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Zeckenstich – was ist zu tun?

Nachgefragt bei Ute Fischer, Borreliose und FSME Bund Deutschland

Eine Zecke sollte man unverzüglich von der Haut entfernen, ohne dass sie dabei gequetscht wird. Links im Bild ist eine mit Blut vollgesogene, rechts eine kleine Zecke zu sehen.

Foto: imago images

Ein Zeckenstich kann folgenschwere Erkrankungen verursachen, wie die Lymne-Borreliose und FSME, die Frühsommer-Meningoenzephalitis. Diese Gefahr wird oft unterschätzt – sowohl von Betroffenen und von Ärzten als auch von politisch Verantwortlichen, wie das LW von Ute Fischer erfuhr. Fischer ist Vorstandsvorsitzende beim Borreliose und FSME Bund Deutschland (BFBD) und informiert im folgenden Interview darüber, was man tun sollte, wenn eine Zecke zugestochen hat, beziehungsweise wie man sich vor Zecken schützen kann.

LW: Werden Zeckenstiche gefährlicher in unseren Breiten?
Ute Fischer:
Gefährlich werden Zeckenstiche nur dort, wo sie Ärzte nicht erkennen und demzufolge nicht therapieren. Aber im Grunde beobachtet niemand richtig, ob Zeckenstiche zunehmen. Auch das Bundesministerium für Gesundheit sowie das für Forschung und Bildung verdrängen das Thema. In gängigen Studien taucht Borreliose nicht auf. Im neu gegründeten Zentrum für Infektionskrankheiten, im Robert Koch-Institut und bei der Bundesärztekammer beschäftigt sich niemand mit Borreliose. Diese Ignoranz halte ich für das gefährlichste an Zeckenstichen.

Selbst wenn die Bürger durch die Vielzahl der Medien aufmerksamer geworden sind, stoßen sie bei ihren Ärzten nicht selten auf Ablehnung. Erst kürzlich machte sich ein Rheumatologe auf dem Internistenkongress in Wiesbaden über Borreliosepatienten und deren Behandler vor über 200 Ärzten lustig. Man schlug sich auf die Schenkel vor Lachen über die armen Irren. Begriffe wie Internet-Borreliose und Borreliose-Neurose stammen von Ärzten.

Und jedes Jahr bringen sich Borreliosepatienten um, weil sie das Stigma nicht aushalten, als psychisch krank oder als Hypochonder abgestempelt zu werden.

LW: Wie krass! Wie viele Borreliose- und FSME-Fälle gibt es denn eigentlich?
Fischer:
In 2009 gab es etwa 300 FSME-Fälle und fast eine Million Borreliose-Neuinfektionen. Die FSME-Fälle werden bei den Gesundheitsämtern gemeldet. Eine Meldepflicht für Borreliose gibt es nur in den neuen Bundesländern und ab diesem Jahr im Saarland und in Rheinland-Pfalz.

Die hohe Zahl von einer Million ist eine Hochrechnung von Diagnosen, die Ärzte abgerechnet haben. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch mal so hoch, weil das sicherste Symptom, die Wanderröte, nur bei der Hälfte aller Patienten auftritt oder gesehen wird. Bis Anfang Juni wurden übrigens sieben FSME-Fälle für dieses Jahr gemeldet.

LW: Haben wir in den LW-Gebieten Hessen und Süd-Pfalz/Rheinhessen Zecken-Risikogebiete?
Fischer:
Der Begriff „Risikogebiet“ trifft nur auf die FSME zu. Wenn in einer Region in fünf Jahren fünf FSME-Fälle gezählt werden, spricht man von einem Risikogebiet. Wenn im gleichen Zeitraum 25 FSME-Fälle gemeldet werden, ist das ein Hochrisikogebiet. Für Zecken mit Borrelien und anderen Erregern gibt es keine Risikogebiete; sie sind flächendeckend auf der nördlichen Erdkugel verbreitet, sogar in Grönland, wo der Sommer nur drei Monate dauert.

Ich bezeichne Hessen aber trotzdem als ein besonderes Risikogebiet für Borreliose, weil in diesem Bundesland das Sozialministerium völlig ignorant mit dem Thema Borreliose umgeht, obwohl sich Jahr für Jahr mehr als 60 000 Bürger mit Borrelien infizieren. Während wir in allen anderen Bundesländern Gespräche mit Politikern führen, Rheinland-Pfalz sogar von der Meldepflicht überzeugen konnten, mauert Hessen im Schulterschluss mit Bayern.

LW: Was sollte man bei einem Zeckenstich tun – und was sollte man lassen?
Fischer:
Das Wichtigste ist, die Zecke unverzüglich zu entfernen, und zwar so, dass sie nicht gequetscht wird. Dazu eignet sich eine spitze gebogene Pinzette, mit der man die Zecke hautnah am Stechrüssel greifen und herausziehen kann. Dann gibt es noch Werkzeuge wie Zeckenkarten und Zeckenschlingen. Eine Schlinge kann man auch aus einem Stück Zahnseide oder einem langen Haar selbst fertigen. Ganz sicher ist, die Zecke am Stechrüssel mit einem Messer abzuschneiden. Von dem Pöppelchen, das eventuell in der Haut verbleibt, droht keine Gefahr. Die Borrelien sitzen im Darm der Zecke.

Ute Fischer ist Vorstandsvorsitzende vom Borreliose und FSME Bund Deutschland und Selbstbetroffene einer Borreliose.

Foto: privat

Unterlassen sollte man alles, was der Zecke Stress erzeugt, also Öl, Klebstoff oder das Hantieren mit Fingern und dickbackigen Zeckenzangen. Denn entweder entleert sich die Zecke unter Todesangst in die Stichwunde oder man presst sich ihren Inhalt in die Haut.

LW: Woran kann man erkennen, dass der Parasit mit Borrelien infiziert war?
Fischer:
Es gibt zwar spezielle Labors, wo man Zecken untersuchen lassen kann, aber wir finden das kontraproduktiv. Eine Zecke kann durchaus Borrelien enthalten, ohne dass der gestochene Mensch infiziert ist. Womöglich wird ihm eine unnötige antibiotische Therapie verordnet. Umgekehrt kann die Zecke negativ sein und man bekommt trotzdem Borreliose-Symptome, weil man eine zweite Zecke nicht bemerkt hat. An dieser Laborgläubigkeit kann eine vielleicht doch notwendige Therapie scheitern.

LW: Was kostet so eine Labor­untersuchung und wer bezahlt das?
Fischer:
Es gibt unterschiedliche Tests zwischen 25 und 50 Euro. Bezahlen muss man das selbst. Da spielt keine Krankenkasse mit.

LW: Bei welchen Krankheitsmerkmalen sollte man Alarm schlagen?
Fischer:
Die Wanderröte, also ein roter Kreis, ein roter Fleck, manchmal auch ein Balken oder ein sternförmiges Gebilde um den Stich oder auch an anderer Körperstelle beweist eine stattgefundene Infektion mit Borrelien. Dann muss sofort therapiert werden und zwar ohne vorherige Laboruntersuchung. Allerdings bilden nur etwa 50 Prozent aller Infizierten diese Wanderröte aus. Ein weiteres Symptom ist das Gefühl einer Sommergrippe, wenn man sich nach einem Zeckenstich schlapp fühlt, Gelenk- und Kopfschmerzen bekommt, und das ohne Husten und Schnupfen.

LW: Muss man immer bei einem Zeckenstich ein Antibiotikum nehmen?
Fischer:
Nein, nicht jeder Zeckenstich führt zu einer Borreliose. Es gibt weder Studien noch Empfehlungen zur prophylaktischen Antibiose. Wir empfehlen, die Stichstelle mit einem Permanent-Marker einzukreisen und zu beobachten. Selbst wenn eine Infektion stattgefunden hat, ist unser Immunsystem sehr wohl in der Lage, die Erreger abzutöten. Also abwarten, ob sich etwas verändert am Körpergefühl. Man sollte den Tag des Zeckenstichs notieren und – wenn man die Zecke noch hat – mit Tesafilm auf eine Pappe kleben. Untersuchen lassen kann man sie noch nach Jahren.

LW: Gibt es einen Bluttest, der eine Borreliose sicher feststellt?
Fischer:
J-ein. Es gibt zwei sogenannte Antikörper-Tests, beide sind Kassenleistung. Aber die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichten die Ärzte, dass sie am Anfang nur den billigen Elisa-Test machen. Von ihm wissen wir, dass er nicht einmal die Hälfte aller positiven Patienten herausfischt. Wesentlich sicherer ist der sogenannte Blot, auch ein Antikörpertest. Den veranlassen die meisten Ärzte nur, wenn der Elisa positiv war. Doch da sind die falsch-negativen Elisa-Patienten schon längst durch das Raster gefallen und werden mit Fehldiagnosen wie Multiple Sklerose, Fibromyalgie, Rheuma, Depression oder einem psychosomatischen Syndrom abgespeist.

LW: Wer sollte sich gegen FSME impfen lassen – und wie oft?
Fischer:
Jeder, der in einem Risikogebiet lebt, sollte sich gegen FSME impfen lassen. Das bezahlen alle Krankenkassen. Wenn es sich nur um einen Urlaubsaufenthalt in einem FSME-Gebiet handelt, muss man in der Regel selbst bezahlen. Alle drei Impfungen kosten rund 120 Euro. Die Impfstoffhersteller empfehlen, dass die Impfung alle fünf Jahre aufgefrischt werden solle, bei Menschen über 60 alle drei Jahre.

Wer viel draußen ist, muss sich abends gründlich nach Zecken absuchen und diese sofort entfernen. Die Hose vorsorglich in Strümpfe oder Schuhe zu stecken, damit keine Zecke ans Bein kommt, reicht als Schutz nicht aus.

Foto: landpix

Wer so viele Impfungen scheut, sollte einfach nach fünf Jahren einen FSME-Antikörpertest machen lassen; der kostet zwar auch um die 50 Euro, zeigt aber an, ob eine Auffrischung überhaupt nötig ist. Ich lebe auf diese Weise schon seit acht Jahren mit unverändert hohen FSME-Antikörper-Titern.

LW: Unsere Landwirte und Winzer sind immer viel draußen. Was können sie vorbeugend tun, damit sie erst gar nicht von einer Zecke gestochen werden?
Fischer:
Landwirte und Winzer können sich nicht so einmummeln, wie das Theoretiker empfehlen. Das Wichtigste ist, dass man sich abends gründlich absucht und Zecken sofort entfernt. Die krabbeln ja in der Regel oft Stunden lang herum und suchen eine gut durchblutete, feuchte Körperfalte. Die Erreger übertragen sie, so lehren uns die Parasitologen, erst nach acht bis zwölf Stunden. Dieses Zeitfens­ter muss man nutzen, um sich von den Parasiten zu befreien.

LW: Gibt es mittlerweile gute Mittel, mit denen man sich eincremen oder einsprühen kann, um nicht gestochen zu werden?
Fischer:
Wir halten nichts von diesen Mitteln. Stiftung Warentest fand heraus, dass die Wirkzeit meist nur die Hälfte der aufgedruckten Zeit beträgt. Außerdem wiegen sich die Menschen in falscher Sicherheit und suchen sich womöglich nicht ab. Es gibt imprägnierte Kleidung. Aber wer weiß, ob dieser Wirk­stoff in die Haut übergeht?

Absuchen und Entfernen ist tatsächlich die beste Prophylaxe. Und dann muss man wissen, dass Zecken bis zu drei Tagen in abgelegter Kleidung ausharren, um bei nächster Gelegenheit doch noch zuzustechen. Man muss diese Klei­dung also umdrehen, ausschütteln und nach Zecken absuchen. Die Tiefkühltruhe schadet der Zecke überhaupt nicht, auch nicht ein Waschgang in der Maschine. Und auch das Duschen überstehen sie, wenn sie sich einmal einzementiert haben. Aber der Trockner, der macht ihnen den Garaus.

Die Fragen stellte Stephanie Lehmkühler

Zeitschriften-Tipp

Borreliose Wissen Nr: 23 „Fehldiagnosen; Differenzialdiagnosen“, 7,50 Euro zuzüglich 2 Euro Versandkos­ten. Zu bestellen beim: Borreliose und FSME Bund Deutschland e.V. Postfach 4150, 64351 Reinheim; E-Mail: info@borreliose-bund.de.

Themen aus dem Inhalt: Fibromyalgie, Sarkoidose, Auge, Herz, Bandscheibenvorfall, ALS, Depression, Strahlenkrankheit, Rheuma, MS, HWS, Karpaltunnel, Tinnitus, Migräne, Meldepflicht und Leitlinien, Politik der Bundesländer, Elisa-Blot-Studien.

 
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