Wissen über die Region weitergeben

Kultur- und Weinbotschafter in Rheinhessen unterwegs

Für Kultur haben sie sich schon immer interessiert. Und die Verbindung zum Wein und damit zu ihren Weingütern ist perfekt. Kerstin Walldorf-Dexheimer aus Saulheim und Heike Dettweiler aus Wintersheim sind ausgebildete Kultur- und Weinbotschafterinnen in Rheinhessen.

Die Kultur- und Weinbotschafterin Heike Dettweiler hat sich gern in die Geschichte von Wintersheim eingearbeitet.

Foto: Dagmar Hofnagel

Respekt vor der Ausbildung hatte sie schon. Vor allem nach der täglichen Arbeit auf dem Betrieb noch einmal den Elan zu finden, um die Schulbank zu drücken, schien Kerstin Walldorf-Dexheimer zunächst fast unmöglich. Aber vor sechs Jahren gab sie sich einen Ruck und hat es nicht bereut. „Der Unterricht war so kurzweilig und interessant, dass ich den Alltag ganz schnell vergessen habe“, erinnert sie sich heute. „Bei den Stadtbesichtigungen und Ganztagestouren habe ich gelernt, in welchem herrlichen Landstrich ich aufgewachsen bin.“

Geologie und Geschichte der Region

Die verborgenen Schätze ihrer Heimat durfte die Rheinhessin neu entdecken. Dabei hat sie gelernt, wie ihre Heimat geologisch entstanden ist, welche geschichtlichen Hintergründe die Region zu bieten hat und welches Brauchtum und welche Feste es früher gab. Dabei spielt natürlich die Fassnacht eine große Rolle. Einige Gepflogenheiten in der jetzigen Zeit lassen sich häufig aus der Geschichte erklären. So war ihr Heimatort früher beispielsweise in zwei getrennte Orte, in Nieder- und in Ober-Saulheim, aufgeteilt. Bis vor wenigen Jahren gab es deshalb hier immer noch alle Vereine in zweifacher Ausführung. Bis heute haben sich aus dieser Zeit zwei Landfrauenverbände gehalten. „Während der Ausbildung wurden wir mit der Nase auf Dinge gestoßen, die wir zwar kannten, aber nicht erklären konnten. Oder wir haben tatsächlich ganz neue Dinge erfahren, die wir noch nicht wussten“, erinnert sich die Hauswirtschaftslehrerin begeistert. Und nicht zuletzt haben die Auszubildenden noch an ihrem Wissen über den Wein feilen können.

Pferdehändler Pfefferdick

Direkt nach ihrer Ausbildung vor sechs Jahren gab es noch nicht das heutige Konzept, nach dem die ausgebildeten Botschafter und Botschafterinnen ihr Wissen an Interessierte weitergeben. Diese Idee hat sich erst mit dem Abschluss der damaligen Gruppe entwickelt, in der Kerstin Walldorf-Dexheimer und Heike Dettweiler gemeinsam waren. „ Wir fanden es einfach zu schade, unser Wissen für uns zu behalten“, weiß die Saulheimerin noch. Zunächst haben sich die Absolventen weiter getroffen. Bald wurde aus diesen Treffen die Idee geboren, ein regelmäßiges wöchentliches Angebot zu Kultur und Wein anzubieten. Bis heute hat sich der „Mittwochstermin“, 18 Uhr gehalten. 2006 entstand daraus der Verein der Kultur- und Weinbotschafter e.V., Rheinhessen. Einmal in der Woche treten die Botschafter und Botschafterinnen in Rheinhessen seitdem an, um Kulturinteressierten ihr Wissen weiterzugeben. Kerstin Walldorf-Dexheimer bietet beispielsweise eine originelle Ortsführung mit Weinprobe durch Saulheim an: „Zu Gast in Saulheim bei Pferdehändlern, Wirtsleuten und Auswanderern“ heißt ihr Termin. Dabei erzählt sie bei einem Rundgang die eine oder andere Geschichte über Menschen aus dem Ort, oder kann auch erklären, wie Spitznamen entstanden sind. Ein Pferdehändler beispielsweise hieß Pfefferdick. Stechpfeffer ist wiederum die Blutsuppe vom Schlachten, und dieser Pferdehändler mochte diese Suppe immer gern etwas dicker – also bekam er den Spitznamen Pfefferdick.

De Pfaff und das Pfäffje

Auch aus ihrer eigenen Familie gibt es eine Geschichte: Den Namen Walldorf gibt es häufiger in Saulheim. Als ihr Ur-Ur-Großvater Jakob Walldorf in der Schule das Gedicht die „Glocke“ von Schiller mit solch einer Inbrunst vortrug, riet der Schulrat dem Jungen damals, er solle Pfarrer, also Pfaffe, werden. So kam der Hof zu seinem Hausnamen Pfaffenhof. „Mein Vater wurde in der Schule noch `de Pfaff´ genannt, und ich war das Pfäffje“, schmunzelt sie.

Rheihessisch babbele

Neben der Geschichte liegt der Mutter von zwei erwachsenen Kindern die „rheihessische“ Mundart sehr am Herzen. „Mir Rheihesse, wie mer redde, babbele unn verzehle…“ heißt eines ihrer Mittwochsangebote. Auch die Speisekarte in ihrer Gutsschänke ist in Mundart aufgeschrieben. Im Winter bietet sie einen Singabend an: „Alla dann, mer singe emol minnanner wie friehjer.“ Oder es geht auch einmal mit Glühwein und Fackeln im Dunkeln durch den Ort und die Weinberge.

Führungen liegen der Saulheimerin am meis­ten. Häufig be­ginnt sie die Tour oder beendet sie in ihrem eigenen Gewölbekeller aus dem 19. Jahrhundert: „Kellerführung durch drei Jahrhunderte“. Neben dem Mittwoch-Termin gibt es in Rheinhessen auch feste Samstags-Termine – dann immer um 15 Uhr. Ein Kalender verrät, welche Themen oder Touren auf dem Plan stehen (siehe Internetadresse im Kasten unten).

In ihrem Gewölbekeller in Saulheim aus drei Jahrhunderten erzählt die Kultur- und Weinbotschafterin Kerstin Walldorf-Dexheimer gern Geschichten vor den alten Eichenfässern.

Foto: Dagmar Hofnagel

Auf dem Hof der Dettweilers in Wintersheim wird der Wohn- und Wachturm von 1345 heute für die Gäste genutzt.

Foto: Dagmar Hofnagel

Die Speisekarte in der Gutsschänke ist auf rheinhessisch verfasst.

Foto: Dagmar Hofnagel

Neben diesen Angeboten wagt sich die 48-Jährige auch schon mal an spezielle Themen heran. Gemeinsam mit einer Kollegin hat sie beispielsweise eine Frauenweinprobe organisiert. Dabei haben sie überlegt, zu welcher Hausarbeit welcher Wein passen würde.

Und was zur fünften Jahreszeit passt: Norbert Roth, Büttenredner von der Mainzer Fassnacht, war auch schon auf einer ihrer Veranstaltungen zu Besuch.

Gäste gekonnt führen

Heike Dettweiler war mit ihrem dritten Kind schwanger, als sie sich für die Ausbildung zur Kultur- und Weinbotschafterin entschied. Später war Sohn Daniel der jüngste Teilnehmer auf den Touren durch Rheinhessen.

Nach dem Abschluss als Botschafterin ließ sie sich noch zur Gästeführerin ausbilden. Somit ist sie heute bestens ausgestattet, um auch ihren eigenen Gäs­ten auf dem Weingut Interessantes zur Umgebung zu erzählen. Die gebürtige Unterfränkin kennt sich besonders gut mit der Geschichte von Wintersheim aus.

„Wein begegnet Biedermann“

Neben ihren Führungen durch den Ort bietet sie unter dem Motto „Wein begegnet Biedermann“ ein Menü mit Weinen und passenden Geschichten aus dem 19. Jahrhundert in ihrer Gutsschänke an. Die dreifache Mutter kocht selber und ihr Mann Heiko erklärt die entsprechenden Weine zu den Speisen.

Zusätzlich dürfen die Teilnehmer der Veranstaltung sich darin üben, alte Texte in altdeutscher Schrift zu lesen. „Meistens können die Gäste nach ein wenig Ãœbung die Schrift gut entziffern und den Sinn der Texte verstehen“, ist sie ganz stolz. Häufig kann sie in diesem Zusammenhang auch Anekdoten aus der Familie ihres Mannes erzählen. Tagebücher der Urgroßväter liefern die Grundlage dazu. Schließlich gibt es die Dettweilers bereits seit 1801 in Rheinhessen. Ursprünglich kam die Familie aus der Schweiz. Und ein weiteres Faible der Gartenbauingenieurin ist die Katharinenkirche in Oppenheim. Hier bietet sie neben den Führungen für Erwachsene Kinderkirchenführungen an. Auch den Rundgang durch Wintersheim hat die engagierte Botschafterin auf Kinder für den Kinderkulturtag umgestellt.

Kinder betreuen Weinberg

Auch der ehemalige Schweinestall der Dettweilers hat Historisches zu bieten. Die alte Kuhkappelle wird freigelegt und soll zukünftig für Weinpräsentationen genutzt werden.

Foto: Dagmar Hofnagel

Ãœberhaupt hat der Nachwuchs im Programm des Vereins einen festen Platz. So werden Kinderwingerte betreut. Hier sollen die Kleinen lernen, wie Wein entsteht, und sie treffen sich im Laufe des Jahres immer wieder zu den erforderlichen Arbeiten in „ihrem“ Wingert. Und der letzte Mittwoch vor den Sommerferien gehört den Schulkindern. Hier gibt es kostenloses Kulturprogramm in Absprache mit der jeweiligen Schule.

Zusätzlich zu ihren kulturellen Angeboten engagiert sich Heike Dettweiler im Vorstand des Vereins der Kultur- und Weinbotschafter. Als Beisitzerin kennt sie die Akzeptanz der Veranstaltungen in Rheinhessen. „Die Angebote werden durchweg gut angenommen“, weiß sie. Es kommt auch schon einmal vor, dass für eine Veranstaltung zwei Botschafter benötigt werden, weil der Andrang so groß ist. Maximal 40 Personen sollten einer Gruppe angehören. „Wir wollen die Leute ja nicht durch die Veranstaltung nur durchschleusen. Es soll schon eine persönliche Atmos­phäre entstehen“, ist ihr Anspruch.

An den Mittwochs-Terminen sind eher die Einheimischen zu treffen, die mehr über ihre Region erfahren wollen. Am Samstag sind dann häufiger auch Touristen dabei. Und einmal im Monat – immer dienstags – gibt es eine Landpartie. Dann werden halbtägige Bustouren zu bestimmten Zielen angeboten. Zum Abschluss fast jeder Veranstaltung finden sich die Gruppen mindestens zu einem Glas Wein, manchmal auch zu einem Essen zusammen, um den Abend oder den Tag gemeinsam ausklingen zu lassen.

Kooperationen mit anderen Weinbaugebieten

Gemeinsam mit den Vereinen aus anderen Weinbaugebieten in Franken, der Pfalz und an der Nahe gibt es darüber hinaus weitere Aktionen. So findet jeweils an den Sonntagen, an denen die Sommerzeit eingeführt und wieder beendet wird, der Tag der Kultur- und Weinbotschafter mit einem speziellen Programm statt. Dagmar Hofnagel

Informationen zu den Veranstaltungen

Die Termine für die Veranstaltungen der Kultur- und Weinbotschafter in Rheinhessen sind in einem Pros­pekt zusammengefasst. Die Kosten für die Tagesveranstaltungen belaufen sich auf 5 Euro inklusive eines Glases Wein. Für Mehraufwand wie etwa einem Essen werden angepasste Gebühren erhoben.

Die Kosten für die Tagesausflüge mit einem Bus betragen 25 Euro. Ob die Veranstalter Anmeldungen für die Termine benötigen, ist dem Prospekt zu entnehmen. Für die Mittwochstermine sind in der Regel keine Anmeldungen notwendig. D.H.

Ausbildung zum Kultur- und Weinbotschafter

129 Mitglieder zählt der Verein der Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen e.V. Etwa 50 Mitglieder sind aktiv. Mehr als 50 Prozent der Aktiven sind Frauen. Ausgebildet wurden bisher seit 2002 etwa 420 Botschafter und Botschafterinnen. Die Ausbildung wird fortgeführt. Der Herbstkurs für dieses Jahr ist allerdings schon ausgebucht. Die Ausbildung kostet für den einjährigen Kurs 950 Euro. Die Hälfte dieses Betrages übernimmt das Land Rheinland-Pfalz gemeinsam mit der EU. Voraussetzung für diese Unterstützung ist die Mitgliedschaft im Verein.

Die einzelnen Ausbildungsmodule beinhalten: Geologie, Weinbau, Kultur, Geschichte und Methodik/Didaktik. Einmal pro Jahr beginnt ein Kurs mit maximal 30 Teilnehmern. Es wird bei der Auswahl der Interessierten darauf geachtet, dass es in einem Ort nicht mehr als drei Botschafter gibt. Vorzugsweise werden Ausbildungswillige aus Orten zugelassen, die noch keinen Botschafter haben.

Info: www.kultur-und-weinbotschafter-rheinhessen.de, E-Mail: info@kultur-und-weinbotschafter-rheinhessen.de, Tel.:  06734- 1074. D.H.