Welchen Stellenwert genießen Landwirte in der Gesellschaft?

Kreiserntedankfest im Haus des Gastes in Gladenbach

Der Kreisbauernverband Marburg-Kirchhain-Biedenkopf feierte am vergangenen Sonntag das Kreiserntedankfest in Gladenbach. Umrahmt wurde die Feier von Pfarrer Thilo Ohrndorf, den Landfrauen, dem Posaunenchor Fronhausen (Lahn) und der Volkstanz- und Trachtengruppe Gladenbach. Im Mittelpunkt stand ein Festvortrag von Dr. Reinhard Grandke, Geschäftsführer der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, zum Thema „Landwirtschaft und Gesellschaft.“

Der Kreisbauernverband Marburg-Kirchhain-Biedenkopf feierte am vergangenen Sonntag Erntedank in Gladenbach.

Foto: Sascha Valtentin

Welchen Stellenwert genießen Landwirte in der modernen Gesellschaft? Ãœber dieses Thema sprach Dr. Reinhard Grandke bei der Erntedankfeier. Die Landwirte seien heute einem gewissen Dilemma ausgesetzt, stellte er fest. Einerseits sind sie es, welche die wachsende Weltbevölkerung versorgen müssen. Andererseits wird ihre Leistung in der öffentlichen Wahrnehmung geringer wahrgenommen. „Bis zum Jahr 2050 müssen zwischen neun und zehn Milliarden Menschen auf der Welt versorgt werden“, betonte Grandke. Jedoch sinke gleichzeitig die Zahl der zur Verfügung stehenden Ackerflächen und die der Landwirte. Waren 1900 noch rund 60 Prozent der Erwerbstätigen Menschen in der Landwirtschaft tätig, sind es derzeit nur noch rund 1,6 Prozent.

Nur Hälfte der Verbraucher kennt noch einen Landwirt

Während die Landwirtschaft damals fester Bestandteil der Gesellschaft war, scheint sie heute ein Stück weit davon entkoppelt zu sein. Entsprechend fehlerhaft sei die Wahrnehmung der Landwirte durch die Verbraucher, sagte Grandke. Die kennen sie vielleicht nur noch aus Fernsehsendungen wie „Bauer sucht Frau“ oder hätten noch immer das verklärte Bild der Bauern von gestern im Kopf. „Eine Untersuchung habe ergeben, dass nur noch 53 Prozent der Bevölkerung persönlich einen Landwirt kennen“, betonte Grandke. Solle das Bild des Landwirts als Versorger und Unternehmer wieder gerade gerückt werden, müsse sich einiges ändern.

Dr. Reinhard Grandke von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft sprach über „Landwirtschaft und Gesellschaft.“

Foto: Sascha Valtentin

Kommunikation mit der Gesellschaft suchen

So empfahl Grandke den Landwirten, bewusst die Kommunikation mit der Gesellschaft zu suchen und zum Beispiel auch die neuen Medien zu nutzen, um den Kontakt zu den Menschen herzustellen. Dabei sei Regionalität ein wichtiges Thema – weniger der Produkte wegen, als vielmehr aufgrund der persönlichen Kontakte, die dadurch entstehen. „Letztlich entscheidet der Landwirt selbst, ob er mitten in der Gesellschaft steht oder sich von ihr an den Rand drängen lässt“, so Grandke. Dem schlossen sich auch die anderen Redner an.

Lölkes: Hier Überfluss – dort Hunger

Karin Lölkes, Vorsitzende des Kreisbauernverbandes, wies darauf hin, dass die reich gedeckten Tische der Europäer die Sorgen um Lebensmittelknappheit haben verschwinden lassen. Weil alles in Hülle und Fülle vorhanden ist, sei die Nahrungsbeschaffung und -produktion in den wenigsten Köpfen ein Thema. Schlimmer noch: In Deutschland wird sogar die Hälfte aller Lebensmittel weggeworfen, sagte Lölkes, und das, obwohl Menschen in anderen Teilen der Welt Hunger leiden. Deswegen solle Erntedank dazu dienen, über den wahren Wert der Nahrung nachzudenken.

Landrätin Kirsten Fründt warf dabei die Frage auf, ob es die industrielle Agrarproduktion künftig noch schaffe, die wachsende Zahl an Menschen zu ernähren. Wie Grandke sprach sie sich für eine gestärkte Regionalität aus, um den Verbrauchern die Nähe zu den Produzenten und deren Bedeutung zu vermitteln.

Karin Lölkes, Vorsitzende des Kreisbauernverbandes, sprach die ungleiche Verteilung von Lebensmitteln auf der Welt an. Während hier Lebensmittel eine immer geringere Wertschätzung seitens der Konsumenten erfahren würden, wüssten viele Menschen auf der Erde nicht, wie sie morgen satt werden können.

Foto: Sascha Valtentin

Dass die Landwirte teils zu Spielbällen der Wirtschaft werden, sagte Landtagsabgeordnete Angelika Löber. Als Beispiel führte sie die Milchkuhhalter an. Es erschüttere sie immer wieder, mit welchen Dumping-Preisen sie abgespeist und dadurch Existenzen bedroht werden. Hier sei die Politik gefragt, die Landwirte zu stärken und zu unterstützen. Zumal die keineswegs nur für die Produktion der Nahrungsmittel zuständig sind, betonte Kreistagsvorsitzender Detlef Ruffert. Sie kümmern sich ebenso um den Erhalt der Kulturlandschaft, gestalten die Schöpfung und vermitteln tradierte, aber wichtige Werte an die Gesellschaft.

Pfarrer Thilo Ohrndorf zollte der Landwirtschaft großen Respekt und sagte „Gott versorgt uns mit dem, was wir brauchen“. Umrahmt wurde das Kreiserntedankfest von großartigen Auftritten der Gladenbacher Trachtentanzgruppe und musikalischen Beiträgen des Posaunenchors aus Fronhausen.

Valtentin  – LW 42/2015