte daher für sich und seine Erkrankung Verantwortung übernehmen und mit seinem behandelnden Arzt ein Team bilden, um Informations- und Unterstützungsangebote wahrzunehmen. Mit Diabeteswissen und Selbstmanagement kann langfristig die Lebensqualität auch ohne Folgeerkrankungen gewährleistet werden. Denn jeder kann, wenn er selbst mithilft, gerade in einem frühen Stadium wirksam behandelt werden, ohne dass lebensstilbedingte Erkrankungen entstehen.

Die Fragen stellte Stephanie Lehmkühler – LW 22/2016