Weinkultur zwischen Freiheit und Verantwortung

Weinkulturseminar der Weinbruderschaft Rheinhessen

Eine Fülle von Informationen und wertvollen Denkanstößen vermittelte das 24. Weinkultur-Seminar, zu dem sich rund 40 Mitglieder und Gäste der rund 350-köpfigen Weinbruderschaft Rheinhessen in der Staatlichen Weinbaudomäne Oppenheim trafen.

Der Organisator des Meisenheimer Weinsymposiums, Prof. Christian Held (links), dankte Max von Kunow (rechts) für seinen Vortrag über die Herstellung und Vermarktung von koscherem Wein.

Foto: Norbert Krupp

Hausherr und Brudermeister Otto Schätzel blickte auf die bisherigen Weinkultur-Seminare zurück, deren Themen der Region wichtige Impulse gegeben hätten: „Ohne Begeisterung, Humor und Emotion werden Sie alles, was Sie vorhaben, nicht weiterbringen“, sagte er. Die Themen des Weinkultur-Seminars passten zum diesjährigen Spannungsbogen „Weinkultur zwischen Freiheit und Verantwortung“, der auf das Jubiläum „500 Jahre Reforma­tion“ anspielt. Das Thema „Wertschätzung schafft Wertschöpfung“ beleuchtete Carsten Fuchs, der die „Gute Boschafter Unternehmensberatung“ in Köln führt. Anhand von oberflächlichen, leicht durchschaubaren Werbeversprechen machte er deutlich, dass im Geschäftsleben meist versucht werde, die Kunden über den Tisch zu ziehen, anstatt sie durch echten Service und Zuwendung zu gewinnen.

Sein Appell „Liebe Deinen Kunden!“ könnte an Bedeutung gewinnen, sofern sich seine Voraussage bewahrheitet, dass sich das Paradigma dem Ende zuneigt, dass trickreich um Marktanteile gekämpft werden muss. Fuchs zitierte Adam Smith: „Ziel der Ökonomie muss sein, das größtmögliche Glück für möglichst viele Menschen zu schaffen.“

Schöpfungsverantwortung für Landwirtschaft

Die Schöpfungsverantwortung für Landwirtschaft und Weinbau stellte Dr. Maren Heincke vom Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung, auch Beauftragte der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, in den Mittelpunkt. Weltweit hungern aktuell rund 800 Millionen Menschen. Die Bevölkerung werde weiter wachsen, von derzeit 7,5 auf 9,7 Milliarden bis 2050. Der Fleischkonsum nehme 3,5 Millionen Hektar Weideland und einen Großteil der 1,5 Millionen Hektar Ackerfläche in An­spruch. Vom weltweiten Ackerland würden nur 260 Millionen Hektar für die Nahrungsmittelerzeugung verwendet, aber 1 030 Millionen Hektar für Futterbau sowie 53 Millionen Hektar für die Erzeugung von Bioenergie.

Genussglück per Mausklick, wo bleibt die Kultur?

Lebhafte Diskussion beim Weinkulturseminar der Weinbruderschaft Rheinhessen, es spricht Bruderrat Tobias Kraft (stehend).

Foto: Norbert Krupp

Unter dem ironischen Titel „Genussglück per Mausklick“ riss Bernd Wechsler vom Kompetenzzentrum Weinmarkt und Weinmarketing Rheinland-Pfalz in Oppenheim die Frage an, ob die Digitalisierung die Weinkultur verändert. 90 Prozent aller Deutschen unter 70 Jahren nutzten das Internet. Bislang würden 14 Prozent des Einzelhandelsumsatzes im Non-Food-Bereich im Internet erzielt. Aber erst 1,2 Prozent der Lebensmittel wechseln so den Besitzer. Das könne sich rasant verändern, denn neben dem Amazon-Projekt „fresh“ versuchten Lebensmitteleinzelhändler wie Rewe und Edeka online bestellte Lebensmittel zeitnah nach Hause zu liefern.

Ihren Wein kaufen die Deutschen zu 48 Prozent bei Discountern, zu 29 Prozent im Lebensmitteleinzelhandel sowie SB-Warenhäusern, aber auch bei Direktvermarktern (11 Prozent) und Fachhändlern (8 Prozent). Der Online-Handel bewege sich bei vier Prozent, weise aber eine hohe Dynamik auf: Jedes dritte Weingut setzt bereits auf Online-Vertrieb, allein das Portal „Wir Winzer“ habe mehr als 14 000 Weine im Sortiment. Vicampo biete 17 000 Weine an, Amazon gar 28 000 Weine.

Erlebnis im Weingut könnte an Bedeutung gewinnen

Dennoch sieht der Referent eine Chance vom Gegentrend der Digitalisierung zu profitieren: Persönliche Kompetenzen werden an Wert gewinnen. Das authentische Erlebnis im Weingut sei für viele Kunden wertvoll.

„Wir müssen die Menschen und Emotionen in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen“, forderte Brudermeister Otto Schätzel, der Einblicke in die Zukunft Rheinhessens im Tourismus und Weinbau vermittelte.

Der persönliche Dialog mit dem Kunden sei unverzichtbar, aber auch die Digitalisierung mit ihrer Vermarktung per Mausklick sei nicht aufzuhalten. Rheinhessen habe auf dem Weg in die Zukunft schon mehr erreicht als viele andere Regionen. Seine gemeinsame Dachmarke und sein Leitsatz hätten sich bereits gut etabliert. Nur der Bereich der Wirtschaft zeige sich noch ein wenig sperrig.

Bruderrat Hans-Günther Kissinger, der als Vorsitzender des Kulturausschusses für das Programm des 24. Weinkultur-Seminars verantwortlich zeichnete, freute sich, dass die Referenten so viele wertvolle Impulse und Informationen vermitteln konnten. Er zitierte den Reformator Martin Luther: „Tritt keck auf, mach's Maul auf, hör“ bald auf!“ Die Weinbruderschaft sei stolz darauf, mit inzwischen 24 Jahren Tradition der Weinkultur-Seminare als Alleinstellungsmerkmal aufwarten zu können. Man sei dabei stets auf der Höhe der Zeit gewesen: „Am Geist der Zeit, aber stets bemüht, dem Zeitgeist nicht zu verfallen.“ Dies sei Zeichen von Kontinuität, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die eigene weinkulturelle Arbeit, die auch auf die Weinwirtschaft ausstrahle. Die Weinbruderschaft bringe sich im rheinhessischen Netzwerk ein, um die Region mitzugestalten. Die Weinkultur brauche ein Sprachrohr, so Kissinger.

Norbert Krupp – LW 48/2017