Wolfsrisse auf Hessens Weiden: Schockstarre bis Trauerarbeit

Weidetierhalter sehen sich aus Landschaft verdrängt

Die Welt für Hessens Schaf- und Ziegenhalter ist nicht mehr die, die sie rund 140 Jahre lang war. Nach einer Reihe von (bisher offiziell noch nicht bestätigten) Wolfsübergriffen auf Schafherden im Reinhardswald und am Hohen Meißner in Nordhessen in den zurückliegenden Wochen hatte sich Reinhard Heintz, Vorsitzender des Hessischen Verbandes für Schafzucht und -haltung (HSZVA), kurzfristig dazu entschlossen, das Thema auf dem Hessischen Schaftag in Hungen-Nonnenroth durch die Mitglieder umfassend diskutieren zu lassen und erforderliche Schritte des Verbandes abzustimmen.

Der Wolf ist da. Die Sorge um ihre Tiere und auch ihre wirtschaftliche Existenz treibt Hessens Schäfer um und ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Vorne rechts: Reinhard Heintz, Vorsitzender des HVSZA, links neben ihm sein Stellvertreter Hubertus Dissen.

Foto: Dietz

Nach Heintz ist damit zu rechnen, dass sich im Frühjahr das erste Wolfsrudel in Hessen etabliert haben wird. Bisher seien an verschiedenen Stellen lediglich Einzeltiere beobachtet worden, zuletzt aber zwei Tiere gemeinsam. „Es wird sein wie in anderen Bundesländern, wir bekommen die Wölfe nicht weg, mit schlimmsten Folgen für die Weidetierhaltung in Hessen. Wir wurden von der Politik bisher abgespeist, jetzt ist der Wolf da, so geht's nicht weiter!“, so sein Resümee.

„Wenn die Wölfe da waren, ist alles anders“

Anton Göbel aus dem Meißnergebiet schilderte seine Erfahrungen: „Ich habe die gerissenen Tiere (15 Schafe und zwei Jungböcke) gleich abgedeckt, damit keine „Nachnutzung“ erfolgt oder Spuren durch Hunde überdeckt werden. Nach der Meldung wurden von offizieller Seite Proben genommen, damit der Wolf als Verursacher eindeutig nachgewiesen werden kann. Seither hat sich niemand gemeldet. Wenn die Wölfe da waren, ist alles anders.“

Mutterkühe mit Kälbern nicht in den Verkehr gerannt

Bei dem Vorfall waren auch Mutterkühe mit Kälbern ausgebrochen. Sie konnten am nächsten Tag vier Kilometer entfernt im Wald aufgefunden werden. Gott sei Dank seien Sie nicht in Panik auf die Straße gelaufen. Hilflosigkeit und auch Trauer sprachen aus seinen Worten. Seither fahre er tagsüber und auch nachts Streife zu seinen Tieren, wohl wissend, dass er damit nichts bewirken könne. Die Sorge um seine Tiere treibe ihn einfach um.

Zusammenarbeit mit örtlichem BUND beendet

Örtliche Vertreter des BUND hätten ihm auf Ansprache bedeutet: „Was haben wir damit zu tun? Der Wolf ist jetzt da, der ist geschützte Natur!“ Daraufhin habe er die im Pflegevertrag für Hutungsflächen vorgesehene Kündigungsklausel aktiviert und die Zusammenarbeit mit dem BUND vor Ort beendet.

Die zahlreichen Wortbeiträge zeigten deutlich, dass sich die Schäfer von Politik und Gesellschaft allein, im Stich gelassen fühlen. „Da gehen Naturschützer in Kindergärten und erzählen Märchen von Papa, Mama und Baby Wolf“. Am Hessentagsstand in Bad Hersfeld habe ein Besucher geäußert „wofür brauchen wir Schäfer? Das geht doch auch maschinell“. Die Menschen seien weit weg von Natur.

Von Politik und Gesellschaft im Stich gelassen

Eine Mehrheit von Schaf- und Ziegenhaltern, das wurde ebenso in den Äußerungen deutlich, wolle ihre Tiere besser schützen im Angesicht der Gefahr durch freilebende Wölfe. Sie wollen investieren in stärkere Zaungeräte, höhere Netzzäune, in Up-Grades für konventionelle Festzäune durch zusätzliche Weidezaunlitzen mit Zaungerät oder gar in die Anschaffung von Herdenschutzhunden.

In Hessen jedoch werden sie derzeit dabei noch von der Politik alleingelassen. „Es gibt hierzulande aktuell noch kein Förderprogramm für Präventionsmaßnahmen im Herdenschutz, ganz im Gegensatz zu den allermeisten anderen Bundesländern.

Bei präventiven Maßnahmen Fehlanzeige

Das Förderprogramm HALM-H2, „Herdenschutz plus“, mit einer Fördersumme von maximal 31 Euro je Hektar und Jahr ist dafür weder gedacht noch im entferntesten ausreichend. Ministerein Hinz hatte schon im März 2018 ein entsprechendes Förderprogramm und eine Entschädigungsregelung für attackierte Herden angekündigt. Bis heute ist jedoch noch keine entsprechende Regelung in Kraft“, brachte ein Schäfer die Situation auf den Punkt. Hierdurch fühlten sich die Weidetierhalter in Hessen von der Politik alleingelassen, denn die Wölfe seien ja schon da und machten Schäden. Und Prävention hieße ja, etwas zu tun, bevor etwas passiere.

Rechtliche Verpflichtung zum Schutz der Tiere

Als unmittelbare Auswirkungen auf die Betriebe wurde festgehalten: „Wir sind rechtlich dazu verpflichtet, unsere Tiere vor dem Wolf zu schützen, koste es, was es wolle. Weder Zuschüsse zu Investitionen in Zäune noch für die Anschaffung von Herdenhunden sind ausreichend. Die Politik interessiert in keinster Weise, dass wir rein arbeitswirtschaftlich nicht in der Lage sind, ständig hohe Zäune aufs Neue über Stock und Stein zu stellen. Wenn ich meinem Auszubildenden sage, dass er künftig jeden Tag eine Stunde länger arbeiten muss um das zu stemmen, ist der weg.“

Problemwölfe entnehmen, wie in Schweden auch

Eine weitere Forderung, die erhoben wurde, war: „Wenn die Weidehaltung aufrecht erhalten werden soll, müssen Problemwölfe entnommen werden, wie das in Schweden längst geschieht.“ In Brandenburg, so eine Wortmeldung, hetze der NABU jedem Schäfer, der seine Situation nach einem Wolfsriss öffentlich beschreibe, das Veterinäramt auf den Hals. „Das ist Unterdrückung der Meinungsfreiheit“. Man müsse mit allen anderen Weidetierhaltern zusammenarbeiten, damit man in der Öffentlichkeit gemeinsam auftrete und mehr Wirkung erziele. Weitere Themen der Diskussion waren Haftungsfragen wegen flüchtenden Tieren, zusätzliche Fördertöpfe für den Mehraufwand, kann die Landschaft ohne Weidetiere überhaupt noch offengehalten werden oder auch eine öffentliche Kundgebung in Wiesbaden.

Dz – LW 49/2019