Viel hilft viel – zumindest beim Kolostrum

Seminar am Hofgut Neumühle: Kälberhaltung in Theorie und Praxis

Wissen rund um die Milchviehhaltung vermittelt das DLR Westpfalz, Lehr- und Versuchsanstalt Hofgut Neumühle, regelmäßig in Seminaren – so auch vor einiger Zeit zum Thema Kälbergesundheit. Das LW war dabei.

Um Erkrankungen frühzeitig zu erkennen, wird auf dem Hofgut Neumühle regelmäßig ein Kälbercheck durchgeführt. Beispielsweise wird beurteilt, ob das Tier genügend Flüssigkeit aufgenommen hat: Ist der Augapfel eingesunken, fehlt Flüssigkeit im Körper. Dies ist besonders bei Durchfallerkrankungen wichtig. Ausfluss an Augen und Flotzmaul deuten unter anderem auf eine Atemwegserkrankung hin.

Foto: Adams

Kälbern einen guten Start in das Leben zu ermöglichen, beginnt mit einem durchdachten Kolostrummanagement. Die Basis dafür ist eine hochwertige Kolostrumqualität.

Qualität des Kolostrums messen

Gemessen werden kann die Qualität mit verschiedenen Geräten, die Dr. Christian Koch vom Hofgut Neumühle bei dem Seminar vorstellte. Geeignet sei eine einfache Biestmilchspindel (Kolostrometer), die in einem hohen Gefäß mit Kolostrum schwimmt. Je mehr Immunglobuline in der Milch sind, desto höher ist die spezifische Dichte der Milch und desto höher ist der Auftrieb der Spindel in dem Gefäß. Auch ein Handrefraktometer kann verwendet werden. Dafür müsse lediglich ein Tropfen Biestmilch auf ein Trägerglas gegeben werden, um die spezifische Dichte optisch zu messen, sagte Koch. Noch komfortabler sind digitale Refraktometer: Hier wird der Wert einfach auf einem Display abgelesen. Dass man die Kolostrumqualität nur anhand der Farbe und Klebrigkeit beurteilen kann, sei eine Mär. „Hier besteht kein Zusammenhang zur Qualität“, sagte Koch. Die Preise für eine Spindel liegen bei 60 Euro, ein Refraktometer kostet zwischen 80 bis 150 Euro. Dabei sei es nicht egal, von welcher Kuh die Milch kommt. „In der Milch sind mütterliche Immunzellen vorhanden, die nur das eigene Kalb aufnehmen kann.“ Eingefrorenes Kolostrum anderer Kühe sollte deshalb nur im Notfall genutzt werden. Oft heißt es, Färsen hätten eine schlechtere Kolostrumqualität als ältere Kühe. Dies könne nach neuen Versuchsergebnissen nicht bestätigt werden und auch bei den Tieren im Hofgut Neumühle sei das nicht der Fall. „Wenn Färsen schlechtere Immunglobulinwerte im Kolostrum aufweisen, sollte man sich fragen, ob die Tiere Stress haben.“

Kolostrum so früh wie möglich geben

Grundsätzlich gelte bei der Kolostrumversorgung die Devise „viel hilft viel und je früher, desto besser“, sagte Koch. Ziel sei es, dass die Tiere in den ersten drei Lebensstunden mindestens drei Liter Biestmilch aufnehmen. Dies ist in der Praxis jedoch oft schwierig: Besonders Fleckviehtiere litten unter einer Saugschwäche, die Gründe würden derzeit wissenschaftlich untersucht. Aber auch Holsteinkälber saufen oft zu wenig Biestmilch.

Sich Zeit nehmen für das Tränken

Der wichtigste Faktor, um genügend Kolostrum in die Kälber zu bringen, sei es, sich Zeit zu nehmen beim Tränken. Das werde auch im Hofgut Neumühle so praktiziert: „Resultat ist, dass alle Kälber es schaffen, 3 Liter bei der ersten Mahlzeit zu saufen, manche sogar 4 bis 4,5 Liter.“ Oft muss man nur die richtige Person für die Aufgabe finden: „In unserem Betrieb tränkt der Opa die Kälber, weil er die größte Geduld mitbringt“, ergänzte ein Seminarteilnehmer. Fast mit einer ungenügenden Kolostrumaufnahme zu rechnen sei bei schweren Geburten, ergänzte Dr. Theresa Scheu, Tierärztin am Hofgut Neumühle. Während Kälber nach einer Spontan-Geburt zu 74 Prozent die notwendigen 3 l Kolos­trum aufnehmen, seien es bei leichter Geburtshilfe nur noch 65 Prozent und bei einer schweren Geburt 49 Prozent der Tiere. Auch Zwillinge nehmen nur zu 40 Prozent die nötigen Mengen auf. „Wenn das Kalb freiwillig nicht genügend Biestmilch säuft, muss es gedrencht werden“, sagte Scheu. Ein Zuviel an Milch je Mahlzeit scheint es nicht zu geben: Auch bei über 4 Litern freiwillig aufgenommenem Kolostrum je Mahlzeit bekommen die Tiere keinen Durchfall, wie Versuche gezeigt hätten. „Der Labmagen dehnt sich und die Milch geht langsamer durch den Darm“, so Koch.

Die Qualität des Kolostrums von Kühen sollte regelmäßig geprüft werden, was mit einer einfachen Senkspindel (im linken Bild rechts unten) leicht möglich ist. Noch schneller geht es mit einem Handrefraktometer (schwarzer Griff) und digitalen Refraktometern (oben rechts und links), bei denen jeweils nur ein Tropfen Biestmilch auf ein Messfeld aufgetragen werden muss.

Die Zeit, die man beim Verabreichen der Biestmilch investiere, mache sich später bezahlt, denn schlecht mit Kolostrum versorgte Kälber litten häufiger unter Lungenerkrankungen und zeigten niedrigere tägliche Zunahmen. Auch die spätere Leistung als Milchkuh sei geringer, so Koch. Weibliche Kälber, die nur 2 gegenüber 4 Litern Kolostrum aufgenommen hätten, erzielten als Kuh in der ersten Laktation eine 305-Tage-Leistung von 8 900 kg, mit 4 Litern getränkte Kälber leisteten dagegen 9 900 kg. In der zweiten Laktation setze sich der Vorteil der höheren Kolostrumgabe mit einer Leistung von 9 600 gegenüber 11 200 kg Milch fort.

Nur 40 Prozent der Kälber sind gut mit Immunglobulinen versorgt

Koch empfiehlt, die Kolostrumversorgung im eigenen Betrieb unter die Lupe zu nehmen, denn bei einer Untersuchung in deutschen Betrieben habe sich gezeigt, dass 60 Prozent der Kälber nicht ausreichend Immunglobuline in ihrem Blut hatten. Die Immunglobuline sind jedoch nötig, um krankmachende Bakterien oder Viren unschädlich zu machen. „Schlecht versorgte Tiere sind deutlich krankheitsanfälliger“, sagte er.

Hygiene beim Melken des Kolostrums und in der Kalbebox

Besonders wichtig ist die Hygiene beim Melken des Kolostrums. „Befinden sich Bakterien in der Biestmilch, werden die Immunglobuline schlechter vom Körper aufgenommen.“ Geht das Abmelken zu langsam von der Hand, könne ein Minimelker die Arbeit beschleunigen. Je Kuh werden auf dem Hofgut Neumühle 6 bis 8 Liter Kolostrum ermolken. Am wertvollsten ist das Erstkolostrum, das zweite soll bei der zweiten Mahlzeit gegeben werden, dies habe einen zusätzlichen positiven Effekt auf die Tiergesundheit. Im Anschluss sollte so lange wie möglich Transitmilch getränkt werden. Die Hygiene spielt auch in der Abkalbebox eine große Rolle. „Ein Kalb, das aus dem keimfreien Mutterleib in eine schmutzige Abkalbebox geboren wird, bleibt nicht lange im Bestand und wird schon gar keine 100 000 Liter-Kuh“, sagte Koch.

Dass nur aus gesunden Kühen langlebige Kühe werden, darüber referierte Dr. Theresa Scheu. Untersuchungen an fast 15 000 Kälbern über den Zeitraum 2006 bis 2013 hätten gezeigt, dass 26 Prozent der Tiere eine Lungenentzündung hatten, 17 Prozent Durchfall und 11,2 Prozent erst Durchfall und dann eine Lungenentzündung. Sie sagte, die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Erkrankung steige, wenn bereits eine Vorerkrankung vorlag. Auch die langfristigen Effekte seien groß. So hätten die Tiere nach einer Durchfallerkrankung eine 2,5-fach höhere Wahrscheinlichkeit für einen Abgang aus dem Betrieb und eine 2,9-fach höhere für eine spätere Abkalbung. Nach einer Lungenentzündung sei das Risiko für das Verenden um das 2,5-fache erhöht. „Tiere, die keine Atemwegserkrankung hatten, kalbten 6 Monate früher ab als solche mit einer Erkrankung“, sagte Scheu. Die Kälbersterblichkeit bis zum Absetzen liege seit Jahren in den Betrieben im Schnitt zwischen 10 und 20 Prozent, wie Untersuchungen gezeigt hätten. Hier sei keine Verbesserung feststellbar.

Vitalitätstest des Kalbes nach der Geburt

Auf der Neumühle wird in Sachen Kälbergesundheit vor allem auf Vorbeugung gesetzt und diese beginnt direkt nach der Geburt. Um die Vitalität eines neugeborenen Kalbes zu beurteilen, wird der aus der Kindermedizin bekannte APGAR-Test durchgeführt. Vier Parameter werden getestet: Zeigt das Kalb eine Reaktion auf einen Kaltwasserguss des Kopfes? Je nachdem ob keine, eine herabgesetzte oder eine spontane Reaktion erfolgt, werden Punkte von 0 bis 2 vergeben. Gleiches erfolgt mit dem Bulbusreflex: Schließt das Tier bei Druck neben dem Auge an der Nasenwurzel das Auge reflexartig? Auch der Zwischenklauenreflex wird getestet. Sind beide Reflexe nicht auslösbar, ist nur ein Reflex oder sind beide positiv? Weiter geht es mit der Prüfung der Atmung, die entweder fehlt, arythmisch oder rhythmisch ist. Der vierte Parameter ist die Schleimhautfarbe, die im schlechtesten Fall bläulich-weiß, bläulich oder im besten Fall rosarot ist.

Eine gute Haltung ist die beste Vorbeugung vor Kälberkrankheiten. Boxen sollten im Innen- und Außenbereich dick eingestreut sein, damit von unten keine Nässe an das Tier kommt, denn diese fördert Atemwegs- und weitere Erkrankungen.

Aus der Beurteilung der APGAR-Parameter wird eine Gesamtpunktzahl gebildet, die eine Einordnung der Vitalität erlaubt. Mit insgesamt 0 bis 3 Punkten gilt ein Tier als lebensschwach, mit 4 bis 6 Punkten als gefährdet und mit 7 bis 8 Punkten als lebensfrisch. „Bei einem Tier der Kategorie gefährdet, kann man sich schon darauf einstellen, dass freiwillig nicht genügend Biestmilch aufgenommen wird und das Tier gedrencht werden muss“, sagte Scheu. Aber auch ein Kalb mit 1 bis 3 Punkten sollte nicht gleich aufgegeben werden. „Mit der richtigen Pflege kann es noch einiges aufholen“, so Scheu.

Ein weiterer wichtiger Baustein zur Vorbeugung gegen Kälberkrankheiten sind Impfungen, beispielsweise gegen Grippe, aber auch Durchfallerkrankungen. Nach dem Motto „kenne deinen Feind“ müsse die Diagnostik an vorderster Stelle stehen, sagte Scheu. Um eine Grippeimpfung komme man häufig nicht herum, diese trete mittlerweile nicht mehr nur im Herbst und Winter, sondern ganzjährig auf. Auf der Neumühle wird deshalb auch ganzjährig geimpft. Das Impfschema sieht hier so aus, dass die Tiere am 3. bis 5. Lebenstag intranasal geimpft werden, die zweite Impfung erfolgt intramuskulär in der 3. bis 4. Lebenswoche und die dritte Impfung in­tramuskulär in der 7. bis 8. Lebenswoche. „Wenn Sie Kosten sparen müssen, können Sie am ehesten auf die dritte Impfung im Sommer verzichten“, sagte Scheu. Impfungen seien jedoch kein Ersatz für gute Haltungsbedingungen, diese müssten zuerst auf einen guten Stand gebracht werden.

Gesundheitsstörungen früh erkennen

Kranke Kälber frühzeitig zu erkennen, ist nicht immer leicht. Dies sei jedoch unerlässlich, um die Therapie zu verbessern und Folgeschäden der Erkrankung zu mindern, wie zum Beispiel Wachstumsverzögerungen durch Kümmern und irreversible Lungenschäden, sagte Scheu. Auch der Einsatz von Antibiotika werde durch das rechtzeitige Erkennen von Krankheiten reduziert. Besteht der Verdacht, dass ein Tier nicht gesund sein könnte, zum Beispiel weil es seine Tränkemenge nicht aufgenommen hat, wird am Hofgut Neumühle ein Kälber-Check durchgeführt. Dieser erfolge vor allem im Hinblick auf die beiden wichtigsten Kälbererkrankungen Durchfall und Atemwegsprobleme.

Überprüft wird zunächst das Verhalten: Ist das Tier aufmerksam? Lauscht es mit den Ohren, hat es einen wachen Blick? Steht es auf, wenn eine Person die Box betritt? Auch die Tränke- und Futteraufnahme wird kontrolliert: Hat das Tier die vorgesehene Menge aufgenommen? Im Hinblick auf eine Durchfallerkrankung wird die Kotkonsistenz geprüft: Ist der Kot dünnbreiig, gibt es Schleim- oder Blutbeimengungen? Wie häufig setzt das Tier Kot ab? Um zu prüfen, ob der Flüssigkeitshaushalt bereits beeinträchtigt ist, schaue man sich die Augen des Tieres an: „Ist der Augapfel 5 mm tief eingesunken, fehlen 5 Liter Flüssigkeit im Körper, was bei einer Durchfallerkrankung der Fall sein kann“, so Scheu. Dann sei es höchste Zeit, das Tier mit einer Elektrolyttränke zu versorgen. Auch die Gelenke werden auf Schwellungen und damit Entzündungen abgefühlt. Ebenfalls eine Entzündung kann am Nabel vorliegen, dieser sollte auf Verdickungen gecheckt werden. In Bezug auf die Atmung wird festgestellt, ob das Tier hustet und wie häufig. Zeigt es Auswurf oder gar eine schwere Atmung? Wenn ja, sollte der Tierarzt hinzugezogen werden, der das Tier auf Lungengeräusche abhört und medikamentös versorgt.

Tipps für eine erfolgreiche Färsenaufzucht gab Markus Schoch vom Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Westpfalz. Um produktive Färsen aufzuziehen, komme es auf eine gesunde Kälberaufzucht, eine gut abgestimmte Phasenfütterung, eine rechtzeitige Belegung der Färsen und einen guten Übergang in die Laktation an, sagte er.

Färsen fremd aufziehen lassen?

Ob Färsen im eigenen Betrieb aufgezogen, an einen Pensionsbetrieb zur Aufzucht abgegeben oder zugekauft werden sollten, sei sehr betriebsindividuell zu beurteilen, sagte Schoch. Die Direktkosten für eine Färse bezifferte er beispielhaft auf 1 500 Euro, inklusive Arbeit und Gebäuden seien es fast 2 000 Euro. Werden Färsen zugekauft, rät er dies aus maximal zwei bis drei Betrieben zu tun, um die Gefahr für die Einschleppung neuer Erreger in den eigenen Bestand in Grenzen zu halten. „Vor dem Aufstallen sollten Milchproben gezogen werden, um keine neuen Erreger einzutragen“, sagte Schoch. Eine weitere Möglichkeit ist es, die eigenen Tiere von einem Pensionsrinderaufzüchter aufziehen zu lassen. Die Kosten liegen laut Schoch bei etwa 1,50 bis 2 Euro je Tier und Tag. „Aufzuchtkosten können Sie damit nicht sparen, aber bei Betrieben, die Platzprobleme haben und die aufgrund kürzlich getätigter Investitionen nicht in Jungviehställe investieren können, ist es eine Alternative.“

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